Teestübchen Briefaktion (3) – Post von unterwegs

Als mein Freund Jeremias Coster noch lebte, der berüchtigte Professor für Pataphysik und Leiter des Instituts für Nachrichtengeräte an der RWTH Aachen, war eindeutig mehr Magie in meiner Welt. Unter anderem pflegte ich eine symbiotische Beziehung zu meiner Zimmerpalme Josie, unter deren Einfluss ich manch hübschen Text verfasst habe. Josie und ich, wir haben uns ein wenig entfremdet. Morgen werde ich sie umtopfen, was sich hoffentlich positiv auf unser Verhältnis auswirken wird. Das nur am Rande.

Einmal verirrte ich mich im Internet auf die Seite des Berliner Instituts für Pataphysik und stieß dort auf die schillernde Nachricht: “Herr Zettelmann ist auf Forschungsreise.“ Daran musste ich denken, als vor einigen Wochen eine neue Besucherin im Teestübchen auftauchte, nämlich „Frauhemingistunterwegs.“ Von unterwegs, vermutlich aus dem bundesweit bekannten Touristenort Briefzentrum, sandte Frauhemingistunterwegs mir ebenfalls einen von ihr gestalteten Brief.

Wir sehen in der Bleistiftzeichnung zentral eine Papier- oder Pergamentrolle, die an den Rändern einige Risse aufweist. Oben dreht sich das Blatt ein, an der Unterseite ist es justiert mit einem Tintenfass. Eine quer in die Bildmitte ragende echte Schreibfeder hat gerade einen Klecks in die Anschrift gemacht und zwar hinter die Postleitzahl. Aus der Ypsilonschlaufe von „Ley“ erwächst ein keckes, hoffnungsfrohes Blümelein, wie hübsch! Das auslautende R von Hannover tropft.

Bemerkenswert an der Darstellung von Schreibgerät und Beschreibstoff ist die Ikonographie. Schriftrolle, Tintenfass und klecksende Schreibfeder gehören nun wirklich längst vergangenen Jahrhunderten an, und trotzdem weiß vermutlich jedes Kind unseres Kulturkreises, was mit der Darstellung gemeint ist. Derlei bildhafte Vorstellungen halten sich länger als die Dinge selbst. Auch in der Sprache finden sich hartnäckige Spuren. Einmal hält der Federhalter keine Gänsefeder, sondern eine aus Metall, auch engl. pen ist gebildet aus lat. penna, die Feder. Demnach Pennäler und unsere Penne für Schule. Der Briefbogen (!) heißt im Niederländischen vel, worin wir unser deutsches Fell, besser: Pelle = Haut erkennen. Gemeint ist Pergament.

Rechts der Pergamentrolle ist auf dem Kuvert eine gekorkte Glasflasche zu sehen, vermutlich eine Flaschenpost, deren Inhalt die sauber platzierte Briefmarke ist, prima in die Gestaltung integriert, vom verschmierten Poststempel leider ein wenig versaut. Am linken Bildrand sehen wir eine Brieftaube und einen eiligen Postreiter auf einem Pferd im Galopp. Das ließ mich denken an eine in meiner Kindheit beliebte Frechheit, auf einen Briefumschlag zu schreiben: „Briefträger lauf, [die oder der] wartet drauf!

Schon die Adresse zeigt eine sauber aus der Lateinischen Ausgangschrift entwickelte Erwachsenenschrift, die kaum Verschleifungen aufweist. Das setzt sich im zweiseitigen Brief fort, dessen Veröffentlichung Frauhemingistunterwegs erlaubt hat. Wenn ich als Lehrer ein Klassenarbeits- oder Klausurheft aufschlug und ich fand eine derartig saubere Handschrift vor, dann war mir das Lesen wie eine erqickliche Wanderung durch einen hellen Buchenhain.


Ich werde in der Anrede konventionell gesiezt; als der Ältere schlage ich das Du vor.

Liebe Andrea, vielen Dank für die Einsendung!

24 Kommentare zu “Teestübchen Briefaktion (3) – Post von unterwegs

    • Meine Liebe,
      derlei Aktionen sind sehr viel Arbeit, in der Vorbereitung, in der Präsentation und in der Nachbereitung. Und ich habe gerade erst drei von sechs Einsendungen präsentiert. Dazu schulde ich allen noch die versprochene Antwort. Ich freue mich natürlich, wenn es mir gelingt zu motivieren und dass speziell du nach deiner ungewöhnlichen und aufwändigen Arbeit noch Lust hast, ähnliches zu gestalten. Aktionen hat es im Teppichhaus Trithemius immer mal gegeben. Ich hätte beispielsweise Lust, den Blogger-A-Flashmob
      zu wiederholen, womit ich 2011 die im Mai versinkenen Plattform twoday versehentlich lahmgelegt habe. Ich bitte also um Geduld.
      Lieben Gruß, Jules

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      • Mein Lieber,
        ich weiß dass das viel Arbeit ist, und dadurch wird es ja auch so wertvoll und wunderbar! Ich freu mich einfach über diese schöne Aktion und vor allem darüber, hier in der Blogwelt so schnell so nette und interessante Leute wie dich und deine LeserInnen “kennengelernt“ zu haben. Und außerdem hab ich heut Euphorie
        😉
        Lieben Grüße zurück,
        Anna

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      • …ich habe das mitgelesen, Jules. Ich möchte nur miniklein auf einer Fußleiste den Randwunsch notieren, dass Du mich bitte ruhig nach Achtern beförderst und hintanstellst und Schuld steht im Worteschatz der Fee auf der Tabu-Liste der dreimalverflixten Wörter. Wichtiger wäre mir, dass Du die Lust und Energie an weiteren Projekten behältst. Welche Arbeit diese Beiträge insgesamt machen, kann ich mir vorstellen. Chapeau und Abendgruß

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        • Liebe Fee,
          die Reihenfolge der Präsentation habe ich mir schon reiflich überlegt und mache es auf sinnvolle Weise, wie man auch Texte in einer Anthologie anordnet. Der Auftakt muss Lust machen auf mehr und gegen Ende muss es immer besser werden, wobei hier verschiedene Kriterien den Ausschlag geben, denn auf ihre individuelle Art sind alle gleich gut. Deine Einsendung zeichnet sich bei der Verkehrsschrift durch die Nähe zum Handschrift-Projekt aus, muss also sowieso noch warten. Mich inspirieren eure Einsendungen und indem ich das weitergebe, behalte ich die Lust an der Arbeit. Morgen erst mal Josie umtopfen, und dann kommt auch die Magie zurück. 😉
          Danke und lieben Gruß!

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  1. Gutes Gelingen für das Umtopfen. Es mag banal klingen, aber bei deiner Josie ist es wichtig, dass sie dir noch lange erhalten bleibt, lieber Jules.
    Danke für die heutige Besprechung. Ich bin erneut begeistert über die Kreativität der Teilnehmer und deine liebevolle, detaillierte Vorstellung.

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    • Dankeschön, liebe Mitzi. Ich lasse mir helfen von meiner Putzhilfe., denn Josie ist rechtsseitig enorm gewachsen und hängt schon ganz schief. Das will ich mit einem größeren Topf ausgleichen. Dieses Ungleichgewicht entspricht mir, ist bedingt durch den Schlaganfall, bei dem ich linksseitig betroffen war, noch verstärkt worden. Dankeschön für dein Lob der Briefe und deren Präsentation.

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        • Ich mache das ab und zu. Und die Dame vom Supermarkt (ja, früher hatten wir auch eine Post, die ein Amt war…) guckt nicht mal komisch. Nur bin ich mir nicht sicher, ob der handgestempelte Umschlag nicht doh hinterher noch einmal zusammen mit allen anderen durch die Stempelmaschine gejagt wird. Ich hab die Empfänger noch nicht danach gefragt, wie das dann aussieht.
          Vielleicht sollten wir es einfach mal versuchen.

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          • Bei uns ist die Post immer brechend voll und ich habe nie Lust, mich dafür stundenlang anzustellen. Hm. Wenn ich ihr/ihm sage, bitte stempeln sie die Marke ein bisschen mehr rechts, damit der Stempel nicht von der Flasche rutscht… ob das okay wäre? Ich glaube, ich probiere das tatsächlich mal 🙂

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  2. Pingback: Zum Abschluss der Teestübchen Briefaktion

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