Fünf Minuten Finsternis

Sonntagabend gegen 21 Uhr. Zack! geht überall das Licht aus. Urplötzlich sitze ich im Dunkeln. Im Zimmer ist es wirklich dunkel, weil auch die Straßenlaternen ausgegangen sind. Ich taste mich vor zu meiner Nachtkommode, worauf eine Taschenlampe liegt. Dann gehe ich ins Wohnzimmer, öffne das Fenster und schaue hinaus. Die Straße liegt im Finstern wie offenbar das ganze Viertel. Ich leuchte ein wenig herum. Drei, vier Nachbarn auf der anderen Straßenseite leuchten ebenfalls mit Taschenlampen. Im Rheinland wäre jetzt ein Rufen. Man würde sich einander vergewissern, doch hier bleibt es unheimlich still, bis auf ein böses Husten, von schräg unter mir. Alle anderen ergeben sich schweigend der befremdlichen Situation. Ich ahne, dass die Zivilisation einmal genauso wegfallen wird, ganz plötzlich ohne jede Vorwarnung. Von jetzt auf gleich wird nichts mehr sein wie zuvor.

Als Jugendlicher habe ich eine Weile Katastrophenmeldungen aus der Zeitung ausgeschnitten und in einem Weltuntergangs-Ordner gesammelt. Ich besaß Stiefel mir Fransen an der Schaftöffnung, die ich Katastrophenstiefel getauft hatte. Damit fand ich mich gut vorbereitet. Diese jugendliche Lust am Untergang geistert durch mancherlei Hirne. Katastophenmeldungen zu sammeln war und ist ein gern gewähltes Thema von Langzeitarbeiten im Projekt „Zeitung in der Schule.“ Manche konservieren die Lust am Untergang bis ins Erwachsensein und bereiten sich professionell auf die Apokalypse vor. Mitglieder dieser großen Szene heißen Prepper (von englisch to be prepared, deutsch ‚bereit sein‘). Nicht alle sind harmlose Spinner. Einige gehören der rechten Szene an und schmieden pubertäre Pläne zur Machtergreifung. Mitten im Weltuntergang wollen diese Leute die Macht ergreifen. Ich hoffe sehr, beim Weltuntergang finden die apokalyptischen Reiter Zeit, sie ordentlich abzuwatschen.

Ägyptische Finsternis in Linden-Mitte. Grad ist Zeit, über die Nachbarn nachzudenken. Was sind das für Leute? Ist ihnen zu trauen, wenn die Dunkelheit anhält? Oder brauchen die auch ein paar Watschen? Wenn ich an den Typen aus der Bäckerei denke, sehe ich schwarz. Ich entzünde ein Teelicht, – da plötzlich flammt das Licht wieder auf. Fünf Minuten Stromausfall. Das ging gerade noch gut.

52 Kommentare zu “Fünf Minuten Finsternis

  1. Es gibt das Buch „Black Out“, das sehr gut geschrieben, die katastrophalen Folgen eines Stromausfalls schildert. Gruselig. Im Grunde wie Herr der Fliegen – die Zivilisation geht Null Komma nix flöten, wenn es hart auf hart kommt. Fünf Minuten sind zu verkraften. Ich bin mir sicher, dass du, lieber Jules, im Dunklen keine Angst hast und eher neugierig die ungewohnte Situation betrachtest.

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    • „Black Out“ kenne ich leider nicht, liebe Mitzi, doch das Thema ist mir präsent. Am Telefon sagte ich meinem Sohn, dass ich den Akku der Taschenlampe gerade auflade, um auf den nächsten Stromausfall vorbereitet zu sein. Er sagte, dann sei ich wohl unter die Prepper gegangen, wovon ich vorher noch nichts wusste. Inzwischen habe ich recherchiert, wie die Prepper-Scene beschaffen ist. Dass da Rechtsradikale schon Todeslisten anlegen für den Fall ihrer Machtübernahme, hat mich schockiert.

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      • Vorbereit sein ist eines. Das sind viele ganz sicher zu wenig. Ich auch. Aber die Preeper Bewegung ist mir mehr als suspekt. Das was du beschreibst, macht mich sprachlos. Ekelhaft und beängstigend.

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  2. Ich kannte mal einen Religionslehrer, der mit 50 Jahren zwangspensioniert wurde und seitdem auf den Zusammenbruch der Zivilisation gewartet hat. Der Mann ist immerhin 77 Jahre alt geworden. Er hatte immer gute Gründe, warum es bislang noch nicht so weit war und war fest davon überzeugt, dass es bald losgeht. Ich vermute er hatte etwas davon. Vielleicht gaben sie ihm eine Erklärung für seine Ängste, die mit seinen Kriegserlebnissen als Kind zu tun hatten. Ängste von Verlust und Machtlosigkeit, die schon durch fünf Minuten ohne Strom, wachgerufen werden können.

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  3. Erdbeben von Roermond am 13. April 1992 . Wo warst du, als nachts die Erde mehrere Schläge tat? Ich erlebte, wie sich meine Matraze an deren Enden widersinnig bewegte, wie die Bilder runterkamen, wie ich die Wand neben mir nicht zu fassen bekam und wie dann die Stille um sich griff, ich ins Treppenhaus wankte und ich meinem Vermieter unten im treppenhaus bemerkte. Ich rief im Zu: „Ist der reaktor in Jülich explodiert.“ und er meinte nur trocken: „Quatsch, Aachen ist Erdbebengebiet. Kein Grund zur Beunruhigung.“ 24 Stunden später gab es einen Nachschlag, der mich aufweckte. Das war es dann.
    Vor ca. vier Jahren gab es morgens einen Blackout in meinem Münchner Viertel. Für mich nichts weltbewegendes. Jedoch mein Kollege hatte es anders erlebt. Seine Wohnung war komplett elektrifiziert: die Jalousien gingen nicht automatisch hoch, das Licht nicht an, die Dusche blieb kalt. Er musste seine Vorbereitung im Dunkeln treffen, um zur Arbeit zu kommen.
    Letztens streikte mein Internet-Provider. Effekt bei mir: kein TV, keine Lichtsteuerung mittels Alexa, kein Radio (analog wurde wie TV abgeschaltet), mein Computer bockte, weil er nicht ins Internet konnte.
    Jetzt lass mal den Strom generell weg, dann ist das Internet eine Erinnerung im Nirvana, genauso wie mein Post …

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    • Danke für diese Berichte. An das Erdbeben erinnere ich mich gut. Ich schaltete das Radio ein, um zu hören, was los war, aber auf dem WDR lief nur das Nachtprogramm und das kam in dieser Nacht aus Berlin, Auf HIlversum III lief eine alberne Quizsendung, bei der ständig Leute wegen des Erdbebens anriefen. Die Moderatoren steckten je Anrufer einer Nadel in eine Karte. Da zeigte sich wohl irgendwann, wo das Epizentrum war, irgendwo auf der Höhe von Heinsberg,

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      • Das Epizentrum war unter Heinsberg. Eine Kneipe diente als Indikator der Auswirkungen des Erdbebens. Sonntag morgens um 3:00 in einer Kneipe in Heinsberg. Verstehe mich nicht falsch, aber die Erfahrung weiß zu sagen, was in der Kneipe sich abspielte. Bier, Bier, Bier, bierdimpfelnd … Und dann kam das Erdbeben hinzu, welches aus einer dubiosen Kneipe den Quell der real existierenden Zeugen machte. Nebenbei, NRW hatte zwar versprochen zu helfen, aber es kam im Endeffekt außer Papierkram nichts bei rum. Die Leute in Heinsberg waren sauer, weil gerade deren Gebäude in Mitleidenschaft gezogen waren und die NRW-Regierung gleich den Blanko-Scheck vor der Presse gezückt hatte. Und der Scheck w<r so etwas von blanko. Nur 2008 waren Banken blanker …

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