Depp mit Einkaufskorb

Primär Männer habe ich in letzter Zeit mit einem faltbaren Einkaufskorb gesehen, der den Namen Korb ergaunert hat, weil er statt aus Korbgeflecht aus Tuch besteht. Man trägt so einen falschen Korb in der Armbeuge, was ein bisschen weibisch wirkt, wobei ich mich vorsorglich bei der Damenwelt für das abwertende „weibisch“ entschuldige. Taschen oder Körbe in der Armbeuge zu halten, kann man öfters bei Frauen beobachten. Jedenfalls sehe ich die junge Frau vor mir, der ich mal nahe stand, wie sie ihre große Handtasche in der Armbeuge trug. Ich habe immer gedacht, es wäre mir lästig.

Da ich letztens schon einen Mann mit Mütze gesehen habe, der oben drauf einen dieser disfunktionalen und rundum blöden Pelzpuschel trug, dachte ich schon, dass die Feminisierung des Mannes voranschreitet. Es könnte durchaus der mit dem Faltkorb gewesen sein. Heute aber sah ich ihn unbemützt im Supermarkt, ein wenig dicklich, Mitte 30, Brillen- und Faltkorbträger und telefonierend, derweil er neben mich an das elend lange Kühlregal trat, so dass ich mithören musste, was ich lieber nicht gehört hätte und, wenn man mich zwingen würde, derlei laut im Supermarkt herauszuposaunen, es mir peinlich wäre. Er sprach ins Telefon, aber so laut, dass der Eindruck entstand, dass es ihm um eine größere Zuhörerschaft ging, also: „Wie man mir in der Redaktion gesagt hat, kann man die Anzeige noch kurz vor Erscheinen zurückziehen, falls wir sie also nicht mehr brauchen.“ Der andere sagte was, und er dann wieder: “Jaja, das ist so ein Uraltmedium!“

Ich dachte: „Du Depp! Musst du deinen begrenzten Horizont hier so enthüllen? Erstens hast du mit keiner Redaktion telefoniert, sondern mit der Anzeigenabteilung. Zweitens gibt es Zeitungen zwar seit dem 17. Jahrhundert, aber „uralt“ sind vielleicht die Steintafel von Rosetta oder die Tonscherben, auf denen uns mittels Keilschrift das Gilgamesch Epos überliefert wurde. Später sah ich den Kerl schon wieder, immer noch ein Ohr am Handy und laut deklamierend: „Heute Morgen meldete mir mein FTP-Server: Permission denied….“ Mir war, als dächte er, nun müssten all die unfreiwilligen Zuhörer ringsum im Supermarkt niederknien und Gott danken, teilhaben zu dürfen an den so wichtigen Gesprächen einer Koryphäe, die sich nicht nur mit Uraltmedien auskennt, sondern ganz auf der Höhe der Zeit Meldungen von einem FTP-Server bekommt. „Melde gehorsamst: Erlaubnis verweigert.“

Ich aber dachte mir ganz böse: Woher nimmt sich so eine Wurst das Recht, mir seinen geistigen Tiefstand zu enthüllen? Ich will nur in Ruhe einkaufen und nicht denken müssen, was dieser Mensch mit einer abwesenden Person bespricht. Diese um sich greifende Selbstverliebtheit macht mich ganz krank. Ich und ich und ich, und ihr seid Staffage.

16 Kommentare zu “Depp mit Einkaufskorb

  1. Oh Jules. Das ist ja eine Geschichte. Ich mag es auch nicht, in der Öffentlichkeit mein Privatleben zu diskutieren. Meine Nahmenschen wissen wie unangenehm mir das ist- ganz unabhängig von meinem Bildungsstand, der nach rudimentären unwillig ins Telefon gemaunzten Zustimm- und Ablehnlauten in mehr oder weniger harmonischen Tonfolgen von Ahnungsvollen nach ihrem todsicherem Instinkt beurteilt irgendwo auf einem Baum in der Pampa liegt und sich hinter den Ohren kratzt. Allerdings lässt sich Telefonieren in der Öffentlichkeit zur Klärung komplizierter logistischer Vereinbarungen zwischen Reitstall, Bus und Straßenbahn nicht immer vermeiden. Es macht aber Spaß, laut am Telefon in der Öffentlichkeit ins Telefon zu fragen ob das Geld in kleinen Scheinen da ist und zum verabredeten Zeitpunkt gegen den gewissen Gegenstand getauscht werden kann. Da gehen garantiert ein paar umstehende Lauscher voll mit auf Sendung und das ganz ohne bluetooth oder wlan.
    Die Faltkörbe liegen völlig doof in der Armbeuge. Außerdem läuft man damit schief – schlecht für die Balance. Ich war früher ein Handtaschenweib und weiß das daher. Wenn es schon unbedingt ein Faltkorb sein muss, also ganz elegant oben auf den Kopf damit. Wer dann immer noch rechtshändig telefonieren kann rechts und links Produkte in den Korb legen, wäre zwar immer noch nervig aber auch irgendwie ein Bisschen beeindruckend. Was ist nur mit diesem Frühling los…? Liebe funkelgrüße von der Fee

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    • Oft habe ich kein Mobilfunkgerät bei mir. Wenn mich doch ein Anruf beim Einkauf erwischt, halte ich es wie du, bin einsilbig und beende das Gespräch bald. Einmal habe ich auf dem Aachener Münsterplatz einen Mann gestikulieren gesehen. Ich dachte noch, der arme Kerl, was hat der für schreckliche psychische Probleme. Dann drehte er sich aufgeregt um und ich sah, dass er ein Handy am Ohr hatte, was natürlich nicht ausschloss, dass sein Gemütszustand trotzdem kritisch war. Sein Privates vor allen Leuten auf dem Markt auszubreiten, hätte man vor 20 Jahren nicht fertiggebracht, und ich staune heute noch darüber. Der Spaß mit der Geldübergabe gefällt mir. Dein Urteil über den Faltkorb glaube ich unbesehen. Versehentlich habe ich letztens Mütze und Handschuh weggepackt, musste sie gestern wieder hervorholen. Das ist mit dem Frühling los 😉
      Lieben Gruß von Jules

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  2. Ich hatte neulich auch so einen an der Kasse hinter mir. Erzählte sehr laut von einem Polizeieinsatz gegen irgendwelche Jugendliche, um die er sich kümmern sollte. Und ich dachte nur:“Hast du Idioz kein Wohnzimmer zum telefonieren?“

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  3. Ich hatte einen Kollegen, der dafür kein Handy brauchte. Der sprach einfach vor sich hin, im Büro kann das schon irritierend sein. Da lobe ich mir doch die Lauttelefonierer, weil ich nicht mitdenken muss, denn die erwarten von mir keine Antwort. Hat der Kollege auch nicht, aber das musste ich erst lernen.

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  4. Vor ca. sechs Jahren habe ich mal etwas Ähnliches festgestellt:

    Reisen


    Du gabst mir den Rat, nur noch in Ruhezonen zu buchen. Das habe ich beherzigt, hat aber nicht viel genützt, die Leute nehmen einfach keine Rücksicht mehr. Und in Supermärkten und anderen Lokalitäten gibt es die ja leider sowieso nicht. Diese mangelhafte Höflichkeit, andere nicht mit den eigenen Angelegenheiten zu belästigen, ist meiner Ansicht nach mit einer grassierenden sozialen Inkompetenz zu erklären, die wiederum mit einer zunehmenden gesellschaftlichen Entsolidarisierung einhergeht: Jeder rafft soviel an Vorteilen für sich zusammen, wie es nur geht, das ist der Normalfall. Daß der Chef der betrügerischen Firma VW über 10 Millionen Euro im Jahr verdient, ist kein Skandal, sondern nur eine Meldung in der Zeitung, ebenso, daß Ex-Bahnchef Grube 2 Millonen Euro Bonus erhält, obwohl er selbst gekündigt hat. Diese Eliten sind die Vorbilder für jegliches Verhalten. Wen wundert es da noch, daß ein Smartphonebesitzer wenigstens die 4 qm um sich herum als sein persönliches Hoheitsgebiet betrachtet?

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    • Danke für den Link. Der Text, in dem du das Problem dezidiert benennst, war mir nämlich entfallen. Meine Erfahrungen mit den Ruhezonen im ICE sind übrigens nach wie vor positiv. Allerdings reise ich auch nicht oft. Die gesellschaftliche Entsolidarisierung bedingt durch das Fehlverhalten unserer Eliten scheint mir nicht der alleinige Grund zu sein, wobei ich das schlechte Beispiel durch die Verwahrlosung unserer Eliten sehe wie du.

      Obwohl öffentliches Telefonieren scheinbar Reichtum an Kommunikation zeigt, kündet es auch von der Vereinzelung des Menschen. Jeder lebt zunehmend im eigenen begrenzten Kosmos und erlebt mit anderen nur geringe Schnittmengen, ist also ständig in der Fremde. Da ist ein Telefonat wie „Nach-Hause-telefonieren“ bzw. „Major Tom to Ground Control.“ Mir ist das als mögliche Erklärung aufgegangen bei der Beobachtung von ständig telefonierenden Türken. Sie leben ja wirklich verstreut in der Fremde und halten auf diese Weise den Kontakt.

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  5. Hat mich jetzt an diese Geschichte erinnert:

    Ein Rabbi bat Gott einmal darum, den Himmel und die Hölle sehen zu dürfen.
    Gott erlaubte es ihm und gab ihm den Propheten Elia als Führer mit.

    Elia führte den Rabbi zuerst in einen großen Raum, in dessen Mitte auf einem Feuer ein Topf mit einem köstlichen Gericht stand.
    Rundherum saßen Leute mit langen Löffeln und versuchten aus dem Topf zu schöpfen.
    Aber die Leute sahen blass, mager und elend aus.
    Denn die Stiele ihrer Löffel waren viel zu lang, so dass sie das herrliche Essen nicht in den Mund bekamen.

    Als die beiden Besucher wieder draußen waren, fragte der Rabbi den Propheten, welch ein seltsamer Ort das gewesen sei.

    Es war die Hölle!

    Darauf führte Elia den Rabbi in einen zweiten Raum, der genau so aussah wie der erste.
    In der Mitte des Raumes brannte ein Feuer und kochte ein köstliches Essen.
    Leute saßen ringsherum mit langen Löffeln in der Hand.
    Aber sie waren alle gut genährt, gesund und glücklich.
    Sie versuchten nicht , sich selbst zu füttern,
    sondern sie benutzten die langen Löffel, um sich gegenseitig zu essen zu geben.

    Dieser Raum war der Himmel.

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