16. Türchen – Weihnachten ist Weihnachten ist Weihnachten



Blogfreundin Mitzi Irsaj bekennt sich zu weihnachtlichen Traditionen

eihnachten ist mir heilig. Da bin ich kompromisslos. Es ist mir schnuppe, ob sich die ganze Welt über den Konsumrausch oder den fehlenden Schnee echauffiert. Ab dem ersten Advent bin ich in Weihnachtsstimmung. Keinen Tag eher und keinen Tag später. Weihnachten ist mir heilig. Der Wahnsinn drum herum ist mir egal. Von meinem Weihnachten habe ich eine klare Vorstellung. Keine Geschenke – egal. Kein Baum – undenkbar. Weihnachten ist angesichts des Elends der Welt scheinheilig? Ist es. Aber dann soll man nicht lamentieren,  sondern im Kleinen etwas gegen die Schlechtigkeit tun. Konsumrausch und zu hohe Erwartungen? Dann soll man seine Erwartungen eben runter schrauben. Einsam an Weihnachten? Undenkbar. Wer ungewollt alleine ist, kommt zu mir. Ein fester Plan? Unnötig, es kommt eh anders. Ein paar fixe unumstößliche Termine? Ja, weil Weihnachten auch Tradition ist. Wem es nicht gefällt, der möge sich gefällige Traditionen schaffen und diese bei Bedarf jährlich ändern.

Mein Weihnachten ist jedes Jahr anders und doch immer gleich. Es gibt vier Fixpunkte: Der Baum – die Kirche – der Brunch mit Freunden und der eine Freund aus Italien – der familiäre Wahnsinn. Diese vier Dinge müssen sein. Alles andere zu planen wäre sinnlos. Die Katastrophen, das Schöne und das Schlimme im Leben fragen nicht nach Weihnachten. Sie kommen einfach. Springen einen hinterrücks an und werfen einen zu Boden. Man muss sie dann um diese vier Punkte herum drapieren. Ähnlich wie die scheußlichen Christbaumkugeln, die man nicht aufhängen will, die aber dazu gehören. Ich kann das gut. Egal was passiert, ich stelle einen Baum auf. Ich schleppe ein 1,80 großes Teil durch die Stadt und schmücke ihn. Heulend vielleicht. Oder wütend. Meistens aber glücklich. Gegen emotionale Ausnahmezustände wirkt die Konstante eines Christbaumes wie eine Umarmung. Emotional gefestigt, riecht das Monstrum einfach nur gut und macht ein schönes Licht.

Ich gehe in die Kirche. Nicht in irgendeine. In die eine oder in gar keine. Nicht immer. Manchmal müssen die Fixpunkte flexibel variiert werden. Zum Beispiel dann, wenn man am Brenner im Schneechaos feststeckt. In den meisten Jahren habe ich es aber geschafft. Genauso wie meine beiden Freundinnen. Egal, was das vergangene Jahr uns um die Ohren gehauen hat, am hl. Abend stehen wir um fünf Uhr nachmittags vor der Kirche, in der wir getauft wurden und fallen uns in die Arme. Abgehetzt alle drei. Wenn das Vorläuten beginnt, weiß ich, dass auch sie gerade zur Kirche laufen. Jede aus einer anderen Richtung und ich bin mir sicher, dass auch sie laufen und nicht gehen. Wir laufen unter den dröhnenden Glockenschlägen, die mir an Weihnachten lauter, feierlicher und vertrauter als sonst erscheinen. Wenn am vierundzwanzigsten die Glocken schlagen, fühle ich mich wie das Kind vor dreißig Jahren. Nur hatte das Kind von damals keinen Kloß im Magen und keine Tränen vor Rührung in den Augen, wenn es endlich vor den Stufen stand und fröstelnd auf die anderen wartete. Die Rührung ist schnell vorbei, wenn wir uns sehen.

Wir werden uns wie jedes Jahr in die Bank quetschen und die Kinder, die dazu gekommen sind auf unseren Schößen verteilen. Die Männer müssen sehen, wo sie bleiben, wir müssen Plätze für die Eltern frei halten. Warum wir das tun, wissen wir nicht. Sie kommen ja eh zu spät. Seit dreißig Jahren schon und sie werden auch dieses Jahr zunächst im Gang stehen müssen, weil sie uns nicht finden. Wir sehen sie erst, wenn wir zur Kommunion an den Altar gehen. Dann wird sich schnell umarmt, die Sitzordnung in den Bänken über den Haufen geworfen und hastig erklärt, warum die eine Mutter fehlt – sie kocht seit dreißig Jahren um diese Zeit – und warum meine Eltern fehlen – sie kommen seit dreißig Jahren nicht mehr. Alles ist wie immer, aber man kann den Festakt der heiligen Kommunion an Weihnachten schon mal stören, um das Offensichtlich noch einmal zu erklären. Da ich diejenige ohne Eltern im Schlepptau bin und wider Erwarten auch diese Jahr kein eigenes Kind auf dem Schoß sitzen habe, genieße ich den Vorzug, den Gottesdienst beschwipst genießen zu können. Nicht dass ich mir auf dem Weg zur Kirche einen genehmige – das sicher nicht. Aber seit einigen Jahren hat sich ein Weihnachtsbrunch unter Freunden etabliert. und der besteht in erster Linie aus Champagner. Weihnachten ist schließlich das Fest der Freude und in unserem Fall, neben der Familie auch das Fest der Freunde. Und auf diese muss man anstoßen. Sie sind das, was einem durch das Leben trägt. Wenn man zu diesem Zweck etwa fünfzig Personen in eine kleine Schwabinger Altbauwohnung zwängt, entsteht die Nähe ganz ohne sentimentalen weihnachtlichen Kitsch. Dass gegen Mittag lauthals aus fünfzig Kehlen etwas falsch und völlig aus dem Takt „Last Christmas“ erschallt, mag am Champagner liegen. Vielleicht aber auch an der unbändigen Freude, solche Freunde zu haben, die sich irgendein Ventil schaffen muss.

Am Ende des Gottesdienstes wird die Kirche dunkel und nur die Lichter der Christbäume am Altar brennen. Rund um das Kirchenschiff stehen alle Kinder mit einer Kerze in der Hand. Sie umkreisen die Bänke, während des letzten Liedes – „Stille Nacht, heilige Nacht.“ Wir heulen ein bisschen. Weil wir glücklich sind, dass sich an diesem Moment nichts geändert hat. Wir wischen uns die Tränen spätestens dann aus den Augen, wenn wir uns daran erinnern, dass ich vor 35 Jahren mit der Kerze die Haare meiner Freundin in Brand gesteckt habe. Dann lachen wir – im Singen hört es ja keiner. Danach rennen wir nach Hause. Ich glaube nicht, dass die beiden anderen gehen. Ich glaube, sie rennen ähnlich beschwingt zu sich nach Hause wie ich. Zu den Eltern, den Schwiegereltern, dem Freund und dem Rest der Familie. Das Rennen tut nach all der Besinnlichkeit gut. Außerdem vertreibt es den Rest des Champagners. Ich muss nüchtern sein, wenn Papa den guten Rotwein öffnet.

Auf dem Balkon hat er ein oder zwei Bier kalt gestellt. Die sind für meinen Freund aus Italien, der mich gegen neun Uhr abholt. Er trinkt es noch, dann fahren wir zu mir. Zu meinem Baum, unter dem wir bis spät in die Nacht sitzen. Ich weiß nicht, ob dieses Jahr jemand alleine ist und spontan dazu kommt. Es wäre nicht das erste Mal. Meistens sind es die, die Weihnachten grauenvoll finden. Die mir erzählen, wie dumm und überflüssig Weihnachten ist. Spätestens wenn ich sie an den Feiertagen noch mit zu meiner Familie nehme und sie sich im völligen und undurchdringbaren Chaos zwischen unzähligen Kindern und reichlich Tieren befinden, attestieren sie mir, dass ich spinne, weil ich diesen Wahnsinn liebe. Wahrscheinlich haben sie recht. Sie bekommen einen Schnaps oder eine Katze auf den Schoß und werden gebeten, die Klappe zu halten.

Schöne Weihnachten! Ruhige oder chaotische. Und wenn sie ungewollt alleine sind, kommen Sie vorbei. Sie würden nicht auffallen. Sie würden untergehen und still in einer Ecke sitzen können, wenn Sie das wollen. Oder Sie singen mit und rennen mit mir in die Kirche. Andernfalls trinken Sie mit meinem Vater ein Bier, bis ich wieder komme. Er wird Sie nicht fragen, warum Sie hier sind. Wer stellt an Weihnachten schon eine so dumme Frage.

26 Kommentare zu “16. Türchen – Weihnachten ist Weihnachten ist Weihnachten

  1. Pingback: Weihnachten ist Weihnachten ist Weihnachten | Mitzi Irsaj

  2. Der Text gefällt mir sehr, lebendig, offen und mit einer Festigkeit, die durchs Leben tragen kann. Rituale und Chaos, ich käme gerne vorbei! Aber ihr dürft alle auch bei uns einkehren, wir freuen uns auch über Besuch. Warum ist alles so umständlich geworden für viele Menschen?

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    • Das freut mich. Vielen Dank! Digital leben wir ja alle einfach um die nächsten Ecke; analoge Begegnungen sind schwierig, weil die durchaus harmonische Runde im Teestübchen zu weitverstreut lebt. Von manchen weiß man nicht mal, wer, wohin freundlicher Weise einlädt. 😉

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    • Schön zu hören, dass auch andernorts die Türen an Weihnachten offen stehen. Manchmal wäre es gar nicht umständlich, sondern ganz leicht. Es freut mich, dass „mein Weihnachten“ nachempfunden werden kann. Herzliche Grüße.

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  3. den text habe ich schon vor einer weile gelesen und er hat mir wie auch beim ersten mal ein bisschen feuchte augen und eine menge gänsehaut beschert. genau so muss weihnachten sein. nicht von den fixpunkten, aber von den gefühlen. wenn ich irgendwann einmal an weihnachten einsam sein sollte, dann fahre ich zur mitzi.

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  4. Ja, die Kirche gehört zu Weihnachten dazu. Vorher gutes Essen mit einem gepflegten Roten und dann, kurz nach 21 Uhr, damit es noch Platz gibt, ab in die Kirche, klar, ebenfalls leicht beschwipst, weil am 24sten darf ich das, weil barolomäßig ich mir an diesem Tag keine Beschränkung auferlege … 😉

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