Trithemius
Kann ich Sie mal in einer diffizilen Angelegenheit befragen, Frau Nettesheim?
Frau Nettesheim
Sie werden es vermutlich so oder so tun.
Trithemius
Müssen Sie mir so sybillinisch antworten, statt einfach Ja zu sagen?
Frau Nettesheim
Ja.
Trithemius
Was jetzt?
Frau Nettesheim
Fragen Sie endlich.
Trithemius
Folgendes: Gelegentlich finde ich in einem alten Tagebuch oder woanders eine Notiz von mir, die mir noch immer gut gefällt, dass ich versucht bin, sie zu heben, also in einem neuen Text zu verwenden. Allerdings weiß ich, dass ich damals ein anderer war, andere Lebensverhältnisse hatte und anders gedacht habe. Darum ist mir, wenn ich solche Zitate übernehme, als würde ich mich selbst bestehlen.
Frau Nettesheim
Das ist keine Frage.
Trithemius
Die Frage ist, ob es erlaubt ist, das zu tun.
Frau Nettesheim
Gegenfrage: Wenn Ihnen der fragliche Gedanke nicht gehört, wem gehört er dann?
Trithemius
Dem, der ich damals mal war.
Frau Nettesheim
Gibts den noch?
Trithemius
Nicht in dieser Dimension.
Frau Nettesheim
Also kann er in dieser Dimension keine Ansprüche erheben, oder? Stellen Sie sich vor, wenn man Sie damals gefragt hätte, ob Ihre zukünftige Existenz ein Zitat verwenden darf, hätten Sie dann eifersüchtig abgelehnt, etwa die Hand schützend über ihren Text gehalten, wie es Schüler tun, um ihre Nachbarn vorm Abschreiben abzuhalten?
Trithemius
Vermutlich wäre ich stolz gewesen, dass meine Gedanken die Zeitläufte überdauern.
Frau Nettesheim
Da haben Sie Ihre Antwort.
Trithemius
Ist es wirklich so einfach?
Wie klug Frau Nettesheim geholfen hat, eine Zita(t)Delle auszubeulen.
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Wie hübsch du wieder mit Wörtern jonglierst, lieber Lo.
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Manchmal solltest Du dem weiblichen Pragmatismus vertrauen. 🙂
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Du meinst, ich solle auf meine weibliche Seite vertrauen?
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Ich meinte Frau Nettesheim, und die Betonung lag auf Pragmatismus.
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Frau Nettesheim ist ein Goldstück. Ihre klare Analyse verbunden mit deiner Frage, die ich mir so vermutlich nie gestellt hätte, ist ein schöner Start in den Tag.
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Liebe Mitzi
Manchmal lese ich in 25 Jahre alten Tagebüchern und finde, dass ich früher feiner gedacht habe, zumindest diffiziler. Und dann ist die Frage berechtigt, ob das überhaupt in unsere grobe Zeit gehört. So wird es dir sicher auch mal ergehen.
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Natürlich ist die Frage berechtigt, lieber Jules. Nur denkst du viel mehr bevor du etwas schreibst und ich tippe und veröffentliche viel mehr aus dem Bauch heraus – auch Gedanken die schon lange zurück liegen. Daher gefällt mir der Gedankengang und euer Dialog.
Liebe Grüße
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Immerhin interessierst du dich für dein „Geschwätz von gestern“, im Gegensatz zu manch anderem. 😉 Schon damit tust du der Menschheit einen Gefallen! 🙂
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Inzwischen sehe ich als erfreuliche Rückkopplung, einst gedachte Gedanken in neue Kontexte zu stellen. Das scheint mir produktiv zu sein, ohne zu fragen, obs der „Menschheit“ nutzt. 😉
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Hätten wir nicht unsere Assistentinnen, wir müssten sie glatt erfinden … 😉
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Genau, Herr Ösi, deine Frau Saftschubse und meine Frau Nettesheim sind Gold wert.
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