Karfreitagsgeschehen in einer Hose

Als er in seine Hose stieg, dachte er für einen Moment, darin etwas Filigranes gesehen zu haben wie die Beine eines Weberknechts. Der Gedanke war jedoch nur flüchtig und nicht stark genug, ihn zu veranlassen, in der Anziehbewegung innezuhalten, um sich zu vergewissern. Es müsste dann auch ein besonders feines, langbeiniges Exemplar gewesen sein, so eines wie er manchmal in seinem Bad entdeckt hatte, wobei er immer beobachtet, dass die Fortbewegung eines winzigen Körpers auf so langen Beinen etwas grotesk Ungeschicktes hat, denn sie wird durch offenbar winzige, dem menschlichen Auge verborgene Phänomene immer wieder gestört, und oft hatte er schon gesehen, dass ein Weberknecht nach emsigem Streben über die Wandfliesen hinauf urplötzlich zurückfiel auf eine frühere Position wie ein Bergsteiger, der an der Felswand abstürzt bis hinunter zu einem zuvor eingerichteten Basislager. Wo aber der Bergsteiger zerschmettert am Boden liegt, macht der Weberknecht einfach weiter, versucht sich erneut an der glatten Steilwand.

Als er die Hose angezogen hatte, dachte er, wie es für ein Lebewesen sich wohl anfühlt, wenn ein riesenhaftes Geschöpf, das seine Wahrnehmungskategorien übersteigt, daherkommt und sich seinen Lebensraum einfach anzieht wie eine Hose. Da könnte sich die Menschheit weltweit zu einer Allianz verbünden, Maßnahmen erwägen, absurde Vorschläge diskutieren. So würde der in Fachkreisen berühmteste polnische Jazz-Violinist sich anbieten, dem Wesen in der Hose zuzufideln, dass es Gott gibt, was der Weltverband der Ethnolinguisten aber in einer Twitterbotschaft als absurde Idee abtäte, die buchstäblich in die Hose gehen könnte. Am Ende würde sich jedoch das tumbe, krachende Militär durchsetzen und Raketen mit wahnwitziger Vernichtungskraft losschicken. Gebannt würde die Menschheit auf Bildschirme starren, um den zerstörerischen Effekt auf die gigantische Hose zu beobachten. Aber egal ob ihm ein polnischer Jazz-Violinist in die Hose fidelt oder Ethnolinguisten vergessen, ihre Arbeit zu tun, sondern sich vor lauter omnipotenter Eitelkeit über Jazzfideln das Maul zerreißen, selbst winzige, angenehm prickelnde Nadelstiche von tödlichen Geschossen würde den Mann nicht daran hindern, in Universen in Form seiner Schuhe zu steigen und das Haus zu verlassen, um Brötchen zu holen.

Und alles vergeblich. Bäckerei hat zu. Ist Karfreitag. Die Menschheit wird gerade erlöst.

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11 Kommentare zu “Karfreitagsgeschehen in einer Hose

  1. Mal wieder eine der phantastischen Geschichten, welche zum Weiterdenken einlädt … also nicht den Faden mit dem Bäcker weiterdenkend, eher die andere Welt – am besten aber ohne Militär.
    Die Frage ob da nun ein Weberknecht oder ähnliches Getier war bleibt wohl jedoch unbeantwortet …

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