Meuters Fluch – Gruselerzählung in Folgen (1)

Kein Mensch hat mich je mehr gegruselt als Kinomann Meuter. Er lebte in unserer Straße auf nur einem Zimmer. Man sah ihn selten. Wenn er nicht in seinem Kino war, saß er auf seiner Bude, zwischen Vorführgeräten, Kabelrollen, Röhren, Filmdosen und ungezählten Ersatzteilen, schraubte und lötete und war sich selbst genug. In seinem Zimmer war kein Platz für Dinge, mit denen sich ein normaler Mensch umgibt. Außer ein paar Kleidungsstücken besaß er nur seinen Kinokram. Ich sah das, nachdem mein Vater gestorben war. Und erst dann gruselte mich Kinomann Meuter. Als mein Vater gestorben war, nahm meine Mutter allerlei Arbeiten an. Sie half dem Bauern von gegenüber auf dem Feld, sie putzte die Kirche und die Schule, sie kochte für Leute, die ein Fest zu feiern hatten, und plötzlich auch für Kinomann Meuter. Er wurde für die Zeit der Wintermonate bei uns Kostgänger, kam täglich zu Mittag, wenn das Essen auf dem Tisch stand, grüßte ergeben, nahm seine Baskenmütze vom Kopf und setze sich verlegen lächelnd zu uns. Schon diesen fremden Mann am Tisch zu haben, empfand ich beunruhigend. Da hätte ich lieber meinen Vater gesehen, doch der war ja einfach gestorben.

Zu meinem Unglück war Kinomann Meuter ganz anders als die Leute aus dem Dorf. Niemand wusste, woher er eigentlich kam. Er nahm nicht am dörflichen Leben teil und war nie in der Kirche gesehen worden. Beim Mittagsgebet, wenn wir die Hände falteten, dann legte er seine auf befremdliche Weise ineinander und schaute stumm nach oben, so als wäre er beim Händewaschen in Trance gefallen. Offenbar gehörte er irgendeiner Sekte an, doch davon hatte ich als Kind noch keinen Begriff. Ich wusste nur, dass er nicht in den Himmel kommen würde, weil er nicht richtig zu beten verstand. Statt ordentlich mitzubeten erzählte er beim Essen von seltsamen Dingen, wahren Geschichten von Geistererscheinungen und anderen mystischen Erfahrungen, die er gemacht hatte. Natürlich kannte ich nicht einmal das Wort „mystisch“, sondern wusste gar nicht wohin damit. Meine Mutter hörte sich seine Berichte höflich an, und wenn er weg war und wir sie beunruhigt fragten, was Meuters Erzählungen zu bedeuten hätten, dann sagte sie wegwerfend: „Dolle Käu“ (das zu Kauende), was soviel bedeutet wie sinnloses Gerede.

Dieser dolle Käu hat mich jedoch unglaublich geängstigt und in meine Träume verfolgt. Oft lag ich wach und wagte kaum zu atmen, weil ich nicht wusste, wer oder was da in der Finsternis auf mich herabschaute. Das Erwachen war nicht angenehmer. Da sah ich im Faltenwurf der Zudecke liegende Löwen und anderes Ungetier, und oft musste ich nach meiner Mutter rufen, damit sie mich aus meiner Angst erlöste. Ich entwickelte Panik, allein in einem dunklen Zimmer zu sein, und später, als ich eine Taschenlampe besaß, da beleuchtete ich unentwegt die Türklinke, bis ich über dem Starren und Mutmaßen einschlief. Diese Angst verlor sich erst in meiner Pubertät. Das wurde mir nicht leicht gemacht, denn nachdem wir in eine Dachwohnung der Schule umgezogen waren, schlief ich eine Weile im Bett eines Toten.

Fortsetzung

11 Kommentare zu “Meuters Fluch – Gruselerzählung in Folgen (1)

  1. Oh, die Panik, als Kind allein im dunklen Zimmer in einem knarrenden Altbau (tatsächlich sogar neben einem Kino) unterm Dach schlafen zu müssen, kenne ich, und sie bleibt mir unvergessen. Das Lichtspiel der Autos an der Decke und den Wänden und ein dunkler mächtiger Kleiderschrank machten mir Angst. Denn ich war ganz allein da oben, während meine Mutter bis spät in der Nacht arbeitete.

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  2. Für ein Kind sicher ein sehr unheimlicher Mann. Zumal er an deines Vaters Stelle, oder doch zumindest am Tisch, saß.
    Da ich mich als Kind oft gruselte, lieber Jules, kann ich gut nachempfinden. Auch, dass nicht groß erklärt wurde. Kinderängste, die waren normal.

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