Plausch mit Frau Nettesheim – Der Meisterschüler des flüchtigen Blicks

Frau Nettesheim
Ist ganz schön selbstbezüglich, Trithemius.

Trithemius

Was meinen Sie?

Frau Nettesheim
Dass Sie am liebsten eigene Texte lesen.

Trithemius
Wieso denn das, Frau Nettesheim? Man ist entweder Produzent oder Rezipient. Beides zu sein, ist schwierig. Ich wage sogar zu behaupten, dass Bloggerinnen und Blogger darin weit besser sind, mehr bei anderen lesen als reine Printautoren.

Frau Nettesheim

Zumindest zeigt es sich im Medium Blog besser, indem wechselseitig kommentiert wird. Ob Printautoren die Texte ihrer Kollegen lesen, wissen Sie ja nicht.

Trithemius

Im Print verhindert das schon der Futterneid. Aber weniger polemisch: Wer ernsthaft eine Kunst betreibt, malt, zeichnet, fotografiert, schreibt oder komponiert, darf seine Arbeit nicht aus dem Blick verlieren. Natürlich lohnt sich ab und zu der Blick über den Tellerrand, schon um sich anregen zu lassen, aber am meisten muss sich der schöpferische Mensch auf seine eigene Profession konzentrieren. Wer zu sehr auf die Arbeiten anderer schielt, gerät rasch in Gefahr, sich daran zu orientieren.

Frau Nettesheim

In der Malerei haben die Meisterschüler sich an den Arbeiten ihrer Meister geschult.

Trithemius
Und sind oft über reines Epigonentum nicht hinaus gekommen. Ich bin ein gereifter Mann, Frau Nettesheim, kein Schüler mehr.

Frau Nettesheim
Zweifellos, das sehe ich.

Trithemius
Also werde ich mich vielleicht von anderen Autorinnen und Autoren anregen lassen. Aber ich muss schreiben, wie ich es kann und will. Im Vertrauen, hohe Frau. Es geht da nur um Stimmungen, in die ich mich versetzen lasse. Wenn ich zu ernst geworden bin, lese ich vier fünf Sätze bei Mark Twain, wenn mir grad das Träumerisch-Verspielte fehlt, dann Robert Walser, will ich mich düster-melancholisch stimmen, schaue ich rein bei Franz Kafka. Aber nie lange. Ein flüchtiger Blick reicht.

Frau Nettesheim
Der Meisterschüler des flüchtigen Blicks, hihi.

Trithemius
Da brauchen Sie sich gar nicht zu erheitern. Die Kraft, das Besondere einer Schreibweise steckt in einzelnen Sätzen, wo denn sonst? Das auf den ersten Blick zu erkennen, ist die ganze Kunst, aber weniger schwer als es klingt. Es ist wie mit allen Dingen. Ich brauche ja von Ihnen auch nur eine Fingerspitze zu sehen und weiß, eine schöne Frau.

Frau Nettesheim
Und ich habe schon bei „Fingerspitze“ gewusst, jetzt kommt eine bodenlose Schmeichelei.

10 Kommentare zu “Plausch mit Frau Nettesheim – Der Meisterschüler des flüchtigen Blicks

  1. Ich stimme dir zu, lieber Jules. Das Lesen beeinflusst das eigene Schreiben sehr. Zu sehr, wenn man selbst gerade dabei ist etwas zu verfassen. Zumindest in meinem Fall. Dennoch möchte ich auf die Anregungen und auch den schlichten, schönen Genuss zu lesen nicht verzichten. Ich hab es in letzter Zeit zu wenig getan.
    Liebe Grüße….hier wartet ein Buch auf mich 😉

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    • In Ruhepausen mag ich auch lesen. Da ich viel im Internet lese, bei dir und anderen Blogfreundinnen und -freunden, bleibt nicht viel Zeit für anderes. Aber ich habe in einem langen Leben schon so viel gelesen. In prodektiven Phasen mag ich nicht so viele fremde Gedanken im Kopf haben.

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  2. Das Lesen eigener Texte ist eine Herausforderung. Für mich sowieso.

    Als ich mein erstes Buch herausgebracht hatte, las ich es zweimal und somit hatte ich bald schon die dritte korrigierte Auflage. Das zweite Buch las ich ebenfalls zweimal. Aber bei dem benötigte ich nur eine weitere Korrekturauflage: das letzte Buch war eine Katastrophe. Ich las es zweimal und dachte, alles wäre okay, bis mich jemand auf das Buch ansprach. Ich las es zum dritten Mal, nahm es sofort vom Buchmarkt und veröffentlichte es nie wieder. Generell erhielt ich nur gute Kritiken nur für mein zweites, aber generell war herauszulesen, dass es literarische Unbedeutsamkeiten waren. Anfangs hatte es mich getroffen, inzwischen lasse ich es so stehen. Ich bin kein Hölderlin oder Tucholski oder sonstwer. Für mich reicht es aber.

    Beim Bloggen mag ich manches mal meinen Eintrag nach zeitlichem Abstand nie mehr lesen. Dem Löschknopf würden einige Einträge nicht entgehen. Zudem habe ich erneut feststellen müssen, dass Einträge immer anders gelesen werden, als sie geschrieben wurden. Egal wie ausgefeilt oder wie oberflächlich, potentielle Leser lesen sie immer anders. Und niemand liest das, was ich selber für mich schrieb. Und nach einiger Zeit lese selbst ich es nicht mehr heraus, was ich eigentlich in meiner eigenen Schreibe verwortete.

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    • Wenn ich mich recht erinnere, hast du zu Blog.de-Zeiten schon mit Selfpublishing experimentiert und verschiedene Anbieter ausprobiert. Es ist schiwerig, bei den eigenen Texten Korrektur zu lesen. Man selbst weiß ja, was da stehen sollte, und deshalb fällt einem mancher Fehler nicht auf. Du hast deine Bücher kaum beworben. Also kenne ich auch keins. Da ich aber dein Schreiben durchaus schätze, finde ich “ literarische Unbedeutsamkeiten“ unangemessen. Ich weiß natürlich nicht, wie ein Roman oder ein sonstiger Langtext von dir zu beurteilen ist, aber entmutigen lassen würde ich mich nicht.

      Wie du mag ich einige meiner alten Blogtexte nicht. Aber es betrifft nur welche aus den Anfängen, als ich meistens im bekifften Kopf geschrieben habe und noch ein starkes Sendungsbewusstsein hatte.

      Wenn Texte einem so fremd geworden sind, dass man den Inhalt selbst nicht mehr deuten kann, erlaubt das immerhin eine nüchterne Lesart und Beurteilung.

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      • Ich musste jetzt grinsen, als ich deine Behauptung las, das ich meine Bücher kaum beworben hätte. Doch hatte ich, selbst in meinem Blog, war mein erster, heftiger, innerer Widerspruch. Allerdings ist der Beweis deiner Behauptung, dass ich kaum Werbung gemacht hatte, eben deine Aussage selbst. Einen besseren Beweis zwischen Realität und meinem eigenen Denken kann es nicht geben.
        Andererseits bin ich auch nicht wirklich böse drum, dass diese Bücher kaum Anklang fanden. Denn – und jetzt kommt der kleine, kecke Gedanke – damit steht einer Zweit-Verwertung alter Texte für eine neue Ausgabe in anderer Hülle nichts im Wege, da meine Bücher eh niemand kennt. Außer jemand recherchiert bei „medimops“ .. 🙂 Aber die drei gebrauchten Exemplare dort sind nu wirklich nicht der Show-Stopper (wie es in meiner Branche immer so gerne heißt).
        Du hattest mal in deinem Blog den Tipp gegeben beim Korrekturlesen, die Schriftart und Schriftgröße zu wechseln, um den V-Effekt zu erreichen. Dieses tat ich bei meinem dritten Buch und da erst merkte ich, dass keine Marktreife gegeben war. Dafür gebührt dir mein Dank, mir bei der Selbsterkenntnis geholfen zu haben.

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        • Erinnerung verzerrt. Ich glaube gern, das ich falsch liege. Der Tipp mit der veränderten Schrift und Größe stammt übrigens vom Ex-Direktor des Germanistischen Instituts der Leibniz-Uni Carl-Ludwig Naumann. Er hat mir mitgeteilt, dass er es so macht.

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  3. Ich stecke mich manchmal auch gern an und kopiere dann den Stil eines Großen. Dabei lernt man eine Menge, was man durch das Lesen allein nicht lernen kann. Ich jedenfalls nicht. Das Ergebnis sind natürlich immer nur Fingerübungen.

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