Da war ein Mann, der ungemein wichtig tat und laut redete. Ich streifte eine Anzugjacke über und schlug einem anderen vor, den Mann, der so wichtig tat, wie Geheimagenten zu belauschen. Zum Spaß steckten wir uns Ohrstöpsel ins Ohr, deren funktionslose Kabel wir einfach in unsere Jacken schoben, und drückten uns in direkter Nähe zum Wichtigtuer herum, um möglichst genau abzuhören, was er redete. Wir wollten eine Show daraus machen wie im Film.
Mit einem Mal war alles aus Holz. Die Dinge ringsum waren aus Holz, aber auch die gesamte Kommunikation war Holz. Ich selbst war auch aus Holz. Durch meinen Holzkopf zogen Wörter aus dem Sachbereich Holz. Selbst die Wörter waren aus Holz. Holzhammer, Holzwurm, Holzstapel, Holzklotz, Holz vor der Hütten, Holztisch, Holzhaus, Holzverkleidung, Holzweg, das hölzerne Bengele.
Es begann zu regnen.
Lächerlich, wie wenig es wieder geschneit hat, dachte ich beim Blick aus dem Fenster. Lächerlich! Das hölzerne Bengele ist wohl Pinocchio. Als Kind machte mir die Geschichte des Pinocchio solche Angst. Sie wurde, glaube ich, im Kinderfunk vorgelesen und versetzte mich unentwegt in Hoffen und Bangen um das Schicksal des hölzernen Bengele. Ich hielt den Stress nicht aus und hörte oder las die Geschichte nie bis zum glücklichen Ende.
Paul Holz hieß ein Drucker-Kollege in einer Kölner Fahrscheindruckerei. Paul Holz, von allen respektvoll „Herr Holz“ genannt, ein kleiner, selbstgewisser Mann im Blaumann kurz vor seiner Pensionierung, druckte auf einer schmalen, nicht besonders lauten Rotationsmaschine. Herr Holz kannte dieses Wunderwerk der Mechanik ganz genau. Er druckte darauf Wertmarken, immer nur Wertmarken. Holz war Mitglied der Gewerkschaft Druck und Papier und wusste um seine Rechte. Pünktlich zehn vor vier Uhr ging er zur Toilette, kam heraus und wusch sich am Waschbecken die Hände. Dann ging er hoch in den Aufenthaltsraum, wo unsere Spinde waren, und zog sich um, so dass er mit dem Glockenschlag 16 Uhr das Haus verlassen konnte. Seine Verrentung hatte er auch schon genau geplant. Er würde nach Frankfurt ziehen und eine Polizistin heiraten.
Gegen Matthias Holz, genannt Holz Mattes, hege ich einen lebenslangen Groll. Er war mein Großcousin; unsere Großmütter waren Schwestern. Mattes war einige Jahre älter als ich, so dass wir nie miteinander zu tun hatten. Außerdem war er ein mir unsympathischer Großsprecher. Während meiner Schriftsetzerlehre fuhr er eine Weile wie ich mit dem Bus nach Neuss, wo er die Oberprima des Gymnasiums besuchte. Ich hatte mir ein Buch gekauft:
Max Horkheimer; „Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie. Hegel. Montaigne und die Funktion der Skepsis.“
Holz Mattes erwischte mich darin lesend im Bus. Er lachte mich aus und rief: “Was willst du denn damit? Das verstehst du doch überhaupt nicht!“ Ich fühlte mich kleingemacht. Doch er hatte Recht. Ich verstand wirklich nicht viel. Aber ich wollte mich bilden, und er stampfte mich verbal zurück in meine Arbeiterexistenz. Bis heute habe ich Holz Mattes nicht vergeben.
Du brauchst nicht mehr sauer auf den Holz Mattes zu sein. Wer weiß, wenn er Dich nicht (unter Garantie, weil er es selber nicht verstand) ausgelacht hätte, vielleicht hättest Du das Buch irgendwann entnervt weg gelegt. So aber nicht – niemals! Wer weiß schon, was ohne ihn aus Dir geworden wäre.
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Du hast Recht. Holz Mattes und andere gaben mir den Antrieb, mehr aus mir zu machen, weil ich immer glaubte, etwas beweisen zu müssen. Erst seit einigen Jahren habe ich diesbezüglich Ruhe.
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Es freut mich, dass Du bist, wer Du bist.
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Kennst du Holz auch als Werkstoff?
Ich mag es in dieser Weise, muss mich auf es einlassen, will ich mit ihm gestalten. Auf seine Einzigartikeit, auf seinen Wuchs. Ich halte nix von Menschenrassen, bei Holz machen Zuordnungen für mich Sinn. Esche z.B, in Stielen , bekannt in Spaten, Äxten, Hämmern. Lange schon als Funier im Möbel ind Innenausbau vorhanden. Ich drechsele sie gerne, weil ich sie gut kenne und immer wieder mit ihr lerne.
Als Mensch bin ich mitunter hölzern, verliere mein Gegenüber an der Stempeluhr.
Holz atmet, wie ich.
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Bedingt. Ich habe Linol- und Holzschnitt gelernt, zur Herstellung von Druckstöcken. Aber das ist lange her. Hier ging es um einen Traum.
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letzteres habe ich erst als Möglichkeit gedacht, nachden ich getippt, beim Pinkeln. Beide Techniken kenne ich, weiß wo das Wekzeug liegt, auch Mr macht Vidoesaterial. Morgen krame ich das zusammen, um es mit U zu tun, bei Gelegenheit.
Er macht Videos auf dem Phone, schneidet auch da. Wie lernen miteinander.
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Holz Mattes finde ich jetzt auch doof, lieber Jules. Deine Holzgedanken nicht. Sie springen herrlich bis zu mir nach München. Hier sieht man wenig vom Holz – alles weiß. Das ist aber in Ordnung. Soll es bis zum Frühling ruhig noch schlafen.
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Danke, liebe Mitzi, für Solidarität und deine Botschaft aus der winterlich verschneiten Region. Wir werden wohl heuer keinen Schnee nicht bekommen. Es wird wieder wärmer. Was Holz Mattes betrifft, so bin ich froh, mir das von der Seele geschrieben zu haben.
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Erstaunlich wie lange man manches mit sich herum trägt. Gut, dass du es aufgeschrieben hast.
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Holz Mattes hätte bei mir den Spitznamen Mattes Holz erhalten … 😉
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Hihi!
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Haha der ist gut!
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