Beachte den Strohwisch – Etwas über Territorialzeichen

Das Territorialzeichen entzieht ein Gebiet der willkürlichen Nutzung durch Unbefugte. Seine ursprüngliche und unmittelbare Erscheinungsform ist der Duft. Höhere Formen wie etwa Grenzsteine wirken nur mittelbar, da sie Erfahrung, Kenntnisse oder ein gewisses Maß an Vereinbarung voraussetzen. Territorialzeichen können bildhaft, gegenständlich oder schriftlich fixiert sein. Schilder an Landes- und Ortsgrenzen sind uns als Territorialzeichen geläufig. Mit Gebotsschildern an Häusern wie „Ausfahrt freihalten!“ wird sogar Anspruch auf den öffentlichen Raum erhoben.

Alltägliche Territorialmarke – Foto: JvdL

Hallo Hund, namens Joe oder so,
Der Gehweg ist kein Hundeklo.
Vielleicht sagst Du das auch
Deinem Herrchen oder Frauchen!
(Zettel am Zaun eines Hauses in Aachen)

Die Mahnung an den Hund spielt mit verschiedenen Zeichenebenen. Wo der Hund seine Duftmarke abgesetzt hat, erwidert der Mensch mit den Mitteln der Poesie. Tatsächlich berühren sich die beiden Kommunikationsebenen jedoch nicht, denn hier ist ein Mittler nötig „Herrchen oder Frauchen“, und der wird ja allein auf der Ebene der Buchstabenschrift angesprochen, hier aber nur indirekt und unverbindlich. Zwingend erfolgreich wäre nur, wenn der Besitzer des Vorgartens eine eigene abschreckende Duftmarke gesetzt hätte.

In der Eifel hat sich bis in die heutige Zeit ein schriftloses Territorialzeichen erhalten, der Strohwisch am Weidenpfahl. Mit einem Strohbüschel am Weidenzaun untersagt der Bauer das Durchziehen einer Schafherde. „Früher gab’s kaum Strohwische auf meinem Weg. Die alten Bauern hatten alle Verständnis für unsereins“, klagt ein Schäfermeister in einer Reportage der Aachener Nachrichten. Die jungen Landwirte würden den Schafen nicht einmal mehr das bisschen Gras gönnen, das sie während ihres Zugs fressen. „Leider nimmt diese Form des Futterneids immer mehr zu.“

Den Ethnologen wird der wieder belebte Gebrauch dieses gegenständlichen Territorialzeichens freuen, die Sympathie aber gehört den Eifelschäfern und nicht den Wiesenbesitzern, die einen Strohwisch winden, gegen den es keine Widerrede gibt. Denn der Gebrauch des Strohwischs ist unwirsch und zeigt unverhohlen an, dass der Eigentümer über das Verbot keine Worte zu wechseln bereit ist. Es scheint, als würde auf diese Weise eine höhere Verbindlichkeit erzielt als mit einem schriftsprachlichen Verbot, weil sie eine archaische Zeit vergegenwärtigt, in der unerbittliche Regeln galten.

Das seltsame Gegenstück einer Territorialmarke fand ich bei einer Wanderung in der Nordeifel an mehreren Bäumen und Strommasten angebracht. Auf Computerausdrucken in Klarsichtfolien stand der Text:

„Vorsicht Gift!
gehen Sie mit ihrem Hund
einen anderen Weg!
Dieses Gift ist tödlich!“

Die Zettel trugen weder Unterschrift noch Herkunftsnachweis. Was hatte es damit auf sich? In der Nähe befand sich auf einer Wiese eine Schafherde mit neugeborenen Lämmern. In einem Gatter nebenan lagerten Mutterschafe, die gerade erst abgelammt hatten. Dem Schäfer stand zur Bewachung nur ein Hund zur Seite. Vermutlich hatte er diese Zettel aufgehängt, um seine Herde weiträumig gegen freilaufende fremde Hunde abzuschirmen. Interessant ist, dass der Schäfer der Alphabetschrift nur eine geringe Appellkraft zutraute, so dass er eine zuverlässige Wirkung nur durch übertriebene Drohungen zu erreichen glaubte. Dieses mangelnde Vertrauen in die Geltung der Alphabetschrift empfindet vielleicht derjenige besonders stark, der sich im Alltag meist anderer Kommunikationsformen bedient. Der Strohwisch symbolisiert die autoritative Kraft des Eigentümers, ohne dass er sich als Person oder gar namentlich legitimieren müsste. Die gleiche Wirkung ist schriftlich nur mit größerem Aufwand zu erzielen.

Auch die Tags im Straßenbild der Großstädte können Territorialzeichen sein. Sie kennzeichnen dann das Gebiet einer Gang und haben besonders in Stadtviertel hohe Verbindlichkeit, der gegebenenfalls durch Schusswaffengebrauch Nachdruck verliehen wird.

Dieser Zettel aus dem Jahr 1989 fand sich unter den Scheibenwischern mehrerer Autos. Er gewinnt seinen Nachdruck nicht durch die falsche Unterschrift „gez. eckmann“, sondern gerade aus der Vertuschung des Subjektiven durch Computerschrift und durch den Hinweis „von amts wegen“.

In einem niederländischen Einfamilienhaus fand ich einmal neben den Ehebetten zwei prachtvolle Bettvorleger, in die die Namen „Jolanda“ und „Rob“ eingewirkt waren. Das linke Bett gehörte Jolanda, das rechte Rob. Oberflächlich betrachtet handelt es sich hier um Eigentumsmarken. Wenn jedoch einmal eines Morgens ein fremder Mann neben Jolanda aufwacht, die Füße auf den Bettvorleger stellt und wenn ihn dann die plötzliche Einsicht mit erschreckender Wucht befällt, „O Gott, ich bin ja gar nicht Rob!“ dann wird klar, dass auch solche Bettvorleger eindeutig Territorialzeichen sind.

7 Kommentare zu “Beachte den Strohwisch – Etwas über Territorialzeichen

    • Als Kind habe ich gesehen, wie mit einer Handvoill Stroh tatsächlich was gewischt wurde.
      „Andererseits gibt es kaum was Beruhigenderes als auf einer Bank zu sitzen und gemütlich eine Schafherde zu beobachten …“ Vielleicht hängt die Sitte, vor dem Einschlafen Schafe zu zählen damit zusammen.

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  1. Pingback: Fundsachen (4) | spraakvansmaak

  2. Vielleicht sollte ich Dich auffordern, einen Zaun um Deinen Blog zu ziehen, damit die Gefahr für mich, durch das Lesen deiner Beiträge immer schlauer zu werden, eingedämmt ist.
    Leider hätte ich wenig Chancen mit meiner Forderung, das das BGB in § 903 sagt, dass ein Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben (etwa andere auszuschließen) verfahren kann, aber nicht muss. Da happich Pech.
    Na ja, dann lese ich weiterhin Deine gefährlichen Beiträge, die meinem schmalen Wissen, wie in diesem Fall, den Begriff „Strohwisch“ unauslöschlich hinzufügen 😉
    Ich habe in meiner beruflichen Tätigkeit so viel mit wirklich kranken Auswüchsen von Revierverhalten zu tun gehabt. Da gab es Nachbarstreitigkeiten, die sogar von den nachfolgenden Generationen weitergeführt wurden.
    Motto: Nur keinen Streit mit dem Nachbarn vermeiden.
    Den Tieren ist es angeboren, die Menschen aber…..

    Liebe streifreie Grüße!

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    • Ich danke dir herzlich, lieber Lo, für das Lob, das sich in all dem versteckt. Ich bin sicher, du untertreibst gewaltig, was dich betrifft. Ich bin froh über einen verständigen Leser wie dich – mit viel Witz im Sinne von KLugheit. Dass man beim Bloggen etwas lernen kann, darüber habe ich im Buch über Buchkultur geschrieben. Dieser Text hier hat es nicht hineingeschafft.
      Nachbarschaftsstreit gibt es wohl besonders in Eigenheimsiedlungen oder? In unserem großen Mietshaus eher nicht zum Glück.

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      • Wie war das nochmal?
        „Man glaubt ja gar nicht, wie viel Lob ein Mensch imstande ist, auszuhalten“?
        Genug gelobt.
        Ja, in Eigenheimsiedlungen schwelen häufig Maschendrahtzaunkriege. Oftmals geht es um marode, oder zu hoch gewachsene Bäume, oder welch, die umzufallen drohen (könnten…), oftmals aber gibt es langwierige Streitereien aus zunächst kleinem Anlass, die sich zu großen Schlachten hochschaukeln. Wir wohnen auch in einem Mehrfamilienhaus, in dem noch miteinander
        gesprochen wird. Aber auch übereinander, so muss es sein 😉

        Heute lag Dein Buch in meinem Briefkasten.
        Unabhängig vom Inhalt hat es ein schönes handliches Format und ist gut gemacht. Ich habe auch schon mit Epubli geliebäugelt und bin dort schon länger angemeldet.
        Lieben Gruß!
        Lo

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        • Verständig und mit viel Witz im Sinne von Klugheit. So war das. Freut mich. dass du das Buch bekommen hast. Bei Amazon geht es inzwischen so schnell wie üblich. Aber die drucken auch selbst und wohl auf Vorrat. E-Publi und der Buchhandel sind da deutlich langsamer. Ich kann dich nur ermuntern zum eigenen Buch. Es ist halt vielviel Arbeit, wenn man alles selbst machen muss. Und zuletzt die Ochsentour der Werbung. Denn von selbst tut sich gar nichts. Selbst im Freundeskreis und in der Familie geht es eher träge.
          Lieben Gruß,
          Jules

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