Cäcilia Kuttelwäsch, genannt Cilla, stammte aus einer Zeit, als sich die unverheiratete Frau noch stolz „Jungfrau“ nannte. Diese stämmige ältliche Jungfrau trug die schwarzen Haare streng nach hinten gezurrt und zu einem dicken Dutt geknotet. Sie saß ohne familiären Anhang auf einem ererbten Bauernhof, dessen Stallungen verwaist waren, denn als alleinstehende Frau war es ihr nicht gegeben, den Hof zu bewirtschaften. Cilla bewohnte im Haus die beiden Zimmer links und rechts der stets verschlossenen Haustür. Alle anderen Räume hatte sie vermietet, einen Raum an ein kinderloses Ehepaar im Obergeschoss, inklusive Nutzung der Küche, und ein großes Zimmer im Erdgeschoss und zwei Schlafzimmer im Obergeschoss an meine Eltern. Die geringen Mieteinnahmen waren vermutlich ihre einzigen Einkünfte. Zum Haus gehörte ein großer Gemüsegarten mit einigen Obstbäumen, der ihren Unterhalt sicherte, weshalb er nur von ihr betreten werden durfte. Aus Sparsamkeit heizte sie ihre Räume nicht und saß fast immer im Dunkeln. So ohne Verpflichtung hatte sie mit ihrer Kraft haushalten können, so dass sie noch im Alter über ein großes Maß an Energie verfügte und kein einziges graues Haar zu haben schien. Sie war boshaft und zänkisch, und ihr durchweg finsterer Charakter wurde durch keine Religion gebändigt. Hätte im nahen Kloster der Inquisitor von ihr gewusst, hätte er befunden: „Zur Sicherheit verbrennen wir die Hexe.“
Uns Kinder hasste sie, obwohl wir gehalten waren “Gute Nacht, Tante Cilla!“ zu rufen, wenn meine Mutter uns über die Stiege hinauf zu Bett brachte. Nur einmal im Jahr kümmerte sich Tante Cilla um uns. Am Heiligabend saßen wir bei ihr im dunklen Wohnzimmer und warteten auf das Christkind. Um die Zeit zu verkürzen, sang Tante Cilla uns vor, mit einem gefährlichen Tremolo in ihrer Altstimme, und es schien, als würde sie Gesänge aus tiefster Vergangenheit heraufbeschwören. Es waren unheimliche Lieder, die mit eisernen Klauen nach unseren Herzen griffen.
Bei ihrem heidnischen Gesang war Cilla ganz entrückt und nahm kaum noch wahr, wie wir verängstigt auf dem unnachgiebigen Sitzgeflecht ihrer Eichenstühle herumrutschten und das Klingglöckchen herbeisehnten, das uns aus der kalten Finsternis in unsere geheizte Wohnküche rief, wo der Weihnachtsbaum in festlichem Glanz erstrahlte. Dieser Kontrast zwischen Tante Cillas düsterer Welt und dem hellerleuchteten Weihnachtszimmer bereitet mir noch heute einen wohligen Schauer.
Über Cillas Heidenlieder hat sich gütiges Vergessen gelegt. Ich habe nur ein einziges behalten, ein Spottlied, vermutlich wegen seiner heiteren Bosheit, weil im Lied die Wünsche eines Knaben von seiner findigen Mutter auf höchst unbefriedigende Weise erfüllt werden, „Unser Nohber Pitter.“ Nachbars Peter will so gerne Ritter werden, und weil er kein Pferd hat, setzt die Mutter ihn auf den Ziegenbock. Zum Helm wird der Nachttopf, zum Schwert das Ofenrohr usw. Hier im kölschen Dialekt mit hochdeutscher Übersetzung: