Von der Klage der Texte wider ihren Erzeuger – Teestübchen Jahresrückblick 2017

Seit dem Start im August 2015 sind im Teestübchen 580 Beiträge erschienen, doch einmal von der Startseite verdrängt, sind sie im digitalen Orkus verschwunden. Diese Beiträge klagen an: „Unser eigener Autor vergisst uns bald, und würde man ihn fragen, was hast du da und dort geschrieben, würde er leugnen, uns überhaupt zu kennen, der Lump. Drum erheben wir unsere Stimme wie einst die Bücher im Philobiblon, als sie gegen wohlbestallte Geistliche folgende Worte sprachen: ‚Schlangengezücht, das die eigenen Erzeuger mordet, nichtswürdige, undankbare Kuckucksbrut, welche zu Kräften gekommen, die Geber dieser Kräfte umbringt. Gehet in euch, Verräter, und rechnet euch einmal vor, was wir Bücher euch gegeben haben (..)‘ Ersetz‘ er nun, Trithemius, die Bücher durch uns digitale Abkömmlinge und …“
„Genug, genug! Ich beuge mich der Übermacht und will einen Jahresrückblick machen, damit wenigstens einige von euch keinen Grund mehr zur Klage haben.“

Teestübchen Jahresrückblick 2017

Das Jahr 2017 erfreute gleich Anfang Januar mit einer Schnapsidee von Minister Christian Schmidt, dem sympathischen Hans Wurst der Fleischindustrie. Im Teestübchen startet die nostalgische Serie „Die Straße meiner Kindheit“

Im Februar erinnert das Teestübchen an eine versinkende Kulturtechnik, die Frottage. Kann man mal wieder machen.

Der März startet mit einer neuen Rubrik, dem Feuilleton.

Im April geht’s um ethnologische Vermutungen zum Gebrauch von Untertellern.

Trauriges im Mai. Über den Tod des Journalisten Bernd Fritz, ehedem Chefredakteur des satirischen Magazins Titanic.

Wo Häuser gebaut, umgebaut oder renoviert werden, sind ambulante Häuschen obligatorisch: Dixiklo-Alarm im Juni

Im Juli ist Dauerregen Thema. Trithemius stellt den Sommer zur Rede und zur Aufheiterung trübnasser Tage kümmert sich der Teestübchen-Chefredakteur um den intergalaktischen Weltfrieden, leider erfolglos.

Drei Männer in einem Boot und auch noch der Schwamm – im August findet eine Flussfahrt statt und wird prompt geschildert.

„Schön ist die Jugend“, der September bringt eine Erinnerung an eine Nachtfahrt nahe der Weinstraße.

Der Oktober verführt zum Nachdenken über digitale Kommunikation.

Fast jeder kennt seine Handschrift, doch ihn kennt man kaum . Im November erinnert Teestübchen an den 100. Todestag von Ludwig Sütterlin.

Wo im Dezember überall die Lichter erstrahlen, ist die Erleuchtung nicht weit.

20 Kommentare zu “Von der Klage der Texte wider ihren Erzeuger – Teestübchen Jahresrückblick 2017

  1. Ich muss sagen, dass ist ein wirklich ernstes Thema und für mich regelrecht ein wunder Punkt – ein ständig nagender Zweifel an dem ganzen Format „Blog“. Ein Text wird entweder gleich gelesen oder gar nicht. Das Schlimmste, was man einem Text antun kann, ist, gleich den nächsten zu veröffentlichen. In blog.de-Zeiten habe ich mal mit einem Monats-Review versucht, Leser, die nicht ganz so regelmäßig vorbeischauten, zum Nachlesen zu bringen. Der Erfolg war sehr mäßig. Das Blog als Textarchiv wird kaum genutzt.

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    • Das ist tatsächlich ein fundamentaler Nachteil der digitalen Publikation. An mir selbst beobachte ich, dass ich immer auf Neuware aus bin. Archive nutze ich nur gezielt. An der eigenen Statistik lässt sich ja ablesen, welcher Text aus dem Archiv nochmals aufgerufen wurde. Mir ist unangenehm aufgefallen, dass ich, den Titel lesend, nicht mehr weiß, was ich da geschrieben habe. Daher war das Zusammenstellen des Rückblicks für mich eine gute Weise, mir Texte in Erinnerung zu rufen.
      Ich habe eben nochmals im Philobiblon geblättert. Es ist ein von mir selbst kopierter und gebundener Klaudruck aus der Bibliothek der RWTH Aachen. Was Richard de Bury dort alles beklagt, die Bücher klagen lässt, zeígt, dass jedes Medium seine Schwachstellen hat.

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      • Der letzte Satz triff zweifellos zu. Übrigens ist es mir sogar schon passiert, dass ich mich nicht nur beim Lesen meines eigenen Titels an meinen eigenen Text nicht erinnern konnte, sondern dass ich sogar vehement abgestritten hätte, das geschrieben zu haben. Das allerdings bei sehr lange zurückliegenden Texten. Man macht aber auch die umgekehrte Erfahrung, dass man etwas vor langer Zeit Geschriebenes liest und feststellt, dass man es auch heute noch aus tiefster Überzeugung unterschreiben würde. Das ist dann sehr schön.
        Einer der besten Tagebuchschreiber ist für mich immer noch Max Frisch. Habe gerade sein Tagebuch 1946-1949 nochmals gelesen und werde mit den anderen weitermachen. Natürlich sind das ausgewählte Texte aus dem Original-Tagebuch – schon aus Gründen der Diskretion. Daran könnte man sich ein Beispiel nehmen. Sein altes Zeug lesen, bewerten, was noch Gültigkeit hat. Ob es andere nun noch lesen oder nicht – für einen selbst ist es wichtig.

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        • „Sein altes Zeug lesen“ dazu passt die Neunerregel des Horaz. Der Dichter und Kritiker Quintus Horatius Flaccus riet seinen jungen Kollegen: „nonumque prematur in annum“ und bis ins neunte Jahr werde es [das Manuskript] zurückgehalten). Der zeitliche Abstand erlaube dem Autor eine nüchterne Betrachtung seines Werks.

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          • Sie passt. Nur passt sie nicht in unsere schnelllebige Zeit. Ich fürchte, wir sind alle infiziert und leiden am Syndrom der verpassten Gelegenheiten. Auch ist der Kollege jung, wie Su sagst. Ich frage mich immer öfter, wieviel Zeit mir noch bleibt. Doch gerade angesichts solcher Ängste, müsste man alles wohl überlegt tun. Es könnte ja sein, dass man nicht mehr die Gelegenheit hat, sich selbst zu korrigieren oder etwas richtigzustellen.

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            • Das Problem hatte ich mit meiner Buchkultur. Nachdem ich die Niederschrift und Zusammenstellung Jahrzehnte vor mir her geschoben hatte, bekam ich plötzlich Panik, ich würde die Druckversion nicht mehr erleben. Nachdem ich jetzt mein Hauptwerk sozusagen fertig habe, ist alles Weitere nur noch die Kür. Sie mag irgendwann enden, und was danach ist, sollte mir herzlich egal sein.

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              • Ja, das ist es wohl: Mir fehlt ein Hauptwerk.
                Eine Frau, die Gedichte schrieb und sich dazu am liebsten im Parlament der Bäume aufhielt, sagte mal (Trost meinend) zu mir: „Ein Kind ist auch ein Buch!“ – Quatsch! Ein Kind ist (für mich) weit mehr als ein Buch, aber es ersetzt kein Buch. Eher schon ist ein Baum ein Buch und das in mehrerer Hinsicht. Das zumindest sollte man im Parlament der Bäume gelernt haben.

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            • Es könnte auch sein dass man alles auf später verschiebt, weil man es ordentlich machen will und sich Zeit nehmen will für DAS Buch oder DIE Memoiren, und dann hat man keine Lust mehr, ist krank oder schon tot. Und dann wäre die verpasste Gelegenheit das JETZT gewesen…
              @überlegt: ja, man müsste jetzt schon die Dinge tun, die einem wichtig sind, die einen berühren. Im schlimmsten Fall finden andere einen kitschig. Im besten Fall authentisch.

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    • Das schlimmste was einem Text passieren kann: dass er nicht _geschrieben_ wird! 🙂

      Ich hab meinen Blog noch nicht so lang und (noch) sehr schreib-freudig. Ich schreibe weil es _mir_ Spaß macht, und immerhin gebe ich mit der Veröffentlichung den Texten eine _Chance_ gelesen zu werden, und ich selber kann es als Archiv benutzen. Das finde ich schon vorteilhaft gegenüber Papier und eigener Festplatte.

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      • Gelegentlich träume ich von Texten, und wenn ich erwache ist die Erinnerung nur noch so vage, dass ich den Text nicht aufschreiben kann. Zum Glück ist es dem Text egal. 😉
        Wilkommen im Teestübchen und Glückwunsch zur Entscheidung für ein eigenes Blog. Der Wunsch dort zu veröffentlichen bringt auch immer wieder neue Texte hervor. Das ist motivierender als für die Schublade zu schreiben.

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  2. Erstleser, also Menschen, die zufällig oder auf der Suche nach einer bestimmten Information, Blogbeiträge lesen, klicken dann schon gern mal auf ein paar weitere Themen. Ansonsten stimmt deine Wahrnehmung. Wenn nichts passiert, kein neuer Beitrag kommt, dann ruht die Aktivität des geschätzten Publikums nach zwei oder drei Tagen. Ab und an schaut jemand vorbei, vermutlich um zu überprüfen, ob es Zeichen von Leben gibt, aber sonst herrscht Ebbe. Doch wie erschließt man das Archiv? Dein Jahresrückblick ist ja eine Verführung zum Klicken. Ich bin neugierig, ob das dazu führt, dass die älteren Beitrräge auch wirklich aufgerufen werden.

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    • Die Statistik wird es zeigen, lieber Manfred. Als ich noch oft die Zentralbibliothek der RWTH Aachen besuchte, stieß ich gelegentlich auf Bücher, die laut Ausleihstempel vor mir ein, zwei Leute ausgeliehen hatten. Ich erinnere mich an ein Buch von 1920 etwa, bei dem es so war. Solche Textleichen haben wir beide nicht im Archiv. Nicht alle Texte finden die gebührende Aufmerksamkeit, aber langfristig dann doch. Ich habe im Teppichhaus immer noch mehr Seitenaufrufe als hier. Es sind nur Leser, die über eine Suchphrase hingefunden haben. So gesehen, will ich nicht klagen.

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  3. Eine schöne Idee, lieber Jules. Mir geht es ähnlich. Von manchen Beiträgen würde man sich wünschen, dass sie nicht gar so schnell in der Versenkung verschwinden würden. Wahrscheinlich muss man sie selbst wieder hervor ziehen und nach ein paar Jahren einfach erneut posten, wenn man möchte, dass sie von neuen Abonnenten gelesen werden. Mir selbst geht es ja ähnlich – ganz bequem lese ich meist nur das Neuste und übersehe das, was vor längerem geschrieben wurde.

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    • Liebe Mitzi,
      Kollege Noemix holt regelmäßig Beiträge nach vorn. Bei Twoday.net wird aber keine Jahreszahl angezeigt. Oft will ich kommentieren, stelle aber erstaunt fest, dass ich es bereits getan habe. Will sagen, man vergisst im Internet so schnell, dass es wirklich lohnt, ältere Texte mal wieder auf die Startseite zu heben.

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      • Es wäre sicher auch interessant, die eigenen Kommentare bzw Gedanken zu einem Beitrag mit dem Abstand einiger Jahre zu lesen. Ob man für fünf Jahren das gleiche beim Lesen empfunden hat wie heute oder ob es sich doch unterscheidet.

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