Gastautor Manfred Voita erinnert an den Fernschreiber.
Alle da? Können alle sehen? Okay. Dann mal los. Das hier ist historische Technik, die gibt es in freier Wildbahn überhaupt nicht mehr. Die bietet Ihnen nur das Technikmuseum. Nicht ganz so nah heran, wenn ich bitten darf. Da in der Ecke? Das ist ein Fernschreiber. Alte Technik erkennen Sie nämlich schon am Namen. Plattenspieler. Tonbandgerät. Fernschreiber. Und jetzt kommen Sie mir nicht mit Einwänden wie Telefon und Grammophon und Pipapo. Noch bei jeder Führung war einer dabei, der alles besser wusste und das auch nicht für sich behalten konnte. Ist der Saal auch noch so klein, einer muss der Kasper sein.
Versunkene und versinkende Kommunikationstechnik… also ich habe noch damit gearbeitet. Und jetzt schauen Sie mich nicht so an, als würde ich gleich auch noch ein Hufeisen schmieden und Holzschuhe zurechtzimmern.
1875 erfunden, rund 100 Jahre später eine große Nummer in der Unternehmenskommunikation und heute aussortiert. Steht gleich neben dem Mikrofilmlesegerät. Telex? Sagt Ihnen auch nichts mehr? Ein modernerer Name für den guten alten Dienst. Die Telexnummer stand in den siebziger Jahren auf jedem Lkw, so, wie… Fax? Sagt Ihnen Fax noch was? Gut, die Faxnummer, die steht ja auch unter der Telefonnummer. Da stand früher die Telexnummer. Größere Betriebe hatten sowas. Das war ein eigenes Netz.
Irgendwo im Betrieb, bei uns war das eine Nische im Erdgeschoß, stand der Fernschreiber. Ein richtiges Möbelstück mit eingelassener Tastatur, Endlospapier wie früher bei den ersten Nadeldruckern. Ach, kennen Sie auch nicht mehr? Und eine Wählscheibe, wie beim richtigen Telefon. Also dem von früher. Das man nicht mehr das Fräulein vom Amt brauchte, das war auch schon alles.
Zwei Betriebsarten: Ich setze mich ran und schreibe meinen Text, der auf einem Lochstreifen erfasst wird. Offline sozusagen. Natürlich schreibe ich nur Großbuchstaben. Oder Kleinbuchstaben. Aber Fernschreiben sind ja immer wichtig, Kleinbuchstaben gehen da ja nicht. Anschlag wie bei der Schreibmaschine.
Text fertig. Die Lochstreifenrolle einlegen, dann die Telexnummer des Partners wählen – und ist die Verbindung hergestellt, geht es ruck zuck. Der Lochstreifen läuft durch, blitzschnell wird der Text übermittelt, der auf der anderen Seite über den Fernschreiber ausgegeben wird. Stellen Sie sich das vor wie eine Nähmaschine mit Netzanschluss. So vom Klang her.
Ist es aber dringend, weil wir eine Auskunft über einen Kunden brauchen, der uns einen Auftrag erteilen will, dann setze ich mich an das Gerät, wähle die Nummer und schreibe „online“. Der Partner, so er denn anwesend ist, liest mit und antwortet direkt. Kurze Fragen, kurze Antworten, hektisch geschrieben, denn die Verbindung ist teuer.
Weiß auch keiner mehr. Früher kostete das Telefonieren Geld, also richtig, pro Minute und tagsüber noch mal mehr als nachts. Der Kostenrechner schaute da schon drauf, wer wann wie lange telefonierte oder gar fernschrieb. Falls es das Wort gab.
Damals, als die Welt noch schwarzweiß war, ratterten die Fernschreiber in den Zeitungsredaktionen und in den Reedereien, in den Speditionen und bei der Polizei. Ganz große Sache. Und heute? Kommt einem vor wie Steampunk. Mir ja auch. Und richtig schlimm ist es auch nicht, wenn Sie so ein Ding nie gesehen haben. Mehr als 150.000 hat es davon in Deutschland nicht gegeben. Wir haben fast 1,5 Millionen Millionäre im Land und die kennen Sie ja auch nicht. Also, weitergehen, hier passiert nichts mehr.
So könnte ich mir das vorstellen. Bei Wikipedia gibt es das Bild eines Gerätes, mit dem „wir“ gearbeitet haben:
Foto: Wikipedia – Text: Manfred Voita
Danke für die launige und lehrreiche Führung, lieber Manfred. Ergänzend: Das deutsche Wort für Telefon ist ja Fernsprecher, ein Wort kurz vor dem Aussterben. Ich habe es schon ewig weder gehört noch gelesen.
LikeGefällt 3 Personen
„Herr Kasuppke?“
„Am Apparat!“
Fernsprechapparat. Telefonapparat. Fernsehapparat. Schallplattenapparat….
LikeGefällt 1 Person
Mein alter Chef pflegte eine eigenartige Sprache. Wenn er ein Gespräch für seinen Sohn angenommen hatte, rief er: „Theo! Am Apparat!“
LikeGefällt 1 Person
Das Wort „Fernsprechauskunft“ ist auch versunken.
LikeLike
Danke für den amüsanten und lehrreichen Text! Möchte aber daran erinnern, dass nicht alle im Text genannten Gerätschaften bereits ausgemustert sind. Der Plattenspieler war nämlich nicht nur stets – freilich in ausgewählten Haushalten und Etablissements – in Betrieb, sondern erfreut sich derzeit einer auch kommerziell relevanten Renaissance. Das größte Medienkaufhaus Berlins beispielsweise hat beim letzten Umbau eigens einen eigenen Bereich für Schallplatten (wieder) eingerichtet.
LikeGefällt 4 Personen
das ist mir auch schon aufgefallen….
LikeGefällt 1 Person
Ich weiß, dass Puristen auf die Vinyl-Schallplatte schwören, ihren Klang wärmer fnden als den einer CD. In den Großstädten haben sich darum Plattenläden erhalten, getreu dem Motto: Totgesagte leben länger.
LikeGefällt 1 Person
Und vor allem sieht man daran, dass in Zeiten fortschreitender Digitalisierung und Computerisierung die Freude am wohlgearbeiteten, ästhetisch ansprechenden Objekt wieder zunimmt.
LikeGefällt 2 Personen
Für uns vom bildenden Fach interessant: Auf Plattencovern ist Platz für die Gestaltung. Hier habe ich mich in den 1990-er Jahren noch austoben können:
LikeGefällt 2 Personen
Beeindruckend! Die Möglichkeiten der Covergestaltung sind sicher mit ein Grund für das Revival.
LikeGefällt 1 Person
Hach, wie schön. Danke für die anschauliche Museumsführung!
Oh, ich sehe, der Fernschreiber besitzt sogar eine „Wählscheibe“.
Auch dieser Begriff befindet sich im Lexikon der verschwundenen Wörter.
LikeGefällt 3 Personen
Ich habe noch das hübsche Geräusch im Ohr, wenn man die Wählscheibe gedreht hatte und sie zurückschnurrte.
LikeGefällt 2 Personen
Die Lochstreifen waren vor meiner Zeit. Aber nicht so lange, als dass ich sie von Besuchen im Büro meiner Mutter nicht mehr vor Augen hätte.
Eine schöne und launige Zeitreise.
LikeGefällt 3 Personen
Würde ich auch gern von mir sagen können 😉 Allerdings kenne ich Fernschreiber nur aus dem Printmedium. Ich bin ganz deiner Anschicht: Eine lebendige Führung durch eine versunkene Zeit hat Manfred geschrieben.
LikeGefällt 1 Person
Eine schöne Idee mit den Gastbeiträgen.
LikeGefällt 1 Person
Wenn du etwas zur Rubrik beisteuern willst, gerne.
LikeGefällt 1 Person
Wenn es sich ergibt, gerne. Ich sehe es gibt schon den zweiten Gastbeitrag.
LikeGefällt 1 Person
Irgendwas Bürotechnisches vielleicht?
LikeGefällt 1 Person
Ich halte die Augen offen, lieber Jules.
LikeGefällt 1 Person
Pingback: Von Gestern | Manfred Voita
Interessanter Beitrag! Natürlich kann man den Fortschritt auch an dem messen, was dafür in Verlust geraten ist. In den letzten Jahrzehnten sind vielen einfache Geräte mit langer Lebensdauer abgelöst worden durch hochkomplizierte Apparate, die immer selbsttätiger werden und den Anteil des Menschen immer weiter zurückdrängen. Aber klappere ja hier auch nicht mehr auf der Schreibmaschine…
LikeGefällt 1 Person
In dieser Weise wertend ist die Rubrik und erst gar nicht der Beitrag gemeint. Es ist richtig, dass wir Gewinne auf der einen Seite immer mit Verlusten auf der anderen bezahlen. Aber wer wollte den Beweis führen, dass Fernschreiber besser waren als die E-Mail etwa? Was die Komplexität der Apparate betrifft: Ich erinnere mich noch gut an eine Buchreihe zur Autoreparatur „Jetzt helfe ich mir selbst“, wo genau gezeigt war, wo und wie man bei Defekten Hand anlegen musste. Das ginge bei einem heutigen Auto nicht mehr, weil es einfach zuviel kann, demgemäß zu komplex konstruiert ist.
LikeGefällt 1 Person
Hallo Jules, vielleicht ein interessantes Thema für Dich…ich habe heute von Unitymedia eine Weihnachtspostkarte erhalten, die sah wie mit der Hand geschrieben aus.
Daraufhin habe ich gegoogelt…
https://www.kmu-marketing-blog.de/2016/05/roboter-schreibt-postkarten-handschriftlich-fueller-tinte/
LikeGefällt 1 Person
Dankeschön für den Hinweis und den Link, liebe Ann. Man hätte sich denken können, dass das irgendwann blüht.
LikeLike
Erstaunlich – oder nicht – die Anzahl der Millionäre zur Anzahl der damaligen Fernschreiber.
Auch wir hatten bei ca. 600 Mitarbeitern nur ein Telexgerät. Und das stand in der Einkaufsabteilung.
LikeLike
Unser familiengeführtes Unternehmen (100 Jahre und paar zerquetschet Bayern Jahre …) lässt auf unseren Visitenkarten weiterhin eine Fax-Nummer aufführen. Jedoch führt die Fax inzwischen auf eine personalisierte Faxadresse (heisst: das Fax erscheint im Email-Postfach). Das letzte mal das ich in den 16 Jahren meiner Firma ein Fax erhielt ist inwzischen 15 Jahre her … aber, hauptsache, … das erweitert die Zeilen auf der Visitenkarte …
LikeLike