Der Wetterexperte rät: In der Mittagshitze keinen schwarzen Wollschal tragen!

Ich gestehe, auch ich habe kürzlich das Wort „Mittagshitze“ benutzt und bin damit auf dem Wissensstand des Frühmittelalters. Das jedenfalls unterstellt der in Ungnade gefallene Wetterexperte Jörg Kachelmann über seinen Twitteraccount den deutschen Medien. Natürlich habe ich den Account von Jörg Kachelmann nicht abonniert. Ich habe meine Twitter-Mitgliedschaft sowieso längst gelöscht. Es gibt aber Leute, die lesen, was Kachelmann via Twitter von sich gibt, beispielsweise der Mediendienst meedia und zitiert Kachelmann: “Deutschland mit dem Wissensstand des Frühmittelalters. Dank Medien auch 2018 im Felde der bildungsfernen Vertrotteltheit und Falschinformation unbesiegt.” Nicht am Mittag sei der Zeitpunkt der größten Hitze, sondern zwischen 17 und 18 Uhr. Es wären darum schon Leute gestorben, twittert Kachelmann. Man denkt an hitzeempfindliche Personen, die mittags brav zu Hause waren und am Nachmittag ganz arglos rausgegangen sind, um einzukaufen. Bautz! Bautz! Bautz! Wieder Opfer der Medien, weil sie ständig von „Mittagshitze“ schwafeln.

Mit Schal in der Mittagshitze – Screenshot via meedia


Mit der Bildmontage eines Kachelmann-Fotos und einem Screenshot der Twitter-Botschaft leistet sich meedia eine subtile Bosheit und zeigt, mit welchen Bandagen gekämpft wird, wobei meedia den Verlust der Glaubwürdigkeit billigend in kauf nimmt. Die absurde Montage entwertet Kachelmanns Aussage. Denn wer ist töricht genug, sich bei 32 Grad einen schwarzen Schal um den Hals zu wickeln? Nur ein Tor. So ein Schal kann gewiss tödlich sein, selbst wenn die sogenannte Mittagshitze zwei bis drei Grad niedriger als die Nachmittagshitze ist. Wer jedoch nachschaut bei Twitter, findet das Foto von Kachelmann mit Schal nicht. Da zeigt er sich im T-Shirt.

Was Kachelmann bekämpft, ist eine sprachliche Floskel, ein Topos. Selbst das Deutsche Wörterbuch, das allgemein zugängliche Sprachlexikon, das am weitesten in die Vergangenheit zurückreicht, verzeichnet ganz arglos sogar die „MITTAGSGLUT“, und unter „MITTAGSHITZE“ finden sich viele literarische Belege, zu Nachmittagshitze aber nicht; nur „NACHMITTÄGIG“ ist verzeichnet, und wer hats verwendet? Wer läuft rum in der schlimmsten Hitze? Goethe: „unsere nachmittägigen spaziergänge.“

Jetzt ist das Deutsche Wörterbuch gewiss nicht frei von Fehlern. Der berüchtigtste: „BLINDSCHLEICHE, eine binde, giftige Schlange.“ Es ist ein viel belachter Fehler der Grimms. Allgemein ist auf unsere Sprache Verlass. Sie enthält die Erfahrungen von Generationen, eingegossen in Wörter oder feste Wortwendungen, so dass ich oft geneigt bin zu denken, die Sprache ist klüger als ihre Benutzer, zumindest klüger als ich, was natürlich nur ein Bild ist, denn Klugheit unterstellt ja Absicht, und absichtsvoll ist Sprache nicht, obwohl ihr oft Lebendigkeit bescheinigt wird.

Wieso kennen wir also die Wörter „Mittagsglut“ und „Mittagshitze?“, aber nicht die korrektere „Nachmittagshitze?“ Kachelmanns informative Seite Kachelmannwetter.com weist heute für Hannover folgenden Temperaturbalken aus:

Zum Vergrößern: Klicken

Der Morgen startete um sechs Uhr mit 18 Grad. Was der Mensch als Hitze empfindet, beginnt bei 13 Uhr, nämlich 31 Grad, das ist ein Sprung von angenehmen 18 um 13 Grad auf die schon unangenehmen Grade nahe der eigenen Körpertemperatur. Dass sich zwei Stunden später sogar 33 Grad messen lassen werden, nimmt der unter Hitze stöhnende Mensch kaum noch als Unterschied wahr. Der Mensch ist kein Thermometer. Selbst seine eigene Körpertemperatur kennt er nur ungenau, es sei denn, er würde sie messen. Da der Beginn der gefährlich heißen Phase mit dem Sonnenhöchststand zusammenfällt, ist es nicht falsch, die Wörter MITTAGSHITZE und -GLUT zu verwenden. Außerdem hatte ich „in der größten Mittagshitze“ geschrieben, was ja nicht ausschließt, dass es nachmittags noch heißer war.
Puh, [stirnabwisch]! Noch mal Glück gehabt!

30 Kommentare zu “Der Wetterexperte rät: In der Mittagshitze keinen schwarzen Wollschal tragen!

  1. Die Fotomontage mit dem schwarzen Wollschal ist schon eine Gemeinheit 🙂 Abgesehen von der sprachlichen „Mittagshitze“ weiß ja aber doch jeder Mensch, dass es am Nachmittag heißer ist als zu Mittag. Derzeit dürfte es aber im Norden schon ziemlich egal sein ….

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    • Ich hatte schon angesetzt, mich über das Foto lustig zu machen, weil ich dachte, es gehöre zu Kachelmanns Tweet. Zum Glück habe ich bei Twitter nachschauen können und merkte, dass die Montage von Meedia stammen musste. Kachelmanns Kritik richtet sich ja gegen die Form von Journalismus, die ich „Schreiben ohne Denken“ nenne. Ich habs mal im Zusammenhang mit den blöden Synonymen für Fahrrad kritisiert:
      „Nicht jeder kann sich leisten, etwas wegzuwerfen. Mancher hat einfach nicht soviel im Kopf. Sieht er ein Wort wie Fahrrad, greift er intuitiv in eines seiner wenigen Sprachkästchen und holt den Drahtesel oder das Stahlross hervor. Findet’s immer noch prima oder wenigstens gut genug oder denkt: Na ja, was Besseres gibt’s halt nicht auf dieser Welt, – und gibt zum zehntausendsten Mal denselben despektierlichen Altmännerwitz in Druck. Bitte diese Sprachschublade nicht mehr öffnen. Sie enthält dummes Zeug.“

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  2. Der Kachelmann ist doch mal wieder was aus der Rubrik Klugscheißer und Besserwisser. Selbstverständlich empfindet Mensch die Hitze um die Mittagszeit am stärksten. Die Sonne steht am höchsten, es gibt folglich am wenigsten Schatten, die Verweildauer unter Sonneneinstrahlung ist also mutmaßlich Mittags am größten. Wenn man denn unterwegs ist bei diesen Temperaturen. Aber darum geht es ja wohl.

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    • Mir kommt er eher vor wie der „Rufer in der Wüste“, der vom Journalismus den meteorologisch korrekten Sprachgebrauch einfordert. Weil das nichts bringt, wird seine Sprache immer heftiger. Deine Erklärung vom geringsten Schattenwurf bei Sonnenhöchststand, klingt plausibel, wobei das innerstädtisch, wo Schatten von der Bebauung, Bepflanzung und dem Straßenverlauf abhängt, selten eine Rolle spielt. Die Straße vor meinem Haus liegt beispielsweise ab Mittag im Halbschatten.

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      • Gefühlt gehe ich bei Hitze lieber nachmittags um fünf raus, als Mittags um eins, eben weil der Schatteneffekt eben doch einen großen Unterschied macht. Je südlicher man unterwegs ist, etwa in Städten des Mittelmeerraums, desto eklatanter ist übrigens die Differenz der Schattenbildung. Da steht die Sonne Mittags buchstäblich senkrecht und keine noch so hohe Häuserwand spendet Schatten. Kachelmann steht wahrscheinlich seit seinem Prozess und der Berichterstattung darüber auf Kriegsfuß mit „den“ Medien. Kann ich sogar verstehen. Nur kann er eben, eitel wie er ist, sich nicht zurück ziehen.

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        • Wir reden ja von unseren Breiten. Ob es bei Kachelmann um Eitelkeit geht, können wiraus der Ferne sowieso nur vermuten. Der Prozess und die mediale Aburteilung waren gewiss auch existenzbedrohend. Entsprechend kämpft er darum, sich mit seiner Wetterseite eine neue Existenz aufzubauen. Sein zuweilen heftiger Ton fordert immer wieder entsprechende Reaktionen heraus. Aber Klappern gehört halt zum Handwerk.

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  3. Gleich geht’s los zum Training. Allerdings nicht vor 14 Uhr, denn da steht die Sonne etwas niedriger und im gebückten Gang kann man in der städtischen Steppe den länger werdenden Schatten nutzen, unbehelligt der Sonnenglut zu trotzen.

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  4. Hmmm… weißt Du… vor vielen Jahren (richtig vielen), damals, als sich die Familie noch am Samstag versammelte, um gemeinsam eine Sendung in einem der drei vorhandenen Sender zu gucken, beschwerte sich ein ungeneigter Zuschauer, man solle doch bitte nicht „Samstag in acht Tagen“ sagen, schließlich heiße es „Sonnabend“. Der Moderator der Samstagaendshow (es war der mit den vielen Ös) knickte irgendwann ein und verabschiedete sich fürderhin mit „Sonnabend in acht Tagen“. Was mich so störte, dass ich von diesem Moment an nie wieder etwas anderes als „Samstag“ zu Samstag sagte.
    Ich denke, mit der „Mittagshitze“ könnte es mir ähnlich gehen. Wichtig ist doch, dass man weiß, was der andere sagen will, nicht, dass man ein Wort aus seinem kilometerlangen Text herauspickt und sich daran aufhängt.

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    • Danke für dein treffendes Beispiel. „Sonnabend“ ist übrigens die offizielle Bezeichnung in der DDR gewesen, sonst überwiegend in Norddeutschland gebräuchlich. Verwunderlich, dass der „ungeneigte Zuschauer“ nicht die Wendung „in acht Tagen“ moniert hat, weils doch eigentlich sieben Tage sind. Ich finde auch, man sollte anderen nicht den Mund verbieten. Selbst wenn man gute Argumente hat, kann man sich zum Narren machen, denn meistens bleibt der Erfolg aus, wie ich bei der falschen Übersetzung von „Halfzware“ erlebt habe:

      Sprachpflege – Kleingärtnern im Regenwald

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  5. “Deutschland mit dem Wissensstand des Frühmittelalters….“?
    Da gab es keine Kachelmänner, es galten noch Bauernregeln.
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    Steigt im Julei die Hitze hoch,
    füllt Kachelmann das Sommerloch
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  6. Wie machen es die Länder, die schon immer längeren Sonnenschein hatten, als wir? Die Siesta wird nach Wikipedia so definiert: „Die Siesta [ˈsjesta] ist der traditionelle spanische Mittagsschlaf. Typischerweise isst man in Spanien ab 14 Uhr zu Mittag, und die eventuelle, anschließende Siesta kann durchaus rund zwei Stunden, also bis etwa 17 oder 18 Uhr dauern (im Sommer oft deutlich später als im Winter). Dieser Mittagsschlaf ist unter anderen Bezeichnungen auch in vielen anderen wärmeren Ländern üblich, in Europa z. B. in Süditalien oder Griechenland.“ Die Menschen da fangen also wieder an zu arbeiten, wenn, laut Kachelmann, die größte Hitze des Tages herrscht? Kann man wirklich glauben, daß die so dumm sind? Ich vermute, das hat, wie hier ja schon gesagt wurde, mit dem Mehr an Schatten zu tun: Es kann ja sein, daß die Spätnachmittage heißer sind als die Mittage, aber man hat mehr Möglichkeiten, sich der Hitze zu entziehen.

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    • Es geht ja um den Zeitpunkt der größten Hitze bei uns, nicht um den in Mittelmeerländern. Zu dieser Stunde freue ich mich über erträgliche 19 Grad. Ein Anstieg auf 32 Grad droht laut Kachelmannwetter.com tatsächlich für 13 -.14 Uhr. Danach könnte es einen Temperatursturz geben, falls der angekündigte Regen fällt.

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