Vorgestern vor drei Jahren wurde Luc de Vos, Sänger der flämischen Rockgruppe Gorki, tot aufgefunden. Luc de Vos wird in Flandern verehrt, nach seinem Tod mehr als zuvor. Ein guter Sänger war er nicht, dafür ein um so besserer Texter. Das Lied „Mia“ (1991) hat in Belgien Kultstatus. Ich will etwas übersetzen und interpretieren. Hör und lies … MIA (Gorki)
Toen ik honger had / Kwam ik naar je toe
Je zei „Eten kan / Als je de afwas doet“
Ein lyrisches Ich kommt hungrig zu der Frau namens Mia, die offenbar der besseren Gesellschaft angehört, sie sagt „Du kannst essen, wenn du den Abwasch machst“ und spricht weiter: „Menschen wie du dürfen keine Schwierigkeiten machen. Gib ihnen eine Chance, bevor sie Dummheiten machen.“
Mensen als jij moeten niet moeilijk doen
Geef ze een kans voor ze stom gaan doen
Dann wieder der Sänger als allwissender Erzähler:
De middenstand regeert het land / Beter dan ooit tevoren
Der Mittelstand (das Bürgertum) regiert das Land, besser denn je zuvor
Mia heeft het licht gezien / Ze zegt „Niemand gaat verloren“
Mia hat die Erleuchtung / sie sagt: Niemand geht verloren
So weit so irrig. Offenbar hat sich der flämische Mittelstand in der Illusion eingerichtet, fest im Sattel zu sitzen und die Gesellschaft besser als je zuvor zu regieren.
Voorlopig gaan we nog even door
Op het lichtend pad / Het verkeerde spoor
Vorläufig wurschtelt man sich weiter durch auf dem verkehrten, aber erleuchteten Weg des Konsumblitzelingeling, findet nichts Schlimmes am Heer der Arbeitslosen, die am Rand der Gesellschaft ohne jede Perspektive ihr Leben fristen. Wir erinnern uns an die Attentäter von Paris, die aus dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek-Saint-Jean kamen. Belgien stellt in der EU prozentual den höchsten Anteil an Syrienkämpfern. Diese Nachfahren von Einwanderern sehen nach Auskunft eines Soziologen allein darin die Möglichkeit, sich zu bestätigen. Die Mahnung: Geef ze een kans voor ze stom gaan doen hat die bürgerliche Mitte nicht beachtet.
Das lyrische Ich fährt fort: Menschen wie mich findest du überall auf dem Arbeitsmarkt in diesem Tal der Tränen.
Mensen als ik vind je overal
Op de arbeidsmarkt / In dit tranendal
Sterren komen / Sterren gaan
Alleen Elvis blijft bestaan
Mia heeft nooit afgezien
Ze vraagt / Kun jij nog dromen
Sterne kommen, Sterne gehen, nur Elvis bleibt bestehen. Mia hat nie etwas entbehren müssen und fragt: „Kannst du noch träumen?“, was reichlich naiv ist, denn wer in ein Tal der Tränen geworfen ist, gibt irgendwann das Träumen auf.
Die Einsicht, dass beim Auf und Ab der Stars und Sternchen die einzige Konstante Elvis ist, überzeugt vor allem die Leute aus den Medien. Folglich hieß Alleen Elvis blijft bestaan im öffentlich-rechtlichen TV-Sender Canvas sogar eine popouläre TV-Sendung. Solche Aspekte zu vereinnahmen, ist der Mittelstand so gerne bereit wie auch das eigene Versagen zu ignorieren.
Ich hatte es schon wieder vergessen. In den Niederlanden ist de Vos erst nach seinem Tod und mit etwas Unverständnis wahrgenommen worden. Jetzt erinnere ich mich auch wieder, dass damals in einem Stadion die Anhänger der gegnerischen Teams gemeinsam Mia sangen.
Voorlopig gaan we nog even door
Op het lichtend pad / Het verkeerde spoor
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Danke für deinen Kommentar und den ergänzenden Kurzbericht. Tatsächlich ist de Vos über die Grenzen von Flandern hinaus so gut wie unbekannt.
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Manchmal lässt sich die Begeisterung, die in einem Land für einen bestimmten Künstler herrscht, von außen auch nur schlecht verstehen. Musikalisch unspektakulär, gesanglich, wie du schon sagtest, nicht der Kracher… und trotzdem scheint er einen Zauber besessen zu haben, der ihm die Menschen zufliegen ließ.
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Alle Reblogs und Adventskalender zu lesen wird mir wohl bissle zu viel. Bitte um Nachsicht.
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Jeder wie er möchte und kann.
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Ein Türchen zu einem Künstler der mir unbekannt ist. Ohne nachzusehen glaube ich mich aber daran zu erinnern, bei dir, lieber Jules, von ihm gelesen zu haben. War es genau jener Artikel? Ich könnte nachsehen, aber es ist nicht wichtig. Ich habe mir das Video gerne noch einmal angehört und jetzt beim zweiten Mal wird mir der Name wohl auch im Gedächtnis bleiben.
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Gut erinnert, liebe Mitzi, vor drei Jahren, wie an den älteren Kommentaren abzulesen. Der Text mit Video wurde in den letzten Tagen oft bei mir aufgerufen, so dass ich dachte, es wäre passend, ihn wieder hervorzuholen.
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Absolut 🙂
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In einem Artikel der Zeit las ich etwas darüber, dass Minderjährige und Jugendliche (auch aus dem Gymnasium) abhauen um in Syrien für die Einführung einer Scharia oder gegen das diktatorische System zu kämpfen. Junge Menschen mit kriegerischen Ansichten, die Gewalt für eine Konfliktbewältigungsstrategie halten. Leben sie ihre Träume? Und die syrischen Dschihadisten, angeblich vom Dschihad bekehrt. Wer oder was missionierte sie?
Der Song war mir leider nicht bekannt. Jetzt schon. Doch ‚Gorki‘ war mir ein vager Musik-Begriff. Zeitlos, was de Vos singt.
Was mich wieder zu der Frage hinbringt, wann genau Armut beginnt, wann die Traumlosigkeit einsetzt? Es geht mir gut, sang Westernhagen in den Neunzigern. Stimmt, solange zu essen, zu trinken, ein warmes Dach über dem Kopf, fließend Wasser und Toilette da ist. Was für ein Luxus denk ich dann und immer wenn man meint: es geht nicht mehr! Kommt von irgendwo ein Rosaflamingo mit einer Kerze auf dem Kopf daher.
Ich wünsche Dir einen schönen ersten Advent ✨
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Leider kann man noch ungefestigten Menschen leicht etwas in den Kopf setzen, auch dass es toll ist, für den IS zu kämpfen, Held oder Märtyrer zu werden. Schrecklich, dass derlei Träume sich oftmals als Alpträume entpuppen. Das Zeitlose an „Mia“ ist auch grenzüberschreitend, beispielsweise der „Arbeitsmarkt im Tal der Tränen“ ist unser Billiglohnsektor. Gerade in der Vorweihnachtszeit geraten wieder die Paketzusteller in den Blick. Ein Regierung, die Geschäftsmodelle zulässt, in denen Arbeitssklaven zu einem Hungerlohn schuften, ist erbärmlich. Nicht wenige haben kein echtes Dach überm Kopf, sondern schlafen im Auto.
Möge uns allen ein Licht aufgehen, nicht nur am 1. Advent.
Dankeschön und liebe Grüße!
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Danke Dir für Aufklärung, mir war der Sänger auch unbekannt. Zeit, seine weiteren Lieder nachzuschlagen.
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Freut mich, dass du Interesse zeigst. Vielleicht verstehst du polyglotter Mensch auch Niederländisch? „Mia“ bei 16:28:
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