Im Wohnzimmer keucht was

Quatsch! So regelmäßig keucht kein Mensch, beruhige ich mich, als aus dem Dunkel des Wohnzimmers ein anhaltendes, heiseres Keuchen ertönte. Zudem, wer nächtens in dein Wohnzimmer eingedrungen wäre und etwas Unrechtes im Sinn hätte, würde jedes Keuchen vermeiden, also leise verstohlen atmen, um niemanden zu warnen. Vor allem, ergänzte ich, müsste er ja über die Außenwand durch das offene Fenster in die erste Etage geklettert sein, bräuchte also körperliche Fitness und einer, der sich derlei Kletterkünste zutraut, wäre keiner, der derart keuchen müsste.

Der Vorsichtige wandte ein: „Und wenn das Wesen im Wohnzimmer völlig durchtrieben ist, bei Kräften und voller böser Absichten und würde einfach keuchen, um dich einzuschüchtern, wohl wissend, dass der Furchtsame kaum in der Lage ist, sich angemessen zu verteidigen?“

„Wie könnte er oder es denn ahnen, dass hier ein Hasenfuß lebt?“, entgegnete mein Widerspruchsgeist. „Genauso gut könnte ich einer sein, der den Stier bei den Hörnern packt, in jeder Sekunde also ins Wohnzimmer stürmen und mit den Worten: ‚Ich gebe dir gleich einen Grund zu keuchen!‘ der ganzen Keucherei ein gewaltsames Ende bereiten.“

„Da hat’s einen Widerspruch“, sprach der Klugscheißer, „wer Keuchen beenden will, sollte tunlichst kein neues Keuchen hervorrufen.“

„Diese ganze Diskussion ist doch müßig und hilft nicht weiter“, sagte ich, „es sei denn, ihr wolltet den Urheber des Keuchens totquatschen. Dieses Unterfangen jedoch könnte scheitern, wenn nämlich der Keucher über größere Vitalität verfügen würde als ich. Dann wäre ich längst verröchelt, er aber nicht und könnte weiter keuchen noch über mein Grab hinaus.“

„Da erhebt sich die Frage, was überhaupt daran verwerflich ist, im Wohnzimmer zu keuchen, zumal es ein offenes, ehrliches Zeichen ist. Seht her, ich bin zwar verbotener Weise in eine fremde Wohnung eingedrungen, aber das einzige, was ich hier will, ist in Ruhe eine Runde zu keuchen“, warf das übersteigerte Gerechtigkeitsempfinden ein.

„HIER IST NICHTKEUCHER!“, rufe ich ungeduldig, „und wenns ein Igel wäre.“

„Igel keuchen nicht, sie schnaufen!“, weiß der Biologe.

„Ich würde noch gerne über das Regelmaß des Keuchens nachdenken“, sagte der Bedachtsame. „Kaum zu glauben, dass ein Lebewesen dermaßen keuchen könnte, jedenfalls keines diesseits von Beteigeuze. Es klingt wie die Äußerung einer Maschine, wobei dann noch zu klären wäre, ob wir es mit einer analogen oder einer digitalen Lautäußerung zu tun haben.“

„Wo läge denn der Unterschied, wenn mans nicht hört?“, fragte der Zweifler.

„Der wäre gewaltig. Denn das erste digitale Keuchen wäre ja völlig identisch mit allen folgenden, und weil es aus elektronischen Zuständen gemacht wäre, bestünde es quasi aus nichts, wäre aber beliebig oft zu reproduzieren. Jeder digitale Keucher wäre also eine exakte Kopie von nichts. Ein analoges Keuchen, etwa hervorgebracht von einer Keuchmaschine, hingegen wäre durchaus als einzelne Äußerung anzusehen. Jeder Keucher ein Original.“

„Alles müßige Spekulationen!“, rief der Neugierige, der nachgesehen hatte, „Es keucht das Dampfbügeleisen!“

15 Kommentare zu “Im Wohnzimmer keucht was

    • Freut mich, merci! Der Unterschied zwischen Digital und Analog fällt mir besonders bei den Drucklettern auf. Die digitalen sind einfach nur Typen, eine wie die andere, die Analogen sind Charaktere.

      Beispielsweise diese Letter aus der 72 punkt Futura fett. Sie könnte Macken im Gesicht haben, die sich im Druck als weiße Stelle zeigen. Und in jeder Drucksache, in der die Letter verwendet wurde, ruft sie: „Hallo, ich bins wieder!“

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  1. Lieber Jules,

    Du schrubst ’nächtens‘, nächtens fräste sich in meinen Synapsen fest. Dann das Ende der Debatte: Es keuchte das Dampfbügeleisen. Kenn ich. Die keuchen katharrig mit Nebligen Auswurf. Benutzt man sie nicht, weil man mit Leuten diskutiert, fauchen die Dinger zwischendurch wie wütende Gänse oder zischen ein Überhitzungswarnsignal hoffmannweiß gestärkt als Rauch, pardon, Dampfsignal. Dampfbügeleisen sind so wirklich und vorhanden wie unsichtbare Keucher unwirklich und gar nicht da sind. Jules, wann bügelst Du? Das grenzt an juvenile Bettflucht!
    Besorgte Grüße von der Fee✨

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    • Liebe Fee,
      kein Grund zur Sorge. Hier der Blick hinter die Kulissen. Das ganze geschah am hellen Morgen. Ich bügelte ein T-Shirt trocken, stellte das Dampfbügeleisen ab und verließ den Raum. Da fing es zu keuchen an, ganz wie du kundig beschrieben hast, und ich wusste sofort, was da keuchte, dachte, ein Dialog dazu aus verschiedenen Perspektiven wäre ganz hübsch. Um der Dramatik wegen,habe ich das ganze in die Nacht verlegt. So konnte ich das hübsche Wort „nächtens“ mal wieder benutzen. Dass es geeignet ist, sich in deine Synapsen zu fräsen, wer konnte das ahnen?
      Lieben Gruß,
      Jules

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      • …na ja, zumindest tummelt sich in Dir auch ein munterer und ausgesprochen diskutierfreudiger Verein herum und die trafst Du mitten ins Wort. Sorge wird wie Sex eh total Überbewertet. Oh, da habe ich jetzt aber was geschrieben. Mein Dampfbügeleisen befindet sich genau wie der Fernseher im Exil und schreibt von dort aus Hasskolumnen gegen mich weil ich Es verbannte als es nur noch keuchhustete. Der Fernseher fiepte.
        Ob das auch ansteckend ist? Die nach dem Mond nicht ganz richtig tickende Wanduhr genießt allerdings (noch) Duldungsrechte.

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        • Ich kenne Leute, die dir wegen Sex widersprechen würden. 😉
          So eine Dampfbügeleisen-Hasskolumne wäre vielleicht hübsch zu lesen. Aber ist auch so ziemlich witzig. Mein Onkel hatte in seiner Druckerei ein altes Röhrenradio. Obendrauf lag ein Gummihammer. Wenn das Radio zu spinnen anfing, also nur noch krachte, gab mein Onkel ihm eins mit dem Gummihammer, und das Radio spurte. Da lernte ich schon früh, was es heißt, die Technik zu beherrschen.

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          • …Widerspruch ist ausdrücklich erwünscht, Dampfbügeleisen sind immer verhandelbar. So ein Uralt-Röhrenradio war mein allererstes eigenes Radio. Wenn ich andrehte, musste es warm laufen, doch es hatte einen schönen vollen Klang dank dem Holzkorpus. Wie war das? Kleine Schläge auf den Drehkondensator erhöhen die Sendefrequenz? 🤔

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  2. Sehr schön beschrieben, lieber Jules. Diese inneren Dialoge laufen und trampeln so oft durch den Kopf, dass man sich schon an sie gewöhnt hat. Man schenkt ihnen kaum Beachtung. Ganz anders, wenn sie aufgezeichnet und veröffentlicht werden. Du erinnerst mich, dass ich dringend bügeln muss.

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    • Danke, liebe Mitzi. Ich hatte dich schon vermisst und gedacht, du wärest beim Oktoberfest versackt. 😉 Sogar die Bügelwäsche ist liegengeblieben. Das Aufschreiben innerer Monologe gibt es, wie du sicher weißt, meisterhaft in Joames Joyce‘ Roman Ulysses.

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