Miniatur über Keller

Die Schule, an der ich lange Zeit Lehrer war, bestand aus einen Haupttrakt und drei Seitenflügel, wobei der dritte Flügel deutlich kleiner war als die anderen. Er beherbergte nur das große Lehrerzimmer und im Untergeschoss die Hausmeisterwohnung. Versetzen wir uns in den Hausmeister der Schule. Er ist vielleicht ein schlichtes Gemüt, dabei gerissen und von Machtwillen besessen. Als guter Handwerker hält er Ordnung in seinem Hausmeisterkeller. Eigentlich sind es Kellerfluchten. Mit den Jahren hat er sich Trakt für Trakt immer mehr Keller angeeignet, denn der Kellerbesitz steigert sein Selbstwertgefühl.

Im wichtigsten aller Keller ist sein Allerheiligstes. Noch heiliger als der, in dem sein Motorrad präsidiert. Nie sah man ein Motorrad so prächtig abgestellt, denn dieser Keller ist leer. Rings um das Motorrad ist Platz genug für zweihundert Menschen, die auf den Knien liegen und das Motorrad anbeten. Zum wichtigsten Keller aber hat niemand außer ihm Zutritt. Nur einmal in 25 Jahren wurde mir ein Blick in diesen Keller gestattet. Entlang der Wände stehen Regale, auf deren Brettern nichts lagert. Vielmehr sind an deren Unterseite Deckel von Schraubgläsern befestigt und darin eingeschraubt sehen wir die entsprechenden Gläser hängen, gefüllt mit Nägeln und Schrauben, aber nicht durcheinander, sondern der Größe und der Länge nach sortiert, Nagelstifte, Holznägel, Stahlnägel, Holzschrauben, Dübel, Stahlschrauben, Schraubenmuttern. Laien könnten dieses aufwändige Lager und die penible Ordnung für überflüssig halten, denn wann braucht so ein Hausmeister überhaupt all das Zeug?

Angenommen die Welt wäre dabei unterzugehen, weil irgendein Verrückter just die Schraube aus der Schöpfung herausgedreht hat, die alles zusammenhält. Und alle Menschen laufen wie aufgescheucht herum, keiner weiß, was zu tun ist, keiner hat die passende Schraube. Spätestens dann käme die große Stunde des Hausmeisters. Gewichtig würde er zu seinem Keller gehen, ihn aufschließen, an die Regale treten und mit traumwandlerischer Sicherheit nach dem Glas mit den acht Zoll Weltrettungsschrauben greifen.

    Meinen Exkolleginnen und Kollegen gewidmet, die ich heute in Aachen hätte treffen können.
    Leider konnte ich diesmal nicht hin.
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24 Kommentare zu “Miniatur über Keller

  1. Ich stelle mir gerade vor, irgendein innerer Anteil in mir hat den Schlüssel zu meinem Keller mit dem Glas voll Selbstrettungsschrauben, aber der Rest von mir irrt noch panisch durch die Gehirnwindungen, Seelenecken und Kleiner-Zeh-Kapillaren…

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  2. Und dann stellt sich heraus (leise Trommeln von links, Crescendo), dass das Glas.. LEER ist (plötzliche Stille). Jemand hat die EINE Schraube geklaut! Ein Job für… Superman? Captain America? Nein, Superhausmeisti! Er schmeißt sich in sein kariertes Superhelden-Holzfällerhemd (Geigen, Apassionato) und spürt der verschwundenen Schraube nach. Und kurz bevor der Countdown abgelaufen ist (natürlich muss irgendwer eine rückwärtslaufende Uhr aufgestellt haben) entdeckt er die Schraube im Spind des Schülers Oswald P., der damit Rosemarie W. aus der Achten beeindrucken wollte (Oboe l’istesso tempo. Klingt recht ähnlich wie die Ente in „Peter und der Wolf“. Passt gar nicht. Egal, ich mag die Ente). Unter dem Jubel der Belegschaft wird die Schraube in die untergehende Welt gedreht und gerettet. Lobreden werden gehalten und man will Superhausmeisti einen Orden verleihen, aber er entgegnet bescheiden, dass er nur seine Pflicht getan habe, schwingt sich auf sein Motorrad und düst unter lautem Knattern in den Sonnenuntergang… (Musik noch in Bearbeitung. Vielleicht etwas in A-Dur, mit Saxophon?)

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  3. In Österreich heißt die Berufsbezeichnung für den Hausmeister an einer Schule Schulwart, und der Anklang an den berüchtigten Blockwart mag bei manchem Vertreter dieser Zunft wohl auch kein Zufall sein. Der Schulwart an unserer Mittelschule hieß mit Familiennamen Dommes, und darum nannten wir Schüler ihn „Herr Majordommes“.

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    • Danke für den Hinweis auf Schulwart. Da hatte Ihr Schulwart ja den richtigen Namen, entstammte vielleicht einer langen Ahnenreihe von Hausverwaltern. Den Majordomus gab es schon an frühmittelalterlichen Höfen, wo sie noch mehr Macht hatten als ihre Nachfahren heute. „Herr Majordommes“ lässt sich gewiss leichter sprechen als „Herr Hausmeister“, weil man den Atem schon bei ersten anlautenden H verbraucht hat.

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  4. „Angenommen die Welt wäre dabei unterzugehen, weil irgendein Verrückter just die Schraube aus der Schöpfung herausgedreht hat, die alles zusammenhält…“

    Eine kleine Anekdote aus dem vergangenen Jahr: Für bezahlbares Geld hatte ich mir aus Paris ein englisches High-Tech-Fahrradlicht, kaum gebraucht, ergattert. Es war auch alles top, doch es fehlte ein Teil: eine kleine spezielle Schraube, die dafür zuständig war, das Fahrradlicht fest mit seiner Halterung am Lenker zu verbinden. Ohne diese kleine spezielle Schraube war die Lampe wertlos und unbrauchbar. Die Pariser Dame hätte ich reklamieren und anschreiben können. Doch ich dachte mir, was soll ich mich ärgern? Suche Dir lieber eine passende Schraube. Meine Schräubchen und Nägel bewahre ich in alten Zigarrenkisten meines Vaters oder in Plastiktütchen. Keine dieser in fast fünfzig Jahren zusammen gefundenen Schräubchen wollte so dermaßen speziell sein, dass sie genau in meine Halterung für das Licht passte. Drei Monate lang suchte ich vergeblich und gab dann erst einmal auf. An irgend einem langweiligen Nachmittag,( ich war mal wieder krank und langweilte mich), dachte ich an ein Kästchen, in dem ich noch nicht nachgesehen hatte. Die Chance, diese Schraube zu finden, war natürlich gleich Null. Eine winzige, mikrokleine Chance hätte ich vielleicht.
    Egal, ich suchte das Kistchen, hatte es vor meinen Wühlmauskindern in Sicherheit ganz nach oben gestellt, griff hinein und betete für ein Wunder. Und es geschah eins. Denn mit einem Mal hielt ich eine Schraube in der Hand: feinstes Gewinde, richtige Länge, konnte das möglich sein? Mir zitterten vor Aufregung die Hände als ich sie probierte und …sie passte perfekt, als wäre sie für diese Halterung gemacht worden!
    Kennst Du das, wenn Du lange nach etwas suchst und Du findest es, genau das Richtige und dann dieser Glücksmoment? Zum Platzen voll, weil nix mehr zusätzlich hineinpasst.

    So einen superaufgeräumten Handwerkerkeller kenne ich von meinem Vater. Er hat mit Begeisterung gezimmert, geschraubt, gedübelt und gebohrt. Hausmeister fand ich schon immer speziell, vielleicht weil sie vieles gleichzeitig können müssen. Einige habe ich kennen gelernt, alles besondere Menschen und vernarrt in ihre Schrauben- und Nagelsammlung. Nach Länge, Größe und Zoll beschriftet. Schul-Hausmeister sind manchmal auch Schulseelsorger mit Hammer und Wasserwaage.

    Eine feine Miniatur für Aachen..
    Lieben Dank und viele Grüße,

    Amélie

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    • Danke für deinen farbigen Kurzbericht, liebe Amélie. Indem ein jeder in seiner eigenen Welt lebt, in der man keine ungelösten Probleme haben möchte, war die passende Schraube für dich tatsächlich eine weltrettende Schraube und brachte Licht ins Dunkle.
      Ich habe den Hausmeister grundsätzlich geachtet und kam auch viele Jahre gut mit ihm aus. Wegen selbstherrlicher Entscheidungen gerieten wir dann mal aneinander.
      Viele Grüße und schönes WE

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  5. Pingback: Restalkoholische Erkenntnis dank diverser Kommentare

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