Botschaft aus dem Reich der Föhren

Zu den Köpfen der Einwohner der Eupener Unterstadt stauen sich 25 Millionen Kubikmeter Wasser. Zwei Bäche speisen die Wesertalsperre, die Weser und der Getzbach. Beide entspringen im Hohen Venn, einem Hochmoor in den belgischen Ardennen. Der Getzbach fließt von Süden herein. Er hat an seinem Unterlauf ein tiefes Tal gegraben, aus dem mächtige Föhren heraufragen. Vor Jahren bin ich oft mit dem Rad zur Wesertalsperre gefahren, habe ihre Staumauer überquert, fuhr dann weiter um den See oder steil hinab nach Eupens Unterstadt.

Manchmal aber folgte ich dem einsamen Getzbachtal bis hinauf ins hohe Venn. Hier bist du allein mit dir und der Natur, hörst nur das Surren der Gangschaltung, das Knirschen kleiner Steinchen unter den Reifen, deinen Atem, denn es geht steil bergan, und das immerwährende Rauschen der Föhren. Sie nötigen dir Achtung ab, wenn du ihr Reich durchquerst, denn sie waren schon hoch und mächtig, bevor deine Großeltern geboren wurden. Und kommen nicht Männer mit Motorsägen, rast keine Feuersbrunst über sie hinweg, dann werden sie noch dastehen, lange nachdem du vergangen bist. Die Föhren haben ihre eigene Zeit. Sie wiegen sich knarrend, wenn der Sturm ihre Wipfel zaust, sie trotzen dem heftigen Gewitterregen, sie tragen gewaltige Schneelasten, sie ragen geheimnisvoll in dichten Nebel. Und wenn die Sommersonne das Land grell bescheint und kleine Blasen aus dem Asphalt des Weges treibt, die leise klickend unter deinen Reifen zerplatzen, wenn der Schweiß dir unentwegt von der Stirn zu Boden tropft, bei solcher Sommerhitze verströmen die Föhren einen würzigen Duft, der dich benebelt.

Der Anstieg zwingt zur Langsamkeit, denn er ist lang und kann nur bewältigt werden, wenn man seine Kräfte einzuteilen versteht. Und immer dann auf den vielen Windungen dieses Weges durch das Getzbachtal fühlte ich mich gar nicht eins mit der Natur, sondern kam mir vor wie ein Eindringling, der die rauschende, duftende Sprache des Landes nicht versteht und auch niemals lernen wird. Unter diesen Föhren hast du nur ein kleines Leben, und was du auch machst und tust, was du auch denkst und sorgst, es ist unter ihnen ohne Belang. Sie brauchen dich nicht.

Ich weiß nicht, was man aus ihren Stämmen macht, wenn die Föhren gefällt, zerhackt und zersägt sind. Ob Brennholz daraus wird oder Zeitung mit eitlen Botschaften, die am nächsten Tag schon vergessen sind, vielleicht auch Tisch oder Stuhl. Ich weiß auch nicht, was der Hannoveraner Künstler Tom Otto sich dachte, als er einen lebendigen Baum mit totem, verbrauchtem Holz behängte, das rein zufällig zum überflüssigen Stuhl geworden ist. Stühle im Baum, das ist beinah, als würde man Gehacktes auf einer lebendigen Sau drapieren. Aber natürlich ist das ein müßiger Vergleich. Bei der Installation im Hannoverschen Georgengarten hingen 350 Stühle an und in einem Baum. „Es geht uns gut“ nannte Otto sein Werk. Vielleicht zu gut? Offenbar ist von allen Lebewesen nur der Mensch dem Wahn verfallen, sich Herr der Welt zu nennen, der sich die Erde untertan machen darf. Er hat sich selbst dazu legitimiert, indem er seine Vermessenheit dem Wort eines erfundenen Gottes zugeschrieben hat. Denn nicht ein Gott hat den Menschen nach seinem Vorbild gemacht. Es war umgekehrt. Der Mensch hat sich den Götzen nach seinem Maß gezimmert, um die eigenen Untaten zu rechtfertigen, seine Ängste zu bändigen und seine Unwissenheit zu kaschieren. Das ist Glauben, und im Glauben steckt Vermessenheit und manchmal sogar verheerender, blutiger Irrsinn.

Baum, Föhre. Das sind Wörter für eine Sache, die der Mensch nicht versteht. Alle Wörter sind nur Etiketten, die der Mensch an die Erscheinungen klebt. Wenn wir über die Welt palavern, dann tauschen wir unsere Etiketten aus wie Kinder ihre Glanzbildchen. Die Wörter erlauben uns zu begreifen, doch das hat nichts mit Verstehen zu tun. Das anzunehmen, ist purer Wortaberglaube. Unsere Wörter sind wie tote Stühle am lebendigen Baum. Der Stuhl ist ein Sitzgestell. Und Sitzen ist Besitzen. Das macht der Mensch mit dem Hintern. Anders gesagt: Ärsche machen sich die Welt untertan. Und so sieht sie auch aus.

9 Kommentare zu “Botschaft aus dem Reich der Föhren

  1. Klasse, wie du deinen Text mit den letzten Sätzen auf den Punkt bringst. Ja, das Behängen des Baumes mit Stühlen erscheint mir auch makaber, aber es hat wohl, wie du schon sagst, damit zu tun, dass eben nur wir denken und fühlen und wissen und alles andere mehr oder weniger unbelebte, in jedem Fall aber uns unterstellte Natur ist.

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    • „Uns unterstellte Natur“ bringt die schädliche und schändliche Einstellung auf den Punkt. Vermutlich hat der Künstler gar nicht soweit gedacht. Ich habe ihn im Sommer 2009 beim Aufbau der Installation zufällig angetroffen und ihn und sein Werk gefilmt. Es ging ihm wohl priimär ums Optisch-Spektakuläre. Der Titel bedeutet hoffentlich nichts, denn er ist auch selbstentlarvend. Wem es gut geht, der macht sich über sein Handeln meist keine Gedanken.

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  2. Vielleicht geht es den Stühlen dort gut, weil es ihnen gelungen ist, von uns überheblichen Menschen unbemerkt miteinander zu kommunizieren und sich zu verabreden, einem Menschen einzuflüstern, er sei ein großartiger Künstler, wenn es ihm gelingt, so viele von ihnen wie möglich „back to the roots“ zu den Bäumen zurückzubringen, weil sie es leid sind, von Ärschen besetzt zu werden. Vielleicht ist dieser Stuhlgang nur der Beginn einer großen Stuhlbewegung, die zeigt, wer da wem unterstellt ist, was die Natur anbetrifft. Eine Stuhlprobe mit Erfolg.

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  3. Sehr schön, wie du hier den Bogen spannst … und schlägst vom Ursprung des Holzes zur abgeschmackten Dekoration im Baum. Ich möche mal wohlwollend vermuten, dass ein ähnlicher Gedankengang (statt zurück zu den Wurzeln dann halt zurück in die Baumkrone) den Künstler angettrieben haben könnte. Aber ich finde die Ausdrucksform, die er gefunden hat, auch nicht sehr überzeugend. In deinem Film gefällt mir die Amsel am besten.
    Schöne Grüße
    Elisabeth

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