Ein Zettel aus dem Supermarkt, gestern gefunden

Ich mag es, zurückgelassene Einkaufszettel zu finden. Sie geben Auskunft über den Zustand unserer Handschrift. Einkaufszettel zeigen unverfälscht die Wertigkeit, die die Schreiberin oder der Schreiber mit Handschrift verbindet, weil sie gemeinhin nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.

Dieser Zettel ist mit einem Fineliner in sauberen Druckbuchstaben ausgeführt. Der nachträgliche Zusatz „+ grüne“ dagegen mit Bleistift. Es handelt sich um die gleiche Handschrift, aber der Zusatz ist kleiner geschrieben, und der Zeile „rote, u. gelbe Paprika“ untergeordnet, und zwar zwischen dem Adjetivattribut „gelbe“ und dem Bezugssubstantiv „Paprika.“ Diese formale Sorgfalt verweist auf einen methodischen Menschen. Daher überrascht der Zettel mit nur drei Positionen. Man sollte annehmen, dass man sich drei zu kaufende Lebensmittel auch so merken kann. Da rote, gelbe und grüne Paprika gemeinhin in einer Verpackung angeboten werden, ist ja auch der Zusatz „+ grüne“ als Merkhilfe unnötig.

Zuletzt irritiert das Fragezeichen hinter „Keks.“ Sollte die Entscheidung erst im Supermarkt fallen und warum? Eine Erklärung für die Ungereimtheiten wäre, dass der Einkaufszettel für eine andere Person, ein Kind geschrieben wurde. Es sollte nicht mit der Frage konfrontiert sein, wie es rote und gelbe Paprika kaufen kann, wenn sie zusammen mit grünen angeboten werden. „Keks?“ überlässt dem Kind die Entscheidung. Gegen diese Interpretation spricht der Plural von Joghurt. Es wäre einfacher, hier eine Zahl anzugeben. Vielleicht stammt aber der Zettel von einer alleinerziehenden Mutter mit einem Kind. Dann bedeutet „Joghurts“ klar zwei Joghurts. Das würde auch die Druckschrift erklären, weil sie für ein Kind leichter zu lesen ist als eine ausgeprägte Persönlichkeitsschrift. Ist aber alles spekulativ.

36 Kommentare zu “Ein Zettel aus dem Supermarkt, gestern gefunden

  1. Auf meinem Einkaufszettel stehen nur Dinge, die ich NICHT regelmäßig kaufe. Im vorliegenden Fall wären es die roten, gelben und grünen Paprika. Joghurt und Kekse muss ich nicht notieren. Einem Kind aber soll/muss man genau mitteilen, was es zu tun hat. Und so könnte, sind die wichtigen Dinge besorgt, Keks? quasi als Belohnung stehen …

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  2. Ich liebe solch verloren gegangenen Zettel, weil sie so schön zu Vermutungen verleiten, aber ich hätte es nicht so gern, wenn jemand einen meiner orthografisch und auch sonst unorthodoxen Zettel fände und dann womöglich noch mir zuordnen könnte.
    😀

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  3. Das zur Verfügung stehende Geld reicht nicht ganz aus und nach Streichung dieser drei Artikel könnte es aber für eine grüne, mit einem übrigens hoffnungsvoll vergrößerten e am Schluss, Paprika und sogar noch für Keks genügen.

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  4. Ein schönes Fundstück. Freilich wird es das erst, wenn man sich näher damit befasst und zu spekulieren beginnt.
    Womöglich wurde er am Abend geschrieben. Zu einem Zeitpunkt als noch nicht sicher war ob man am nächsten Tag Kekse braucht oder doch nicht die ganze Packung futtern würde.

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  5. Auf meinen Einkaufszetteln sind Fragezeichen nicht selten. Meistens stehen sie hinter Artikeln, die ich nur dann brauche, wenn ich einen anderen Artikel bekommen oder auch nicht bekommen konnte, oder hinter etwas Schwerem, das ich bis zum Schluss aufhebe, um zu entscheiden, ob ich das alles wirklich schleppen will.
    Etwas ist mir auch aufgefallen: Habe ich einen Einkaufszettel verhältnismäßig unordentlich eschrieben, ist die Gefahr, dass ich etwas darauf überlese und folglich vergesse, wesentlich geringer. Je gleichmäßiger und ordentlicher ich schreibe, desto unübersichtlicher wird für mich ein Text. Ich brauche so etwas wie eine Zeichenlandschaft zur besseren Orientierung.

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  6. Hmmm… also, das „S“ hinter Joghurt könnte bedeuten, dass der Schreiber den Genitiv benutzt hat Ist auf Einkaufszetteln ungewöhnlich, aber mal was anderes. Das „+grüne“ ist erst im Geschäft dazu gekommen, nachdem der Einkäufer feststellen musste, dass es nur Tüten mit allen drei Farben gab. Damit der arme Einkaufszettel nicht seine ganze Gültigkeit verliert hat sich der Verfasser einen Bleistift ausgeliehen und den Zusatz aufgeschrieben. Und bei dem Fragezeichen ist er in der Reihe verrutscht. Er wollte einen Keks und ein Fragezeichen kaufen (die hatten sie diese Woche im Angebot).
    Und lass mich raten – Du findest meine Auslegung wieder mal gar nicht überzeugend… 😛

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  7. Lieber Jules, ich bin nicht der Meinung, daß es sich bei der Ergänzung um die gleiche (also dieselbe) Handschrift handelt. Schon das kleine g sieht anders aus, und auch insgesamt ist der Zusatz eher gerade, während die Schrift im Haupttext eine deutliche Neigung nach rechts zeigt. Und warum sollte derselbe Schreiber die grünen Paprikaschoten mit einem Pluszeichen ergänzen, während er bei den gelben ein abgekürztes „und“ (u.) benutzt?
    „Joghurts“ kann man gut schreiben, wenn man immer dieselben kauft und sowieso weiß, welche gemeint sind. Das müssen nicht unbedingt zwei sein, es können einfach die üblichen Joghurts gemeint sein, oder auch Joghurts nach Belieben, z. B. nach Belieben des Kindes, das die Joghurts nach seinem Geschmack kaufen soll.
    Das Wort „Keks“ ist etwas nachlässiger geschrieben als der Rest. Kekse als Belohnung dafür, daß das Kind das zuvor vom Erwachsenen Vergessene einkaufen geht. Das wird sich das Kind sowieso merken.

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    • Liebe Dorothea,
      sollen wir uns jetzt eine zweite sauber Druckschrift schreibende Person vorstellen, die Zugriff auf den Einkaufszettel einer ersten Person hat und ihn korrigiert? Welche Klarheit brächte das? Ich glaube nicht daran. Die geringfügigen Abweichungen können den unterschiedlichen Schreibstiften, Schriftgrößen und Zeitpunkten des Schreibens geschuldet sein. Bei Spekulationen folge ich immer dem Grundsatz, dass das Naheliegende das Wahrscheinliche ist. Genaues werden wir leider nie erfahren, weshalb es müßig ist, über einen Punkt zu streiten.

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  8. Diese Notiz zeugt weniger von der mangelnden Merkfähigkeit eines Konsumenten, sondern eindeutig von der Unterrichtung eines für alles offenen Empfängers. Kein Zweifel, der Zettel wurde vor dem Einkauf einem toten Briefkasten entnommen und dient der ausreichenden Versorgung etwa eines James Bond mit Vitaminen und eventuell motivierendem Süßkram.
    Nebenmann

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