Das unrühmliche Ende einer Engeltasse

Meine Engeltasse ist zerbrochen. Vor Tagen hantierte ich ungeschickt mit dem Kaffeefilter aus Porzellan und dem Wasserkocher, und wie es manchmal ist, wenn man ein Unglück verhindern will: Alle Handgriffe erweisen sich als falsch, fahrig ist das passende Adjektiv, und richten nur weiteres Chaos an. Es war eine rasche Abfolge von Fehlhandlungen, die ich rückblickend nicht mehr rekonstruieren kann, in deren Folge der Kaffeefilter umfiel, die Engeltasse ebenfalls, sich eine Kaffeelache ausbreitete, über die Kante des Arbeitsfläche floss und zu Boden tropfte. Warum die Engeltasse ebenfalls zu Boden fiel und zerschellte, entzieht sich meiner Kenntnis. Vermutlich hat sie nur auf einen günstigen Augenblick gewartet, sich aus meinem Leben zu entfernen, denn ich schätzte sie schon eine Weile nicht mehr. Ich hob die Scherben auf und warf sie ohne Umschweife in den Müll. Die Geschichte der Engeltasse ist rasch erzählt:

Im September 2006, heute könnte man sagen vor zwölf Jahren, besuchte mich in Aachen die liebreizende Bloggerin Mikage, eine spätberufene Jurastudentin aus Berlin. Am Tag ihrer Abreise stöberten wir noch in einem Laden für Geschenkartikel nahe der Alten Post. Dort kaufte sie mir die Engeltasse, auf dass ich sie immer in Erinnerung haben sollte. Ob dieser Hintergedanke für sie eine Rolle spielte, weiß ich nicht. Aber in der Folgezeit, in der die eher flüchtige Fernbeziehung zerbrach, in dieser Zeit und nach meinem Umzug nach Hannover begleitete mich die Tasse und war ein wesentliches Element meines Frühstücks, denn es passte ordentlich was an Kaffee rein. Wenn ich ihn aufgoss, konnte ich zweimal in den Filter nachgießen. Ich dachte nicht bei jedem Frühstück an Mikage, aber immer wieder. Jetzt ist die Tasse weg, und über alles kann sich die Gnade des Vergessens breiten.

39 Kommentare zu “Das unrühmliche Ende einer Engeltasse

  1. Ich stimme meertau zu.
    Zum einen die Engelin, niedliches Kindchenschema, dann das Konzept, ein Geschenk auszuwählen, das man regelmaessig in die Hand nehmen soll……. hört sich nach vorsichtig ausgelegtem Spinnennetz an.;-)

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  2. Lieber Jules,

    Manche Dinge sind beständiger als fragile Fernfreundschaften und überdauern um Jahre.
    Doch alle Dinge haben eben auch eine Lebenszeit und dieses Ding hier beschloss, kaputtzugehen, warum auch immer. Vielleicht, weil es an der Zeit war für eine andere Tasse oder endlich mehr Platz im Schrank?
    Oder vielleicht sogar, damit ihre Porzellanscherben Dir Glück bringen?
    Wer weiß… 😉
    Liebe Grüße von der Fee

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    • Liebe Fee,
      danke für deinen verständigen Kommentar. Ich weiß nicht, wie es zugeht, aber schon mehrfach habe ich erlebt, dass dem Verlust von Dingen eine innere Distanz vorausging. Nachdem ich ein Fahrrad nicht mehr mochte, wurde es gestohlen. So war es auch mit der Tasse. Sie ging kaputt, als ich nichts mehr mit ihr verband. Dass mir ihre Scherben Glück bringen, ist eine hübsche Idee.
      Lieben Gruß,
      Jules

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  3. Seit ich diesen Blogeintrag gelesen habe (das war ungefähr 5 Minuten nach der Veröffentlichung) sinne ich darüber nach, Dir eine Tasse zu schicken. In jedem Geschäft gucke ich die Tassen an und vergleiche: Ist sie groß genug? Ist der Aufdruck (oh ja, es muss ein Aufdruck drauf sein!) engelsadäquat? Ist die Aussage des Aufdrucks angemessen für einen Morgenkaffee? „Normale“ Tassen kommen da gar nicht infrage. Heute hatte ich eine Tasse in der Hand, die Deine Engelstasse noch übertraf. Sie fasste ca 0,75 Liter und war mit rosafarbenen Einhörnern bedruckt…

    …ich hab mich nicht getraut. Ich will nicht, dass Du irgendwann SO einen Nachruf auf mich schreibst, weil Dir Deine Einhorntasse runtergefallen ist…

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    • Das ist sehr freundlich von dir, liebe Feldlilie, aber wirklich nicht nötig.. Einstweilen genieße ich, Keffee zutrinken, ohne dabei an eine Frau denken zu müssen. Was die Engeltasse betrifft, funktioniert „aus den Augen aus dem Sinn.“ Derzeit trinke ich aus einer Tasse, die ich mal ganz unverfänglich von der FAZ bekam. Sie ist wie ab 0:44 im Video zu sehen, eine echt magische Tasse.

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      • Ich weiß, dass es nicht nötig ist. Es ist die Art, wie ich denke: „Jemand hat seine Tasse kaputt gemacht. Er braucht eine neue“. Da Du mich nicht real kennst, müsstest Du auch nicht an mich denken (und selbst wenn, müsstest Du nicht. Es ist die fehlende Tasse, die mich in Gedanken beschäftigt hat. Nicht, wie ich mich auf Deinen Frühstückstisch schmuggle)
        Und ich hab es ja auch nicht gemacht. Obwohl ich in Gedanken immer noch bei dieser Einhornmonstertasse bin…

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