Teestübchen Stilkritik – Geh mir weg mit dem Frosch!

Auf meiner persönlichen Liste der hässlichen Wörter steht obenan „die Schreibe.“ Niemand soll sich erfrechen, meinen Schreibstil je „Schreibe“ zu nennen. Ich dächte sofort Schlechtes von ihm. Schlimmer trifft es nur noch jene, die das Blähwort „nichtsdestotrotz“ benutzen, wo ein schlichtes „trotzdem“ reicht. Solchen Leuten misstraue ich und ich würde jeden weiteren Kontakt vermeiden. Vermutlich denkt etwas in mir an böse Buben, die einem Frosch einen Strohhalm in den Hintern stecken, um ihn aufzublasen. „Nichtsdestotrotz“ ist eitles Gerede, und ich fürchte: Gleich platzt der arme Frosch.

Ähnlich geht es mir bei der im Fernsehen um sich greifenden Floskel: „Einen wunderschönen guten Abend!“ Wie? Was? Reicht denn ein guter Abend nicht mehr? Ein schöner Abend wäre doch auch schon ganz fein. Soll ich etwa tagein-tagaus so einen wunderschönen guten Abend haben, weil gutgelaunte Deppen das im Fernsehen befehlen? Ich wundere mich höchstens, dass sie mir andauernd mit ihrem Discounter-Wunderschön auf den Wecker fallen.

Noch was: Bekanntlich zerfällt das deutsche Substantiv in Name und Klassenbezeichnung. Dies unterscheidet sie auch grammatisch. Bei der Klassenbezeichnung steht ein Artikel (die Rose, das Schnitzel, der Hund), Namen jedoch bezeichnen Einzelwesen und keine Klasse von Wesen. Deshalb benötigen sie keinen Artikel; Es heißt Rosie, nicht die Rosie; TIna, nicht „Ich bin eine Tina.“ Es klingt seltsam selbstentfremdet, wenn eine Frau sich vorstellt: „Ich bin die Sandra.“ Gehört sie also einer Klasse der Sandras an? Was kennzeichnet diese Klasse? Sind alle Sandras blond, aufgebrezelt und arbeiten in einem Fingernagelstudio? Wer solche Vermutungen nicht aufkommen lassen will, sollte den Vornamen nicht unnötig mit einem Artikel belasten.

Ein abschreckendes Beispiel ist John F. Kennedy mit seinem berühmten Satz: „Ich bin ein Pfannkuchen“, so zu lesen im Roman Berlin Game (deutsch: Brahms vier, 1984). Darin behauptet der britische Autors Len Deighton, J.F. Kennedys: „Ich bin ein Berliner“ sei von den Berlinern als „Ich bin ein Berliner (Pfannkuchen)“ verstanden worden, worauf großes Gelächter ausbrach. Tatsächlich hätte es korrekt „Ich bin Berliner“ heißen müssen (ohne unbestimmten Artikel), denn Berlin ist ein Name. Sind Berliner solche Grammatikbiester, dass ihnen Kennedys falscher Artikel spontan aufgefallen wäre? Unwahrscheinlich, aber aus einem anderen Grund. Berliner heißen in Berlin nicht Berliner, sondern Pfannkuchen. Zudem ist aus der Szenesprache der 1968-er Jahre der Artikel vor einem Namen in die Umgangssprache eingedrungen und wurde durch den Sketch mit Dieter Krebs „ich bin der Martin, ne“ allgemein bekannt. Will sagen: Den meisten Deutschen fällt die falsche Verwendung des Artikels vor Namen nicht auf, so dass sie die Komik in Kennedys Satz nicht erkennen.

Foto aus der Berliner U-Bahn und Gif-Animation: JvdL

Deightons Romanerfindung wurde in der Rezension des Buches in der New York Times aufgegriffen und dort für wahr gehalten. Seither kursiert Kennedys „I am a jelly(-filled) doughnut“ in den USA als moderne Volkssage.

34 Kommentare zu “Teestübchen Stilkritik – Geh mir weg mit dem Frosch!

    • Dankeschön. Hier hat sich der Tag schon wieder so apokalyptisch verdunkelt, dass mir die Diktion vielleicht zu heftig geraten ist. Ich kannte übrigens so einen Schwallkopf, dem reichte nichtsdestotrotz noch nicht. Er blähte noch weiter auf zu: „Nichtsdestowenigertrotz. “ Obwohl nichtsdestowenigertrotz ein komplett hirnrissiges Kompositum ist, wissen alle, was gemeint ist, nämlich trotzdem. So leicht ist unserer Sprache nämlich der Sinn nicht auszutreiben, weshalb es mir nicht um Sprachpflege geht, sondern um mein subjektives Sprachempfinden.

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    • Verstehe ich gut, liebe Cristina. Als ich erstmals 1969 in studentischen Kreisen hörte: „die Margret“, „der Günter“ usw., fand ich das chic und war stolz, wenn mein Vorname auch mit einem Artikel verziert wurde. Ich war da noch Schriftsetzer, also Handwerker, und schaute zu Studierenden auf. Wer ein schichtspezifisches Modewort oder eine modische Wendung benutzt, zeigt damit an, dass er zur jeweiligen sozialen Gruppe gehört oder dazugehören möchte. Dankeschön für dein feines Lob. Derlei Zuspruch ist soziale Energie und macht es mir einfacher zu schreiben.

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  1. Die Schreibe gehört, wenn ich das halbwegs richtig in Erinnerung habe, zum journalistischen Sprachgebrauch. Ich besaß mal ein Buch mit Skizzen und Texten von John Lennon, das „In seiner eigenen Schreibe“ hieß, vermutlich Anfang der siebziger Jahre. Es ist also schon ein gut abgehangenes Wort, das bestimmt bald durch etwas anderes ersetzt werden darf, etwas, dass aus der Agentursprache kommt, die gerade die Politik und die Medien mit ihren Begriffen beliefert. Ich mag zum Beispiel Markenkern überhaupt nicht.

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    • An Lennons Buch „In His Own Write“ erinnere ich mich schwach. Es ist Nonsens-Dichtung und Sprachspiel. Die Eindeutschung Schreibe ist Slang. Der Duden verzeichnet es als umgangssprachlich, drum wirst du es nur in alternativen Medien finden.
      Ich habe es schon mehrfach in Blogs gelesen, meist in Verbindung mit einem Lob des jeweiligen Schreibstils. Ich dachte: Schade, ein solches Lob ist nichts wert. Der Schreiber disqualifiziert sich selbst, weil er nicht einzuschätzen vermag, auf welcher Stilebene er sich bewegt.
      Markenkern ist wohl aus der Marketingsprache in den Sprachgebrauch eingedrungen. Ich finde Kirschkern schöner.

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      • Hier muß ich mal widersprechen: Ein Lob ist immer viel wert: Erstens meint es der Lobende gut mit einem, und dafür sollte man dankbar sein, völlig unabhängig davon, welche sprachstilistischen Fähigkeiten er selbst hat. Außerdem: Ein Lob ist eine positive Kritik. Seit wann muß der Kritiker etwas besser können als der Kritisierte? Wenn ich z.B. einen Roman negativ bespreche, heißt das ja nicht, daß ich selbst einen besseren schreiben könnte. Die Kritik kann sprachlich stilistisch grottig sein und trotzdem stimmen.

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        • Du hast natürlich Recht. Ich habe im Text absichtlich so stark emotionalisiert, damit sich meine Stilkritik besser einprägt. Denn ich möchte nicht für meine Schreibe gelobt werden, würde nach meinem Statement auch denken, da will mich einer ärgern 😉 Grundsätzlich ist es gut loben und gelobt zu werden. Ich habe mit Hingabe über 2000 Texte verfasst, weil mir über die Kontakte und Kommentarinteraktion hinaus gelegentlich feines Lob zuteil wurde. Man geht dann glücklicher zu Bett.

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  2. Darf ich eben hinzufügen, welches Wort mich nervt? Das Wort „Preisleistungsverhältnis“, das tief in den privaten Sprachgebrauch eingedrungen ist. Okay, „billig“ darf man nicht sagen. Das Tagesgericht in meinem Stammlokal kann man praktisch immer bestellen. Es ist meistens sehr gut und ausserdem … (preisgünstig?)

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    • Das Koppelwort Preis-Leistungs-Verhältnis ist aus der Betriebswirtschaftslehre in die Allgemeinsprache eingedrungen, wenn überhaupt. Ich habe es eben zum ersten Mal geschrieben, gesprochen noch nie. Ich glaube, die Leute wollen damit angeben, dass sie betriebswirtschaftlich zu denken verstehen.

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  3. „Die Schreibe“ ist wirklich eine grausame Bezeichnung. Nicht ganz so schlimm, aber auch sehr unschön: „Schreiberling“ Pfui. 🙈
    Kennedy kann ruhig etwas falsches sagen. Dadurch gewinnt es an Charme. Es nicht als grammatikalischen Fehler zu erkennen, das ist etwas anderes.
    Liebe Grüße.

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    • Drum würde ich auch nie deine Schreibe loben, sondern deinen lebendigen Schreibstil, liebe Mitzi. Bei Blog.de konnten Blogleser die Blogautoren taggen. Eine Frau, die ich mal geliebt habe, verpasste mir das Tag: „unterhaltsamer Schreiberling.“ Ich fand es deshalb weniger schlimm, obwohl es ja abwertend ist, etwa auf der Ebene von „Musikant“ angesiedelt. Übrigens zeigt die Originalaufnahme, dass die Berliner, anders als im Roman behauptet, in Begeisterung und „Kennedy“-Rufe ausbrechen:

      Lieben Gruß

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  4. Pingback: Frau Nettesheim rät zum Spaziergang

  5. Das inflationäre Gewünsche geht auch mir gehörig auf den Senkel. Danke, dass du das so pointiert ansprichst! Ich persönlich kann all dem freilich etwas abgewinnen, bzw. begreife Sinn und Reichtum der Sprache als das Vermögen, Dinge mitzuteilen, die bewusst nicht gesagt werden sollen. Will sagen: Sprache ist immer verräterisch, und als solche ein Mittel der Aufklärung! Wer also z. B. zu viel wünscht, will ganz bestimmt etwas verkaufen. Wer seine Rede mit „nichtsdestotrotz“ aufplustert, macht eben gerne viel Wind um wenig oder nix. Dafür ist ja Sprache da, lieber Jules! Liest man des weiteren etwa barocke Prosa, oder barocke Anredefloskeln, kommt man aus dem Staunen nicht heraus vor verschwurbelter Unterwürfigkeit. Wie viele Worte wurden da gemacht für einfachste Sachverhalte bzw. Anreden. Das eben ist der „Sound“ von Sprache, der unbedingt dazu gehört. Dass du den Artikel vor Eigennamen thematisierst, finde ich hoch interessant. Da ließe sich wahrscheinlich eine fundierte soziologische Abhandlung drüber schreiben (auch meiner Erfahrung nach entstammt diese Angewohnheit dem links-studentischen Milieu der sechziger Jahre. Das hat etwas zu bedeuten, da bin ich mir ganz sicher) Jedenfalls kann man den Menschen gar nicht genug preisen, dass er etwas so komplexes wie Sprache, bzw. Sprachvermögen erfunden hat!

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    • „Sound der Sprache“ gefällt mir. Es stimmt, dass er die Sprecher / Schreiber entlarvt. Darum bin ich auch dagegen, dass Wörter zu Unwörtern erklärt oder wegen PC aus dem Sprachgebrauch verbannt werden. Das ist wie Impfung gegen Schweinpest. Wenn flächendeckend geimpft wird, weiß keiner mehr wo der Erreger sitzt. Durch Sprachreinigung kann sich mieses Gedankengut wunderbar verbergen.
      Bei „nichtsdestotrotz“ und dergleichen Blähformeln weiß ich sofort, woran ich bin, aber lieber wäre mir, das nicht hören oder lesen zu müssen, also es gäbe nicht so viele, die sich „aufplustern.“ Doch es werden immer mehr, und das macht mich total müde.
      Die soziologische Abhandlung sollte der Frage nachgehen, wieso es in den 1968-er Jahren unter Jugendlichen modisch wurde, den Vornamen die Artikel zuzugesellen und welche Selbstwahrnehmung dahinter steckt, wenn jemand sagt, „Ich bin der Martin?“ Meinst du das?
      Ob das schon jemand getan hat, weiß ich leider nicht.
      Beim Sprachvermögen gibt es sicher keinen Erfinder. Sprache ist eine gemeinschaftliche Kulturleistung.

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  6. Mich nervt am meisten am Ende eines Artikels: „Bleib zu hoffen…“. Du glaubst gar nicht, was alles zu hoffen bleibt. Eigentlich darf man es ja nicht einmal wirklich hoffen, weil es dann ja nicht zu hoffen bleibt. Man hat es in diesem Fall wohl schon weggehofft.
    Und wie findest Du „Bis die Tage“? „In keinster Weise“? Oder „Schlussendlich“?

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    • Formelhafte Wendungen wie „Bleibt zu hoffen“, „Schlussendlich“ oder „am Ende des Tages“ fallen bei mir unter „Schreiben ohne Denken.“ Nicht jeder kann es sich leisten, etwas wegzuwerfen. Mancher hat einfach nicht soviel im Kopf. Kommt er zum Schluss, greift er schlafwandlerisch in sein Sprachkästchen, holt eine dieser Wendungen hervor, findet sie immer noch prima, wenigstens gut genug oder denkt: „Na ja, was Besseres gibt’s halt nicht auf dieser Welt“ – und haut zum zehntausendsten Mal dieselbe abgelutschte Formel raus. Als geplagter Leser möchte man rufen: „Bitte diese Schublade nicht mehr öffnen. Sie enthält dummes Zeug.“

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      • Ich hab so eine Schublade in der Küche. Da kommen alle Sachen rein, die man wegwerfen sollte, es aber nicht tut, weil man sowas nochmal brauchen könnte. Aber die Gummibänder sind wirklich da drinnen, und die braucht man tatsächlich. Vielleicht liegt „Bleibt zu hoffen“ neben „Ilsebill salzte nach“, was ja sogar mal einen Preis gewonnen hat (aber ich habe den Satz trotzdem noch nie benutzt) und man stolpert deshalb dauernd drüber?

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        • Vor einem Jahr haben mein ältester Sohn und seine Freundin bei mir die Schubladen ausgemistet. Da flog manches weg, und ich hatte wieder Platz. Leider vermehrt sich das Zeug scheints ohne mein Zutun.

          „Ilsebill salzte nach“, ist der erste Satz aus Der Butt. Günter Grass hat damit 2007 den Preis des schönsten ersten Satzes gewonnen. Pfffff.

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          • Ja, ich weiß. Der Satz hat mich nie überzeugen können, auch die folgenden zigtausend Sätze zu lesen, obwohl da bestimmt zwei oder drei wirklich gute dabei waren.
            Mein Lieblingsromananfang ist: „Mein Vater hat ein Gesicht, das eine Uhr stoppen kann“. Finde ich großartig – weil es wörtlich zu nehmen ist. Und die Bücher gehen die ganze Zeit so weiter 🙂

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  7. Lieber Jules, jetzt haste mich ganz klirrend kalt erwischt, denn die von Dir verhasste, zugegebenermaßen sich eher salopp schnoddernde ’schreibe‘ legte ich vor ca. Jahren erst zu den unbedingt von mir zu vermeidenden Benamungen unterschiedlicher Stile. Die Kennedy-Geschichte um den Pfannkuchen kannte ich noch nicht und Fernsehen…ach, nein, das hasse ich jetzt mal nicht los, sonst wird der Kommi zu lang. Mir einen schönen Abend zu wünschen ist schon waghalsig ohne nähere Umstände meiner Abendgestaltung im Einzelnen zu kennen, geschweige denn sich dafür näher zu interessieren. Einem anonymen Zuschauer obendrein einen ‚wunderschönen Abend‘ zu wünschen ist zwangssuperlativiertes Bespaßungsmanagement für Merkbefreite.
    Fein wieder von Dir zu lesen gewesen,
    es grüßt, die Flügel in der spätsommerlich frischen Abendsonne vor sich hintrocknend,
    Die Fee🦋✨

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    • „Zwangssuperlativiertes Bespaßungsmanagement für Merkbefreite“ hast du ja wohl so treffend auf den Punkt gebracht, liebe Fee, dass es eine vergangene Benutzung von Schreibe völlig rehabilitiert. Deine Abengestaltung ist, hoffe ich, nicht so schlimm, wie ich beim ersten Lesen der Umschreibung vermutet habe. Ich fahre jetzt zum LImmern und stoße mit Herrn Putzig an, was hoffentlich vergnüglich wird.
      Damit mir das Bier schmeckt, hoffe ich trotzdem auf einen schönen Abend für dich und grüße herzlich,
      Jules

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      • Jules, Blogfreunde, die ihre Temperamente schon etwas kennen, dürfen sich schöne Abende wünschen. Jemandem, von dem wir wissen, dass er grad alles andere, bloß keine schönen Abende hat, würden wir vielleicht baldige Besserung oder so wünschen. Konsumentenkonformismus auf Gedankenwaschbasis im Schleudergang der Fernseh-Realität. ist auch so eine lieb gewonnene Wortschöpfung. Wenn ich so richtig über das Fernsehen abwettern darf, macht mich das glücklich wie Schoki auf Erdbeeren. Gibt mir jetzt auch wieder irgendwie schwer zu denken…🤔
        Lass Dir den Gerstensaft wohl sein,
        Ich wünsch Dir eine gute Zeit!
        Herzlich,
        die Fee✨

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  8. Es gibt tatsächlich regionale bzw. lokale Sprachvarietäten, denen der Artikel vor dem Namen weder fremd noch ungehörig vorkommt; und das hat überhaupt nichts mit der Szene-Sprache der 68er und noch weniger mit Dieter Krebs zu tun (Jürgen Schmidt, Joachim Herrgen, Sprachdynamik – Eine Einführung in die moderne Regionalsprachenforschung. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2011).
    In der Schriftsprache kann der Artikel, übrigens in genau solchen Fällen Mißverständnissen vorbeugen. Man denke nur an den Unterschied zwischen einem Italiener, der sich vorstellt mit: „Ich bin Andrea“ und einer Deutschen, die sich gleichlautend vorstellt.

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    • Ich muss hier noch etwas ergänzen:
      „Mitte der 50er Jahre entstand aus den Konjunktionen trotzdem und nichtsdestoweniger eine scherzhaft gemeinte Verschränkung beider Konjunktionen zu nichtsdestotrotz. Der anfangs vor allem mündlichen Tradierung folgte nur wenig später ein Eintrag im Duden. Die Konjunktion hielt ein in die Schriftsprache. Die eigentliche Absicht, nämlich damit einen Sachverhalt möglichst sperrig auszudrücken, wurde anfangs mitgedacht und transportierte nicht selten ein gewisses Maß an Selbstironie in den Text. Sobald jedoch neue Generationen von Lernern hinzukommen, die den Ironietransport in der Botschaft nicht mehr wahrnehmen, wird aus der ursprünglich scherzhaften Konjunktion eine allenfalls sperrige Variante, die eher den Eindruck vermittelt, anspruchsvoll zu sein. Diese Markierung tritt allerdings hinter dem Gesamteindruck des Textes zurück, bzw. geht darin auf, so dass in diesem Fall von einer unmarkierten Verwendung der Konjunktion nichtsdestotrotz gesprochen werden kann. Wenn sich dieser unmarkierten Verwendung dann auch Redaktionen von Standardwerken anschließen (Wahrig 1997) , ist die Konjunktion als schriftnormkonform zu bewerten, sie also im System Sprache etabliert.“
      Wikipedia sieht das anders. Hat da noch jemand Informationen zu?

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      • Danke für das Zitat, Gut zu wissen wäre, wo es endet und woher es stammt. Selbst der aktuelle Duden kennzeichnet „nichtsdestrotrotz“ als umgangssprachlich., also nicht als „schriftnormkonform.“ Da ich aber ausdrücklich über meine persönliche, subjektive Reaktion auf dieses Wort und seine Benutzer geschrieben habe, spielt keine Rolle, ob ursprünglich im Wort „Selbstrironie mitgedacht“ wurde, es dann jedoch von nachfolgenden Generationen als hochwertig empfunden wurde. Ich hätte keine Lust bei jemandem erst zu erfragen, was denkst du „mit“, wenn du das Wort benutzt, sondern mir reicht es, dass die Leute, die mir je mit diesem Wort begegnet sind, mir sofort verdächtig und nicht vertrauenswürdig waren.

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        • Bei Schmidt und Herrgen las ich darüber. So hatte ich das auch verstanden. Was mich eben nur wunderte, war die doch sehr unterschiedliche Etymologie der beiden. Wenn ich das noch richtig erinnere, meinten die Autoren, das Wort ist eine Erfindung des 20. Jh. während Wikipedia behauptet, es sei von Studenten im 19.Jh. gebildet worden.

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    • Freilich gibt es derlei Erscheinungen in der gesprochenen Sprache. Von dort gelangen sie dann auch in die Schriftsprache. Das widerlegt aber nicht meine Argumentation, wieso es nicht sinnvoll ist (und daher auch nicht standardsprachlich.) Das Beispiel mit Andrea ist wirklich putzig. Wenn sich dir ein Italiener vorstellt als Andrea, bittest du ihn dann: „Setzte einen Artikel vor deinen Namen, damit ich dein biologisches Geschlecht erkennen kann?“ Dass die Artikel-Vornamen-Mode in den 1968-er Jahren aufkam, habe ich selbst erlebt und damals genauso registriert.

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  9. Einverstanden: „Schreibe“ ist ein furchtbares Wort.
    Nichtsdestotrotz hat der oesiblog unter anderem zwar nicht „Schreibe“, sondern „Geschreibsel“ im Untertitel stehen, was, meiner Meinung, schon wieder irgendwie luftig, locker und unbekümmert klingt …

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