Über militärischen Drill, Kinder und Krieg


Angeregt durch einen lesenswerten autobiographischen Bericht der jungen Kollegin „auchwasmitmedien“ über ihre Kindheit im kommunistischen Rumänien, in dem Sie unter anderem schreibt, dass sie als Kind salutiert und mitgesungen hat, wenn im Fernsehen die rumänische Nationalhymne lief, habe ich mich an „militärische Früherziehung“ an einem Aachener Gymnasium und das Salutieren von Kindern erinnert. Zumindest am Salutieren zweier Schüler der 5. Klasse war ich nicht unschuldig, wenn es auch eher dadaistische Qualität hatte.

Nachdem ich im Jahr 1980 meine erste Stelle als junger Lehrer für Deutsch und Kunst angetreten hatte, bekam ich für den Kunstunterricht auch die 6. Klasse von Herrn Schikowski zugeteilt. Kollege Schikowski unterrichtete Englisch und Französisch, eine Fächerkombination, von der ich dachte, das ist wie beide Beine in einem Hosenbein zu haben. Aber im Gegenteil, statt über Sprachverwirrung zu stolpern, eröffneten ihm seine Sprachkenntnisse neue Welten. Er war Major bei der Bundeswehr, nahm als Reservist jährlich an einer mehrwöchigen Natoübung teil und war dann beim Stab der verantwortliche Kommunikationsoffizier.

Als Lehrer war er ein Kommisskopp. Als ich das erste Mal vor seiner Klasse saß, fragte ich ganz arglos den Schüler vorne am Pult: „Wie viele seid ihr eigentlich?“ Der Junge sprang auf und rief: „Durchzählen! Eins, ….“ Überwältigt musste ich hinnehmen, das nun alle der Reihe nach aufsprangen und ihre Zahl schrien. Ich war so perplex, dass ich den gutgeölten Dressurmodus zuerst laufen ließ, bevor ich mich fasste und rief: „HALT! AUFHÖREN! Wir sind hier nicht bei der Bundeswehr!“ Ich war erst wenige Jahre zuvor vom Düsseldorfer Verwaltungsgericht in der Klagesache „Van der Ley gegen Bundesrepublik Deutschland“ als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden, hatte davor 18 Monate Wehrdienst leisten müssen und alles Militärische hassen gelernt.

Aber der Mensch ist ein seltsames Wesen. Etwas war bei mir hängen geblieben und ich ließ mich mal dazu hinreißen, meinen Schülern zu zeigen, wie man korrekt salutiert. Womit ich nicht gerechnet hatte, ein Junge namens Johannes erwartete mich ab dann schon an der Schwingtür des Treppenhauses, stemmte sie für mich auf und salutierte vorbildlich, ich tippte dankend an meine Stirn, Johannes rannte vor zur Flurtür, um auch die salutierend für mich aufzuhalten, und dann beeilte er sich, vor mir an der Klassenraumtür zu sein, wo sich das Spiel wiederholte. Das lief wöchentlich viermal ab, denn ich unterrichtete Deutsch in der Klasse. Zeitweise hatte Johannes einen Konkurrenten, Paul, der ihm den Platz an der Klassenraumtür streitig machte. Da entschädigte sich Johannes, indem er mich schon eine Tür früher erwartete. Da ich sonst kein militärisches Gedankengut verbreitet habe, hoffe ich, weder Paul noch Johannes hat fürs Leben einen Schaden genommen.

Im Jahr 1983 veranstaltete die Schülervertretung (SV) eine Friedenswoche, in deren Folge sich das Lehrerkollegium in zwei Lager spaltete, die viele Jahre nicht mehr miteinander redeten. Ich war der von den Schülern gewählte SV-Lehrer und sah es als meine Pflicht an, mich an der Aktionswoche der Schülerschaft zu beteiligen. Also warb ich in allen Klassen, mir ausrangierte Puppen mitzubringen.

Meinen 11-er Kunstkurs ließ ich die Puppen entkleiden und mit einer Augenbinde versehen. An den Fuß banden wir mit Draht jeder Puppe ein Schildchen. Darauf stand der Name eines Kriegsschauplatzes seit 1945. Es waren so erschreckend viele. Die Puppen drapierten wir auf der Bühne der Aula zu einem Leichenberg und hängten dahinter eine zeichnerische Vergrößerung des bekannten Fotos aus dem Vietnamkrieg, auf dem von Napalm verbrannte Kinder schreiend aus einem brennenden Dorf fortlaufen. Darüber stand groß die Frage: „Frieden ohne Chance?“

Tags darauf wurde ich zum Direktor zitiert. Der Mann und ich, wir mochten uns vom ersten Tag an nicht, und weil wir schon einmal aneinandergeraten waren, hassten wir uns herzlich. Er war SPD-Mitglied, aber stand in seiner Partei so weit rechtsaußen, dass nicht mal die CDU ihn aufgenommen hätte. Beim Direktor erwartete mich zudem mein bester Feind im Kollegium, ein kleiner, giftiger Altnazi, der noch den Russlandfeldzug mitgemacht hatte. Ich hatte noch nicht die Tür hinter mir zugemacht, als er schon schrie: „Ich weigere mich, an dieser Schule weiter zu unterrichten, wenn Sie die blutigen Leichen nicht entfernen!“ Ich sagte: „Das sind einfach nur Puppen. An denen ist kein Tropfen Blut. Das Blut haben Sie in Ihrem Kopf!“ „Das ist doch Wortgeklingel, Herr Kollege!“, rief er. Da sprang der Direktor in seiner ganzen Fülle auf, schlug beide Hände schwer auf die Schreibtischplatte und entschied: „Schluss, die Puppen bleiben!“ Das hat mir imponiert.

„Frieden ohne Chance?“ Foto aus: ru – Zeitschrift für die Praxis des Religionsunterricht. 12/1983

Weitergeleitet von einem Kollegen Religionslehrer erschien ein Foto unserer Installation in einer Fachzeitschrift für katholische Religion. Allerdngs hatten sie die fotorealistische Vergrößerung des Kriegsfotos abgeschnitten, vielleicht aus Urheberrechtsgründen, vielleicht aber auch, weil eines der Kinder nackt ist. Aus dem gleichen Grund hat Facebook das Foto vor einem Jahr zensiert.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/facebook-zensiert-ikonisches-vietnam-kriegsfoto-14427324.html

14 Kommentare zu “Über militärischen Drill, Kinder und Krieg

  1. Ui, Herr Trithemius, ganz große Ehre für mich. Herzlichen Dank fürs Pingback. Und eine hervorragende Installation, Respekt. Falls Johannes und Paul hier lesen, möchte ich sie wissen lassen: Es ist okay, das Salutieren damals (man kann es durchaus verarbeiten).

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    • Gerne und dankeschön. Johannes und Paul müssten jetzt, wenn ich richtig rechne, etwa 48 Jahre alt sein. Ich habe sie wie die meisten meiner Schülerinnen und Schüler aus den Augen verloren. Das Salutieren ist an sich nichts Schlimmes, doch die dahinterstehende militärische Ideologie ist verwerflich, besonders wenn man die Begeisterungsfähigkeit von Kindern ausnutzt, um sie zu instrumentalisieren, was ja das Ziel militärischer Früherziehung ist.

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  2. Das Blut ist nur in ihrem Kopf….eine beeindruckende Installation. Ich kann mir vorstellen, dass sie deinen Mitwirkenden Schülern sehr gut in Erinnerung geblieben ist. Über das Salutieren werden Johannes und Paul heute wohl schmunzeln.

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    • Genau, liebe Mitzi, wie du ihn zitiert hast, so hätte der Satz lauten müssen. Da zeigt sich mal wieder dein gutes Sprachgefühl. Leider habe ich den Satz so gesagt, wie er oben steht, denn mir fällt in solchen Situationen das beste immer erst nachträglich ein. „Treppenwitz“, du erinnerst dich. Tatsächlich erinnern sich Schüler, wenn man sie später wiedertrifft, primär an solche Aktionen, Projektwochen und dergleichen. Ja unser Salutieren war absurdes Theater, und Kollegen werden sich gewundert haben, was ich meinen Schülern für einen Unsinn beibringe.

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      • Ich wollte dich nicht falsch zitieren, lieber Jules. Ich erinnere mich an den Treppenwitz, finde deiner Erwiderung auch so sehr treffend. Er wird gewusst haben, was du meinst. Oder auch nicht. Aber dann hätte er es so oder so nicht begriffen.

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  3. Schön, daß er das das Blut hinzuimaginiert hat, zeigt das doch, daß das Kunstwerk die Wirkung hatte, die es ja auch haben wollte.
    Es hat lange gedauert, bis die Altnazis endlich aus den Schulen verschwunden sind, ich kann ein Lied davon singen.

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    • Vermutlich hat Direktor Hack das auch gedacht, denn er war trotz allem ein kultivierter Mann.
      Ja, die Altnazis. Auch ältere Ärzte waren für mich besonders Anfang der 1970-er Jahre ein Problem, weil ich mich immer gefragt habe, was die wohl im 3.Reich getrieben haben.

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  4. Wunderbare Geschichte, die in meinem Kopf eigene wie Blitzlichtgewitter erleuchtet. Es erinnert mich daran, dass ich meine KDW auf über neun Seiten ausführlich darlegte und nachher nur eine Seite mit Floskeln zur Anerkennung erhielt. Ich bin noch immer der Meinung, dass ich die KDW-Begründung mit Blaupause von einer von mir handschriftlich ausgearbeiteten Vorlage ab tippte, aber ich habe die Blaupause nicht mehr. Und wenn überhaupt, dann lagert meine Einlassung zum Thema „Kriegsdienstverweigerung – Ja oder Nein“ in einem Archiv, auf dem ich nicht mehr zugreifen kann. Frustrierend empfand ich, dass ein Mitschüler nur eine DIN-A4-Seite als Verweigerungsbegründung geschickt hatte und anerkannt wurde. Das entwertete mein Kreiswehrersatzanerkennungsschreiben ungemein. Insbesonderes weil mein Mitschüler lediglich keine Lust auf Bundeswehr hatte. Gegen Gewalt hatte er im Prinzip nichts. Er war danach dann mal Redakteur bei einem RTL-Spartenprogramm für Heavy-Metal bei RTL-Plus (was nichts darüber aussagt, ob er ein feiner Mensch war oder nur eine Kopie davon; denn eigentlich war er ein feiner Mitschüler, der nicht stumpf dumpf mit all den anderen Deppen und Hurra-Schreiern mitgelaufen war).
    Die frühen 80er hatten mich geprägt. Ich wurde damals unpolitisch beleckt in eine politische Richtung gedrängt, mit der ich damals nichts am Hut hatte. Aber ich passte für diese Meschen in eine passende Schublade. Also beschäftigte ich mich mit allen politischen Idealen und wog das pro und contra im Sinne des Wohlergehens der Menschen ab. Heute würde ich das wohl nicht mehr schaffen. Aber damals hatte ich die Eigeninitiative. Eine, welche von der von mir erwartet wurde, mich damit zu beschäftigen. Ich tat es, während andere sich mit dem Diametralen beschäftigten und heute (bei der letzten NRW-Wahl) mit einer eigenen Rechts-Partei antraten …
    Und sie tun es noch heute, verzichtend für eine besser aufgestellte Einheitspartei.
    Für meine Vergangenheit und deren gedankliche Arbeit zahle ich noch immer. Wenn man mich als „Gutmensch“ mit gedanklich einem violetten Gutmenschenstern klassifiziert. Aber das dürfen diese Deppen ruhig. Denn: lieber Gutmensch, als so etwas wie Schlechtmensch, Pederast, Mörder, Nazi und Massenmörder.

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