Die Isolierverglasung meiner Fenster schließt mich weitgehend aus von den Vorgängen draußen, die auf irgendeine Weise Laut geben. Isolierverglasung isoliert das Innen vom Außen, lässt von draußen nur das Licht durch, das von den Objekten vor den Fenstern reflektiert wird. Selbst das Licht des offenen Himmels ist ja Reflexion. Wenn die Atmosphäre nicht das Licht reflektieren würde, wäre unser Himmel schwarz. Aus einem erstaunlich hellen Himmel fällt lautlos der Regen. Seine Tropfen glänzen. Es ist mehr ein Aufblitzen und nicht einfach Tropfen, sondern Triefen.
Als isolierverglaster Mensch fehlt mir am meisten, den Regen zu hören. Zu einer anderen Zeit am anderen Ort habe ich mit einer geliebten Frau im Bett gelegen und wurde wach, als es gerade dämmerte. Die Tür zu Veranda und Garten stand offen. Drinnen und Draußen wurde nur durch eine bodenlange weiße Gardine getrennt. Ich hörte, dass ergiebiger Regen niederging, sah, wie die Gardine sich zum Garten hin bauschte, also wie vom Regen hinausgezogen wurde, aber nicht gänzlich Folge leistete. Oben hing sie an der Gardinenstange fest und unten widerstand das auf dem Boden aufliegende Stück der Gardine der Sogwirkung des Regens. So blähte sie sich wie ein Segel. Ich fröstelte. Aber meine linke Flanke war warm, wo ich die nackte Frau neben mir berührte. Sie hatte unser Laken ganz zu sich herübergezogen, und dort war es halb zu Boden geglitten. Ich hörte dem Regen zu, spürte schaudernd die nasse Kälte, die von außen auf mich eindrang. Für einen Augenblick durchströmte mich ein Glücksgefühl, grad so lang, wie da noch ein Ausgleich war zwischen Wärme an meiner linken Seite und Kälte rechts, dann schmiegt ich mich an das schlafwarme Weib und zog das Laken wieder über uns. Der Regen mochte ewig weiter rauschen. Doch die Welt stünde für eine Weile still.
Da nimmt dein Text aber eine völlig unerwartete Wendung. Erinnerungen wärmen auch, machen auch den Regen hörbar und die isolierverglaste Gegenwart verliert etwas von ihrer Isolierung.
LikeGefällt 2 Personen
Du hast treffend umschrieben, warum ich dem Text eine unerwartete Wendung gegeben habe. Noch saß ich arglos und isoliert im Hier und Jetzt, da erweiterte sich die Perspektive fast ohne mein Zutun zur offenen Terrassentür hinaus in die Vergangenheit.
LikeGefällt 1 Person
Offensichtlich stand die Welt eine Weile still, wenn Du das jetzt noch fühlen kannst.
Mach einfach das Fenster eine Weile auf. Oder geh raus. Ich weiß, nur Kinder springen in Pfützen, aber he… wer schert sich schon um Konventionen?
LikeLike
Hört sich an, als würdest du mich für versteinert oder zumindest für verholzt halten, unfähig derlei noch präsent zu haben und wieder zu fühlen. Wenn ich heute das Fenster öffne oder vor die Tür trete, sind da auch Gefühle, nur andere. Aber schreibend kann ich die Vergangenheit immer Hier und Jetzt sein lassen,
LikeLike
Nein, eigentlich nicht. Ich habe nur hingeschrieben, was ich in dem Moment gedacht habe – aber ich könnte nächstes Mal erst ein Konzept ausarbeiten bevor ich schreibe, um nicht Gefahr zu laufen, dass meine Gedanken hin- und herspringen und man mich falsch versteht. Genau das ist nämlich offenbar passiert.
Der erste Satz bezog sich auf den Zeitanhalte-Teil – das ist etwas, was ich auch tue und immer getan habe. Ich habe eine ganze Sammlung von solchen Erinnerungen, und ich hoffe, eine davon wird die letzte sein, an die ich denke, wenn ich diese Welt einmal verlassen muss. Der Rest bezog sich auf das Isolierverglasung-ist-doof-Problem. Isolierverglasung lässt nicht nur keine Geräusche mehr in die Wohnung, es sorgt auch für Schimmel an den Wänden und hat die Eisblumen an den Fensterscheiben aussterben lassen. Offene Fenster schlagen zumindest dem ersten Problem ein Schnippchen. Die Eisblumen dagegen… kennst Du noch diese Doppelfenster, die Vorgänger der Isolierverglasung, bei denen zwei einzeln zu öffnende Fenster hintereinander angebracht waren, und in derem Mitte man Pflanzen stellen konnte (die sich in dieser Gewächshausathmosphäre natürlich pudelwohl fühlten?). Ich wünschte, so etwas gäbe es noch. Und ich bin neulich tatsächlich barfuß durch eine Pfütze gelaufen. Offiziell, weil ich sonst nicht durch den überschwemmten Waldweg gekommen wäre. Ich werde es niemandem verraten – aber in Wahrheit habe ich es nur gemacht, weil es mir Spaß machte…
LikeGefällt 1 Person
Ach so. Ja, Isolierverglasung hat Nachteile. Bei meiner Wohnung hält sie den Lärm des Westschnellwegs zurück, der bei Westwind echt nervig ist. An Eisblumen erinnere ich mich noch gut, aber auch an ein eiskaltes Schlafzimmer, weil dort nicht geheizt werden konnte. Abends legte meine Mutter uns einen im Backofen aufgeheizten Ziegelstein ins Bett. Es klingt romantischer als es war. Barfuß durch Pfützen bin ich schon lange nicht mehr gelaufen.
LikeLike
Ich wohne in der Nähe des Flughafens; ohne Isolierverglasung würden sich die Häuser hier nicht verkaufen lassen. Aber ich mag es lieber, wenn das Fenster offen bleibt.
Und klar, irgendwann kommt man aus dem Alter raus, in dem es noch angemessen erscheint, barfuß durch Pfützen zu laufen. Allerdings kann man ganz offiziell eine Kneipp-Kur machen, dann ist das nicht kindisch, sondern gesund. Oma pflegte morgens barfuß durchs nasse Gras zu laufen und zu behaupten, das sei gut für die Venen. Ja mag sein. Aber ich wette, das war nur ein Teil der Wahrheit. Ich meine, sie war meine Oma…
LikeLike
Ein wunderschöner Stillstand, lieber Jules.
Das Geräusch des Regens ist alleine schon schön. Du aber beschreibst einen perfekten Moment.
LikeGefällt 1 Person
„Perfekter Moment“ trifft es, liebe Mitzi, danke!
LikeGefällt 1 Person
Lieber Jules,
Dein Text rauscht als Bettlektüre ins Karfunkelfeenreich. Wenn man ihn dem Regen vorliest, fällt er poetischer und dichter als das Tropfenkonzert in den Bäumen dahertropft. Die bodenlange Gardine war vermutlich unten am Saum mit einer Bleikette beschwert. Meine Gardinen kriegen von Wind auch Blähbäuche so dick wie Gummiaufblastiere doch ich schweife ab und finde Reizworte wie Isolierverglasung…ein Wort…für einen Dichter wie Glaser zum Hinknien, da Einbauen. Zum Beispiel in das Dämmerlicht einer geliebten Frau. So schlafwarm wie ein kleiner Bullerofen und so weich wie…wie…äh…
Oha!
Formidabler Text, mein Lieber!
Fisselige Grüße aus dem herbstlichten Teuto von der Fee ✨🦋
LikeGefällt 1 Person
Liebe Fee,
das ist die wundersame Rezeption digitaler Texte. Sie können einfach zur Bettlektüre werden. Hübsch, wenn es passender Weise auch ums Liegen im Bett geht. Die Bildung „Tropfernkonzert“ verweist auf reiche Erfahrung mit Regen, den du dir ungefiltert dem Teuto ablauschen kannst. Dankeschön für dein Lob, meine Liebe,
und schönen Sonntag!
Jules
LikeGefällt 1 Person
…Lieber Jules,
Solche Bettlektüren lobe ich mir. Die Erinnerung ist ein wundersames Ding, manches fügt sich wie von selber zusammen. Heute mag ich gar nicht glauben, dass es gestern in den Bäumen so feuchtfeierlich symphonisch berauschend zuging, heute rauscht nur das himmlische Kind, dieser Wind und die Sonne. Die Elstern produzieren wieder dieses lustige Palaver. Was sie sich wohl alles erzählen? Die Sonne lockt nach draußen um neue Erinnerungen jenseits Isolierverglasungen zu erschaffen. Isolierverglasung und Nähe klingt im Zusammenspiel wie ein seltsames Paradoxon. Und doch wirkt hier das Parodoxon trotz Isolierverglasung berührend. Gestern war mir dieser kurze Satz noch nicht eingefallen, darum hier heute. Und weil Feen eben auch *shameshameshame*
furchtbar romantisch sind (und in meinem Fall obendrein nur potthässliche zugige und uralte Energieräuber-Fenster haben..dafür aber traumhaft bauschige Gardinen….)Liebe Sonntagsgrüße von der Fee✨🦋
LikeGefällt 1 Person
In Amerika arbeiten sie nun an Fenstern, die uns den Regen hören, das Licht aber draußen lassen. Reifenquietschen und Schießereien vermitteln ein Feeling von mittendrin ohne dass man es mit anschauen kann …
LikeGefällt 1 Person
Dieser apokalyptische Effekt ließe sich auch schon durch schwarzes Tonpapier auf den Fenstern erzielen.
LikeGefällt 1 Person
Momente des Glücks, ewig in der Erinnerung, nachspürbar – zu schön, wenn sie sich, was die Intensität betrifft, wiederholen ließen. Leider passiert das nicht (in meinem Fall) – wozu gibt es Bier?
LikeGefällt 1 Person
Zuviel Glück macht abhängig und gewiss auch blöd. Darum ist es gut, wenn solche Momente nicht zu oft auftreten.
LikeGefällt 1 Person
🙂 Etwas mehr Blödheit könnte ich gut wegstecken, wenn das Glück von der Art ist, wie Du es beschreibst. Für viele ist es ja eher so, wie Gottfried Benn es beschreibt: „Dumm sein und Arbeit haben, das ist Glück.“
LikeGefällt 1 Person
Pingback: Das Lied der Steine
Pingback: Sprung ins offline – socopuk