Seitdem Weckerchen Holger endgültig den Geist aufgegeben hat [Teestübchen berichtete], hängt im Schlafzimmer eine Wanduhr. Die habe ich quasi versehentlich gekauft, weil sie im Laden keine Weckerchen hatten, ich aber eine Uhr wollte. Bevor ich mich bette, nehme ich die Uhr von der Wand und lege sie in den Schrank auf die Handtücher. Dort liegt sie gut und lässt nichts mehr von sich hören. Wenn sie an der Wand hängt und tickt, kann ich nicht einschlafen. Vielleicht liegt es an der sekündlich mitgeteilten Sinnlosigkeit ihres Tickens. Das Ticken von Uhren mit mechanischem Uhrwerk kam von der Unruh, einem im Gehäuse hin- und her schwingenden Rädchen, das mit einer feinen Spiralfeder gekoppelt ist. Moderne Uhren mit Quarzantrieb und Batterie haben keine Unruh, würden also auch nicht ticken. Das Ticken wird künstlich erzeugt, vermutlich in Kinderarbeit. Jedes Mal, wenn der Sekundenzeiger vorrückt, muss ein chinesisches Kindlein die Trommel schlagen, tock, tock, tock, wie stumpfsinnig. Bei mir kann es sich nachts wenigstens ausruhen.
Ich würde gerne eine nicht tockende Uhr kaufen. Hersteller sollten sich trauen. Wo kämen wir denn hin, wollten wir all die nutzlos gewordenen Eigenschaften mechanischer Maschinen mit in die Zukunft schleppen? Meine Computertastatur würde mich alle 90 Anschläge mit einer Klingel darin erinnern, dass bei der mechanischen Schreibmaschine jetzt die Zeile geschaltet und der Wagen nach rechts geschoben werden muss. Der ICE müsste pfeifen und fauchen wie eine Dampflok, und das Auto würde auf die Straße kötteln wie ein Pferd. Letzteres wäre aber gut. Würden sich Würste aus dem Auspuff drehen, hätte man vor Augen, welche Dreckschleudern Autos sind.
Apropos köttelnde Autos
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Foto: dieterkayser
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Danke für den Lacher!
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Beim metallischen Ticken einer schweren Wanduhr geht mir noch heute das Herz auf. Meine Großeltern besaßen eine, und mit der glücklichen Zeit dort verbindet sich für mich dieser einzigartige Klang. Für das Nachäffen eines solchen Klangs brauchts freilich die Ingenieurleistung teurer Profis von der Art, die heute das Klangdesign von Autos ertüfteln und Jahre damit verbringen, das perfekte Röhren eines Motors oder das Klicken einer schweren Autotür zu imitieren. So was ist natürlich albern und gehört in den Bereich manipulativen Marketings. Mich schaudert’s schon, wenn ich die Billigvariante, z. B. das Krächzen einer Digitalkamera höre, deren Designer meint, sie müsse „analog“ klingen. Du jedenfalls pflegst jetzt ein schönes Zu-Bett-Geh-Zeremoniell, und setzt die Zeit damit für die Nachruhe gewissermaßen auch amtlich außer Kraft.
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Wie eine große Standuhr klickt, das ist schon unvergleichlich. Aber auch Wecker mit Uhrwerk ticken ganz anders als das von Klandesignern simulierte Ticken der Quarzuhren. Es ist nämlich wirklich mehr ein Tock-tock-tock. Zur Erinnerung an den mechanischen Wecker:
Glücklicherweise lässt sich das Krächzen bei Digitalkameras ausschalten. Ich fand es immer beschämend, wenn so ein Huzzelding das Verschlussgeräusch einer Spiegelreflexkamera imitiert. Ja, ich finde mein erzwungenes Ritual auch hübsch. Tagsüber kann ich die Uhrzeit ablesen, nachts ist gar keine Zeit. Da ich selten eine Weckfunktion brauche, ist es so völlig ausreichend.
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Das Ticken einer wuchtigen Standuhr vernahm ich als Kind immer dann, wenn ich die feine Wohnung unseres (von uns als fein und reich gehaltenen) „Hausherrn“ oder die des Pastors betrat. Eine Standuhr, die verband ich als KInd immer mit „fein“, „gediegen“ und reichen Leuten, die auch Bücher um sich herum haben und sogar ein Telefon.
Viel später dann übernahmen wir nach dem Tod der Eltern meiner Frau deren uralte, schwere dunkle Standuhr, die schon von deren Vorfahren stammte und die im Krieg seitlich einen Kratzer von einem Granatensplitter davontrug, der in die Wohnungswand einschlug.
Ich mochte dieses ruhige Ticken und das leise rasselnde Geräusch des Uhrweks, mit dem sich jeder Gongschlag ankündigte.
An jedem Abend, das war unser Ritual, nahm ich eines das für den Gong zuständige hängende Gewichte von seiner Kette, damit der Gong uns nicht stört.
Vor einigen Jahren trennten wir uns nach einem Umzug dann von dem guten Stück, weil das Haus der neuen Wohnung recht hellhörig gebaut wurde, und der Gong auch beim Nachbarn unter uns gut zu hören war.
Das Ticken eines Weckers oder einer Wanduhr, lieber Jules, das klingt sicher nicht so „würdevoll“ und beruhigend. Und Du hast die perfekte Lösung für Deine Nachtruhe gefunden:
Du machst Deine Wanduhr nachts zu Schrankuhr.
Jede(r) tickt anders 😉
Liebe Grüße!
Lo
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Danke für den schönen Erfahrungsbericht, lieber Lo, und für dein witziges Wortspiel im Schluss. Da ich längst vergessen hatte, wie ein mechanischer Wecker tickt, war ich froh und erstaunt, das obige Video zu finden. Das gehört unbedingt ins Technikmuseum.
Lieben Gruß!
Jules
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Die Gnade des Alters, da tickt nichts mehr dank der Schwerhörigkeit.
😉
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Als Teenie zu laut Musik gehört, liebe Marana?
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Hat Holger nicht getickt, bevor er sein Leben aushauchte?
Mein Smartphone tickt nicht, weckt mich manchmal, meist weckt mich mit Batterie ein kleiner tockender Braun, seit Schulzeiten schon. Ich gebe zu, es ist der Zweite.
Hierorts gibt es nur noch einen Uhrmacher, den besuchte ich vor etwa zwei Jahren mit dem großmütterlichen Reisewecker, der kurz zuvor noch unruhig getickt. Fuffzig wollte er für einen Kostenvoranschlag, Anrechnung bei Reparatur. Konnte ich einerseits verstehen, war mir dennoch zuviel vor einer Entscheidung meinerseits und Kostenansage. Ich stehe nicht auf Geiz ist geil, stopfe auch noch Socken und fädele – so es noch geht – frisches Gummiband in lang gediente Schlüpper.
Als Kind schlug über uns die Pendeluhr der Nachbarin stündlich über unserm Zimmer; keine Einschlafhilfe. Bei uns gab es sowas nicht, auch keine, die einst ein Buffet geziert. Warum? Die Großmütter ließen sie stehen, als sie mit kleinem Gepäck und ihren Kindern aus der kalten Heimat gen Westen machten.
Mein Vater erinnert sich an eine Standuhr im Flur seiner Kindheitswohnung. Er hatte einen leeren Marmeladeneimer drin versteckt, nachdem er mütterlich verordnet, er war ja groß der deutsche Junge, den Nachttopf entzogen bekommen hatte und nachts nicht auf den Hof zum Plumpsklo wollte.
Wie alte Geschichten weiterspülen …
Die geerbte Standuhr einer guten Freundin, die ihre Großeltern aus der kalten Heimat mitgebracht, tickte nicht mehr. Da ist die Mechanik groß und leichter sichtbar. Zwei Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten mal Schlosser gelernt haben sie gerichtet. Ihre Liebste kann nicht präzise Federn biegen und fragte meinen Vater. Dank einer neuen Unruhe tickt die Uhr wieder. Die Liebste hat für ihn VA geschweisst …
Es wechseln die Zeiten …
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Doch, Holger tickte leise, denn es war ja nur eine kleine Uhr. Findest du es gut, neben dem eingeschalteten Smartphone zu schlafen? Ich bekomme dann Alpträume.
Dankeschön für deine Uhrengeschichten. Sie zeigen, welch große Rolle mechanische Uhren einst gespielt haben.
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Ich habe schon alptraumfrei neben meinen Smartphone geschlummert, weil ich bei einem Seminar meinen Wecker vergessen hatte.
Alltagstauglich? Nicht für mich.
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Ein schöner Text. (Kleiner Hinweis, wenn Sie mir gestatten: »dass bei der mechanischen Schreibmaschine [..] der Wagen nach links – müsste wohl heißen: rechts – geschoben werden muss«)
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Vielen Dank für den Hinweis. Ich werde den Fehler korrigieren. Die Erinnerung hat mir einen Streich gespielt. Ich hätte geschworen, dass sich der Hebel für Zeilenweiterschaltung und Wagenrücklauf rechts befindet. Es ist aber links.
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Mir fiel zu deinem Text der sehr bekannte US-amerikanische Komponist Leroy Anderson ein. Stücke von ihm sind „The Syncopated Clock“ ( „Die synkopische Uhr“), „The Typewriter“ („Die Schreibmaschine“; weltbekannt durch die pantomimische Umsetzung von Jerry Lewis in „Der Ladenhüter“) oder „Horse & Buggy“ („Pferd und Anhänger“) und passen fast genau zu deinem Text.
Würde jeglicher Dreck, den wir in der sogenannten „1. Welt“ produzieren, sich in Kackwürste verwandeln, ja, dann wäre unsere Jauchestand Oberkante Unterlippe und wir würden erkennen, was für einen Dreck wir tagtäglich hinterlassen.
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Der Schreibmaschinensketch von Jerry Lewis ist bald völlig aus der Zeit, wenn keiner mehr mechanische Schreibmaschinen kennt.Vor dem augenscheinlichen Dreck aus unserer Produktion müsste dann auch der Scheuersche Menschenverstand kapitulieren. 😉
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„The Typewriter“ wird auch weiterhin mit mechanischer Schreibmaschine aufgeführt werden.
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Der Originalsketch ist ja mit Luftschreibmaschine.
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Das ist Comedy. „The Typewriter“ von Leroy Anderson wurde Oktober 1950 komplettiert und danach mehrfach aufgeführt. Vor und nach Jerry Lewis Film „Who’s minding the store“ mit seiner imaginären Schreibmaschine. Jener Film kam erst 1963 heraus. Verschiedene Aufführungen mit Schreibmaschine findest unter den einschlägigen Kanälen im Internet. Für ein schnelles Suchergebnis suche mal nach Liberace Typewriter Song.
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Der erste Nachteil von Wanduhren mit Unruh ist, dass sie ständig ticken und damit für Unruh(e) sorgen, meist gerade dann, wenn man schlafen möchte. Der zweite Nachteil – hat das Einschlafen endlich geklappt – ist, dass sie nicht läuten, will man geweckt werden. Weshalb Holgerchen so einfach nicht zu ersetzen ist … 😉
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Glücklicherweise habe ich keine Termine mehr, zu denen ich geweckt werden muss. Bis vor kurzem wurde ich ohnehin Punkt sechs Uhr wach, meine Aufstehenszeit seit meiner Jugend.
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