Hier warten ja zum Glück keine Blechbläser. Man muss auch vergessen können. Wenn man zum Beispiel schöpferisch arbeiten will, darf man sich nicht dauernd mit alten Erinnerungen und Erfahrungen belasten. Dann kann man keine neuen gedanklichen Wege gehen. Eine Romantisierung der Vergangenheit liegt mir sowieso fern. Als Kind fand ich im Liboriusblatt eine Bastelanleitung für eine Sternenhimmel- Beobachtungsstation. Ich hab sie eifrig nachgebaut, doch irgendwie fehlte in der Anleitung das Wichtigste. Wie kriege ich den Sternenhimmel in meine Beobachtungsstation gespiegelt? Ich habe das ganze Liboriusblatt abgesucht, ob sie vielleicht die Seiten vertauscht hätten und die Anleitung noch irgendwo weiter ging. Leider blieb meine Beobachtungsstation unvollendet. Und darüber war ich noch lange Zeit enttäuscht. Wie einfach hingegen kann ein heutiges Kind sich die wunderbarsten Weltraumbilder im Internet angucken.
Du hast Recht. Wenn wir jetzt in den Sternenhimmel schauen, kann uns das Internet gestohlen bleiben. Von unten auf dem Bahndamm aus gesehen ist der Sternenhimmel kein astronomischer Untersuchungsgegenstand, sondern eine unermesslich hohe Halle, in der ferne Lichter funkeln. So einsam und mausklein unterm Himmelszelt packt einen die Ehrfurcht vor den Dimensionen. Man muss nur lange genug hoch schauen.
Am 12. April 1961 wurde der sowjetische Kosmonaut Juri Alexejewitsch Gagarin als erster Mensch ins Weltall geschossen. Er hat dort oben auch nach dem lieben Gott Ausschau gehalten und später gesagt, er hätt ihn nicht gesehen. Seither hoffen ja manche, dass dann wenigstens Außerirdische die Erde umkreisen mögen, ein waches Auge auf alles haben und gegebenenfalls herunter kommen, um die Fehler ausmerzen, die der Mensch begangen hat.
Wir sind jetzt auf der Höhe von Frixheim. In Frixheim hat man keinen Kirchturm, darum können wir das kleine Dorf nicht sehen. Hier ist der Bahndamm breit genug, dass ein Ufo gut landen könnte.
Ein Brausen in der Luft, sphärisches Sirren und irrwitziges Lichterspiel. Wir halten uns die Ohren und stehen starr vor Staunen. Da holt man uns auch schon über eine Rampe herein, wir „passieren mehrere Walzen und tauchen in Säure. Dann kommen wir mit einigen Leichen in nähere Berührung.“ Nachdem man unsere geistige Struktur untersucht hat, kriegen wir den großen Raddada zu sehen. Der schickt uns wieder in die Welt zurück mit der Weisung: „Malen Sie Flamingos!“
Du wunderst dich? Ja, wissen wir denn, welche Wertvorstellungen Außerirdische haben? Dem Maler Sigmar Polke ist es jedenfalls so ergangen. Zuerst haben ihm höhere Wesen befohlen, bei einem Bild die obere Ecke rechts schwarz zu malen, dann haben sie ihm gesagt: Malen Sie Flamingos! Vielleicht finden die fürsorglichen Außerirdischen es am besten, wenn die Menschen den ganzen Tag Flamingos malen. Dann würden der Welt die anderen Untaten erspart bleiben.
Demnächst: Flamingo-Tag im Teestübchen
Zeichne, male, fotografiere, sticke Flamingos, finde Fotos im Internet (Vorsicht: Urheberrecht, darum obere rechte Ecke schwarz malen, dann ist das Bild ein Kunstwerk).
Und jetzt: Vom Strategischen Bahndamm zum Bett ist es nur die Ecke rum. Ich bin unfassbar müde. Morgen will ich die Kommentare in Ruhe lesen, antworten und noch einiges verbessern an unserem Internet-Gesamtkunstwerk. Schön, dass du mitgekommen bist.
Gute Nacht.