Brett vorm Kopf

Jüngst war in „jetzt“ (Beilage der SZ) zu lesen, dass die Anzahl der Toten durch Schusswaffen in den USA höher ist als die Zahl von Kriegsopfern, und wenn wieder mal jemand in einer Schule Amok gelaufen ist, schütteln wir den Kopf über diese Amerikaner, denen der private Schusswaffenbesitz wichtiger ist als das Leben ihrer Kinder. Als ich eben vom Brötchenholen nach Hause ging, kam ich an einer langen Reihe geparkter Autos vorbei. Ein stumpfgrauer Mustang, ein böse aussehendes, offenbar tiefergelegtes Kabrio wies mir sein Heck zu, ragte noch ein ganzes Stück in den Bürgersteig hinein, und ich sah links und rechts in je ein dickes Auspuffrohr, schwarz von Rußpartikeln. Eigentlich, dachte ich, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Deutschen den öffentlichen Raum mit ihren Autos zustellen, alle mit ihrem Lärm belästigen und Ruß und Abgase in die Atemluft blasen, eine irrsinnige kulturelle Prägung, die dem Schusswaffenwahn der Amis ebenbürtig ist.

338.784 Verkehrstote in Deutschland zählte ich eben aus dieser Statistik zusammen. Bei NDR.de las ich „In der EU sterben demnach 11.400 Menschen, weil die Autos in Wirklichkeit mehr verbrauchen als auf den offiziellen Messständen.“ Wohlgemerkt, es sind nur die wegen der betrügerischen Abgasmessungen zusätzlich auftretenden Todesfälle. Auch wenn die willkürlich festgesetzten Abgasnormen eingehalten würden, werden Mitmenschen an Schadstoffen aus Auspuffrohren verröcheln. Es ist das alles kaum zu beziffern. Gesamtzahlen sind nirgends zu finden, und alle Statistiken, selbst die offizielle der EU, machen mit der frohen, aber widersinnigen Botschaft auf: Zahl der Verkehrstoten gegenüber X gesunken! Hier, ein aus dem Twoday-Teppichhaus geretteter Text von 2009 zum Irrsinn der geltenden Sprachregelung:

Dass es so schwer ist, Gesamtzahlen der Toten zu finden, die auf das Konto das Straßenverkehrs gehen, ist sicher ein Erfolg der Autolobby. Sie ist keinen Deut besser als die zu Recht gescholtene Waffenlobby National Rifle Association (NRA) in den USA. Und wir sind in der Bereitschaft, dem Auto Kinder und überhaupt jeden zu opfern, nicht weniger idiotisch als unsere amerikanischen „Freunde.“ Über dieses gigantische Brett vorm Kopf empfehle ich mal nachzudenken, und wenn ich mich hundert Mal damit unbeliebt mache. Schönen Sonntag.

22 Kommentare zu “Brett vorm Kopf

  1. Ja, diese Lobby ist stark. So stark wie die Lobby der Rüstungsindustrie. Da müssen mal gesundheitliche und lebensgefährdende Aspekte in den Hintergrund treten. Was die Smith&Weston oder die Magnum oder die AK-47 dem Amerikaner ist, dass sind hier die Autos. Gottgegeben (weil christliches Abendland), staatstragend (oder sollte man besser „systemisch“ schreiben?) und Ausdruck der Freiheit (freie Fahrt für freie Bürger über Leichen Stock und Stein, meine Freiheit gehört mir nur allein) …

    Tja, das, wa du schriebst, interessiert viele anscheinend nicht so sehr, wie dass das eigene Deo kein Spuren von Aluminium enthält. Hauptsache, kein Aluminium unter den Achseln, wenn beim Grillen am Grillplatz das Fleisch in der Alufolie auf das Braten in der Aluschale wartet. Aluminium i eigenen Auto ist da egal, weil man sieht es ja nicht …

    Das seltsame ist allerdings nicht nur die politische Autolobby der OEMs sondern auch die gesellschaftliche Autolobby. Damals in den 80ern hieß es doch schon, würde der Russe in Deutschland einmarschieren, wäre die erste Reaktion der deutschen Bevölkerung, deren PKWs schnell sicher irgendwo unter zu stellen, statt jene zur Blockade auf die Straße zu parkieren (Stichwort: ziviler Widerstand). Heute wäre das erst recht nicht anders. Zudem ist das Ansehen dicker Fahrzeuge wie SUVs (Panzer der automobilen Straße) gestiegen, obwohl die bestimmt nicht zu den Gesundheitszuträgern gehören. Eher zum Gegentum.

    Ein seltsamer Seitenast (der hier eigentlich nicht zum Thema gehört, den ich nur mal erwähne) dieser Feinstaubgeschichte: Auch seltsam war in der letzten Heizperiode das Verhalten ausgewachsener Bundesbürger mit Klimaerwärmungskenntnissen. Viele heizten „CO2 neutral“ und gaben das stolz kund. Wie mein Bruder. Was steckte dahinter? Hausbrand. Holz. Weil Holz ein relativ schnell nachwachsender Naturstoff ist, gilt Holz für die Heizung der vier Wände als „CO2 neutral“. Dass allerdings die Feinstaubbelastung in den Gegenden des Holz-Hausbrandes über die Werte von Stuttgart oder Hamburg stieg, war egal, weil „CO2 neutral“. Da ist auch NOx und SOx in der direkkten Umgebungsluft kein Thema mehr. Selbst wenn die Atemwege gereizt reagierten und was-weiß-ich in den Körper gelangte. Aber das gehörte nicht zum Thema hier. Nur ne Assoziation dazu sollte es sein, mehr nicht.

    Gefällt 2 Personen

    • Der Spruch des ADAC „Freie Fahrt für freie Bürger“ hat sich so tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt, dass manche nicht mehr klar denken können wie hier ein „Verkehrsdezernent“ des ADAC, dem ich mal in der Titanic eins geschrieben habe:

      Dass es neben dem Auto noch andere große Luftverschmutzer gibt, steht außer Frage, allein was die riesigen Kreuzfahrtschiffe aus den Schornsteinen blasen … Zum Glück überfahren die keinen wie auch die von dir genannten Kamine.

      Like

  2. Der fahrlässige Umgang mit Schusswaffen in den USA ist dumm und beruht vermutlich zu großen Teilen auf dem Gefühl der Freiheit, das es Menschen erlaubt eben diese zu besitzen.
    Des Deutschen liebstes Kind, das Auto, gaukelt eine andere Art von (Bewegungs) Freiheit vor. Angesichts der verstopften Städte gibt es die aber kaum noch.
    Etwas vor der eigenen Türe zu kehren, bevor man über den großen Teich schaut, schadet also sicher nichts.

    Gefällt 1 Person

    • So ist es, liebe Mitzi, wobei die feste Wendung „liebstes Kind“ ja ein Euphemismus ist, der die reale Bedeutung des Autoverkehrs auf schräge Weise verharmlost. Unter den von mir gezählten 338.784 Verkehrstoten wird es eine Schar geliebter Kinder geben, die von den Eltern lebenslang beweint werden. Man mag sich so ein Leid gar nicht ausmalen.

      Gefällt 1 Person

  3. nur sich gerne mal unbeliebt machende Querdenker, Visionäre, Träumende und Kinder können Feen fliegen sehen, wo Autos nur rollen können…

    Auch mein Sohn ist verrückt danach, erstes Wort: bummbrumm
    (= syn. Auto, KFZ, beräderte Motorbetriebler)
    Darum schenkte ich ihm ‚on the road‘, von Jack Kerouac in der ungekürzten und unverdünnten Ausgabe.
    Damit er weiß, dass ein Auto niemals einen Fteund ersetzen kann und das ist auch auf Waffen wie auf goldene Kälber anwendbar.

    Deine Assoziation ist mir nachvollziehbar.
    Raserei mit Fahrerflucht: Auto als Waffe
    Fast zwei Kids ohne Mam. Das Rennrad noch heil wie durch ein Wunder.
    Ich…naja wie gemault halt…;-9

    Ja. Und die Angst fährt seither immer mit. Wegen eines Rasers, der um die Ecke pest und seine silberne Flunder von null auf hundert hochpuscht. Bei der Geschwindigkeit sieht man kein spielendes Kind, keine Radlerin, die meint, die Kreuzung sei frei…wenn das Auto wie vorgeschrieben fünfzig gefahren wäre, hätte ich die Kreuzung gefahrlos queren können, Zeit genug gehabt. Doch so….?

    Liebe Sonntagsgrüße 🧚‍♀️

    Gefällt 1 Person

    • Das ist doch schon mal was, liebe Fee. Ähnlich wie dein Sohn habe ich als erstes Wort „Auto“ gesagt, und mir ist, als hätte ich daran noch eine Erinnerung, als nämlich vor unserem Haus ein Auto vorbeifuhr, dessen Motorgeräusch ich hörte. Dass das Auto eine Waffe ist, habe ich sogar höchstrichterlich bestätigt aus dem Mund eines Verwaltungsrichters gehört, als meine Kriegstdienstverweigerung verhandelt wurde. Was du da im Telegrammstil schilderst, ist dir selbst passiert? Zum Glück blieb den Kindern die Mutter erhalten.

      Schöne Grüße zum Wochenbeginn!

      Gefällt 1 Person

      • …immer noch kann ich das was da passiert ist, nur sehr kurz und knackig erzählen. Das wirkt noch sehr stark nach. Für mich selbst schrieb ich es minutiös auf, was da passiert ist. Auch die überwältigende Hilsbereitschaft der türkischen Leute, die sich um mich kümmerten bis der Rettungswagen eintraf, denn ich war einige Minuten ohne Bewusstsein.
        Doch das Schlimmste für mich war das Entsetzen meiner Kinder als sie mich abends sehen mussten und ihre Mutter kaum erkennen konnten. Da nahm ich mir vor, das Auto zu meinem persönlichen Todfeind zu erklären und seither meide ich den Straßenverkehr. An den Bergstraßen hier im Teuto wurde ich trotz ‚Bankett‘ (abgebrochener Asphalt) von Rasern schon abgedrängt mit dem Renner. Anhupen und schreiende Mittelhandknochengesten erlebte ich auch schon- obwohl ich immer ganz rechts fahre und an der Straße gibt es keinen Radweg..,.
        Mir schlägt auf dem Rad oft offene Feindseligkeit von Autofahrern entgegen. Viele Radler fahren ihrerseits offensiv oder rücksichtslos. Doch dennoch ist ein Rad immer schwächer als das Auto und als ich in Holland Rennrad fuhr, waren die KFZ‘ler viel entspannter mit den Radlern. In Holland hat das Auto immer schuld, wenn etwas passiert, und sogar wenn der Radler eigentlich Schuld ist. Liegt es wohl daran?
        Bei meinem Sohnemann kommt die Autoaffinität seitens seines Vaters, zudem leben wir obendrein in einer ‚Autostadt‘.,.
        Zum Glück fährt Sohn dank fahrradverrückter Mam auch gerne Mountie.
        Ich lernte: Helm und Brille können das Leben retten. Bei mir war es so. Hätte ich diese Dinge nicht getragen, wäre ein Schädelbruch und Verlust des rechten Auges die Konsequenz gewesen. Der Arzt meinte später, ich hätte viele Schutzengel gehabt. Ja, die hatte ich, sagte ich. Lauter türkisch sprechende.:-))

        Liebe Grüße

        Gefällt 1 Person

  4. Die grassierende Doppelmoral geht auch mir auf den Keks. Raucher „bekämpft“ man mit Psychoterror, dabei müsste analog auch jedes Auto einen Warnhinweis auf der Karroserie haben: DIESES FAHRZEUG KANN TÖTEN.

    Gefällt 1 Person

  5. So zwei, drei Mal im Jahr erlebe ich als Fussgänger das, was im Flugverkehr als Beinahe-Zusammenstoss bezeichnet wird. Bis jetzt hatte ich Glück. Weil ich Autos misstraue. Sie (bez. der organische Inhalt) können wirklich töten.

    Natürlich gibt es, ich muss mal überlegen … … …, ja, auch andere Gefahren. Ein schwerer Ast hat mich im letzten Jahrhundert fast erschlagen. Nicht in Paris.

    Gefällt 1 Person

    • Tatsächlich fragte mich bei der Verhandlung meiner Klage auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer der Richter, ob ich ein Auto hätte. Das konnte ich als armer Student glücklicherweise verneinen. Das wäre gut, ein Auto sei ja auch eine Waffe, meinte er und gab meinem Antrag statt. Natürlich ist auch ein schwerer Ast als Waffe zu verwenden. Wenn er aber von selbst runterkommt, ists höhere Gewalt, auch in Paris.

      Like

  6. السيارة كبيرة- das auto ist groß und es nervt wahnsinnig. mit kreuzchenaufängern und autobahnmautern entkommt der blechpest leider nicht.
    als kleines kind spielte ich in der straße vor meiner haustüre, so wie damals alle kinder. tagsüber stand dort, in nürnbergs nordstadt meistens keines oder mal 2 automobile herum. heute wohne ich in der kleinsten und kürzesten straße nürnbergs und an ein spielen auf der straße ist nicht zu denken! alles steht voll mit hässlichen, überdimensionierten automobilen-immobilien. die werten straßenbesitzer würden nicht eine sekunde zögern, sollte der abdruck eines balls den „schönen“ lack zieren, sämtliche anwohnerkinder anzuzeigen.
    den glauben an den motorisierten individual verkehr und dessen vermeintliche freiheit sollte man als gesellschaft so bald als möglich aufgeben, es lockt große lebensqualität: sauberere luft, weniger lärm, an der straße sitzen und frechen, lauten kindern beim unfug machen zu sehen!

    Gefällt 1 Person

    • Ich bin ganz bei dir, erinnere mich noch mit Freuden an den autofreien Sonntag in Hannover mit Volksfest allüberall. Hab gerade noch einen hübschen Text zum Thema von meinem Gastautoren Robert Kayser aus dem Twoday-Teppichhaus gerettet, den er just an diesem autofreien Sonntag, am 16. Mai 2010, auf einer Poetry-Slam-Bühne vorgetragen hat. Wenn du mal Zeit hast, es lohnt sich:

      Klingeln bis die Leine bebt
      von ROBERT KAYSER

      Gottes Plan ist nicht aufgegangen. Nicht die Menschen, sondern die Autos haben sich die Erde untertan gemacht. Die Menschen huldigen ihren blechernen Herren, indem sie alle öffentlichen Freiflächen mit grauem Asphalt abdecken und weiße Linien und Pfeile darauf malen, weil sich die Autos so besonders wohl fühlen. Dass sie die Fläche nicht mehr selbst nutzen können, sondern sich mit schmalen Bürgersteigen am Straßenrand begnügen müssen, nehmen die Menschen in kauf, denn sie sind ja nur Menschen.

      Wenn eine außerirdische Intelligenz versuchen sollte, mit den Bewohnern der Erde in Kontakt zu treten, wird sie als erstes die Autos ansprechen. Wer sich das Treiben auf den Straßen und Plätzen anschaut, kommt niemals auf die Idee, dass diese albernen Zweibeiner irgendwas zu sagen haben oder gar die Herrscher des Planeten sein könnten. Die Besucher aus dem All würden selbstverständlich die Autos als Repräsentanten des Planeten erkennen und als Zeichen des Entgegenkommens die Gestalt ihrer Gastgeber annehmen. Sie würden auch ein paar von diesen zweibeinigen leise winselnden Menschen laut anhupen, wenn sie sich frech aus ihren Reservaten an den Straßenrändern hervorwagen, und ab und zu würden sie auch mal einen totfahren, denn als Tourist versucht man ja gern, die Gepflogenheiten der Einheimischen nachzuahmen. Zum Abschied würden sie ihren Gastgebern noch einen großen Gefallen tun und mit einem gigantischen Abgasfurz die langersehnte Klimakatastrophe auslösen, an der die Autos schon so lange arbeiten, und die ihnen endlich die lästigen Zweibeiner vom Hals schafft.

      Aber vielleicht haben wir auch Glück, und die Außerirdischen halten uns für die Herrscher des Planeten, weil sie zufällig am Autofreien Sonntag landen. Da das eher unwahrscheinlich ist, können wir nur hoffen, dass sich unsere galaktischen Freunde noch ein paar Jahrzehnte Zeit lassen und erst dann landen, wenn das Zeitalter des Automobils vorbei ist und wir uns die blechernen Unterdrücker als die zweckdienlichen Transportmittel nutzbar machen, als die sie ursprünglich mal gedacht waren.

      Doch woran werden wir erkennen, dass das Zeitalter des Automobils vorbei ist?

      Vielleicht daran, dass man mitten auf dem Aegi sein eigenes Wort verstehen kann, auch wenn nicht gerade Autofreier Sonntag ist. Daran, dass man sich vor allem überhaupt mal dort aufhalten kann und will, also mitten auf dem Platz, um dort zu verweilen, und nicht nur am Rand, um rasch von Lärm und Abgasen genervt weiterzulaufen. Daran, dass man auf dem Weg in die Mitte des Platzes oder über den Platz hinweg weder angehupt noch angeschrien, beschimpft oder totgefahren wird.

      Wenn man sich doch nochmal in echte Lebensgefahr begeben will, wird man zivilisationsferne Gegenden aufsuchen oder krasse Extremsportarten betreiben müssen. Man wird sich in zwielichtige Milieus begeben oder sehr konfliktfreudig auftreten müssen, wenn man mal wieder angepöbelt oder bedroht werden will.

      Das Ende der automobilen Herrschaft wird auch daran erkennbar sein, dass im Radio nicht mehr vor Flitzerblitzern gewarnt wird. Wenn nämlich irgendein Arschloch mit 120 durch dein Dorf oder deinen Kiez fährt, ist das gar nicht – wie du vielleicht denkst – ein bescheuerter rücksichtsloser Raser, sondern nur ein kleiner Flitzer, der ein bisschen Spaß haben will. Und den muss man davor schützen, dass er geblitzt wird. Der ist nämlich ganz traurig, der Flitzer, wenn er geblitzt wird. Und wenn die kleine Lara auf der Straße spielt und der Flitzer sie totfährt, dann ist das ein tragischer Unfall, und dann stellen wir Schilder auf, dass doch die Flitzer bittebitte nicht ganz so schnell flitzen sollen, wegen der Kinder, aus Rücksicht. Freiwillig. Bittebitte. Wir wissen ja, dass ihr die Herren der Welt seid und so, und wir wollen ja auch gar keine Ökosteuern mehr von euch und keine Tempolimits, aber lasst doch bitte ein paar von unseren Kindern am Leben, ihr lieben Flitzerlein.

      In der durch die Flitzerblitzer freiwerdenden Sendezeit könnte man stattdessen Einbrecher darüber informieren, welche Häuser mit Alarmanlagen ausgestattet sind und welche nicht. Und Ladendiebe (die natürlich dann Stibitzer hießen) könnte man vor Kaufhausdetektiven warnen (die man heiter-originell Stibitzerknipser nennen wüde): „ffn-Hörer Kevin hat Stibitzerknipser bei Esprit gesehen. Also dort bitte besonders vorsichtig stibitzen. Und jetzt geht’s weiter mit den Superhits der 80er und 90er.“

      Auch das Flensburger Punktesystem könnte man dann stattdessen auf Eigentumsdelikte anwenden. Kaufhausdiebstahl bis zu einem Warenwert von 100 Euro: 1 Punkt. Taschendiebstahl auf offener Straße: 4 Punkte, Wohnungseinbruch: 7 Punkte, bewaffneter Raubüberfall mit Geiselnahme und allem Tamtam: 12 Punkte. Und wenn das Punktekonto voll ist, wird die Kreditkarte gesperrt.

      Im postautomobilen Zeitalter wird man beim Tippen eines Textes für einen Poetry Slam nicht mehr vor Schreck vom Stuhl fallen, weil draußen mal wieder irgendein Autofahrer seine Hupe ausprobieren muss. Der Text würde auch nicht von den Unbilden der autogerechten Stadt handeln, sondern vielleicht von tyrannischen außerirdischen Invasoren, die uns dann unterdrücken werden.

      Und nicht nur die Hochniveauprosa des Poetry Slam, auch die Presseerzeugnisse vom unteren Ende der Niveauskala werden von der Zeitenwende betroffen sein. Bei steigenden Kraftstoffpreisen z.B. werden die armen Leser der Bildzeitung nicht mehr von der schlimmen Benzinwut geplagt werden. Das furchtbare Krankheitsbild der Benzinwut beschreibt ja merkwürdigerweise nicht die Wut auf die skrupellosen Benzinverbrenner, die den Planeten an den Rand des Abgrunds gebracht haben, sondern die Wut der Benzinverbrenner darüber, dass sie in ihrem Zerstörungswahn nicht noch mehr Unterstützung erfahren als sowieso schon.

      Auch die bisher stets reich gefüllte Rubrik „Böse böse Radfahrer“ der hier ansässigen Niederniveaublätter aus dem Madsack-Verlag, eine Fundgrube fein gesponnener Holzhammerpropaganda, die einem manchmal richtig Angst machen kann vor diesen skrupellosen Autoverweigerern, wird gut beraten sein, sich neue Opfer zu suchen, denn wir werden dann ganz schön viele Radfahrer sein. Wir werden in der Mitte der Straße fahren, und wir werden klingeln, dass die Erde bebt. Wir werden uns nicht mehr auf Bürgersteige und schmale Fahrradstreifen zwängen lassen. Wir werden die scheißlangweiligen Linien und Pfeile übermalen mit bunten Bildern, wir werden Bäume pflanzen, auch mitten auf der Straße, und wir werden alle Ampeln auf rot stellen als Mahnmale, und dann immer bei rot rüberfahren.

      Robert Kayser
      Blog: Wirkweise

      Gefällt 1 Person

  7. Es ist nicht einfach zu diagnostizieren: der oder der hat jetzt ins Gras gebissen, weil er die Abgase nicht mehr verkraftet hat. Vielleicht hat er auch nur den Irrsinn dieser Regierung nicht mehr ertragen. Wer weiß das schon?
    Da ist halt das Loch, das eine Schusswaffe hinterlässt, schon viel eindeutiger als mögliche Todesursache erkennbar …

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..