Merseburger

Gegen Morgen träumte ich von Peter Merseburger. Ich wusste, dass er ein bekannter Journalist ist, doch als ich im Traum Wikipedia aufrief, stand da, Merseburger sei Musikkabarettist. Ich mochte das nicht glauben, war sicher, dass Merseburger etwas mit dem NDR zu tun hatte, sah sogar sein TV-Gesicht frontal vor mir. Deshalb schaute ich mehrmals bei Wikipedia nach, vergeblich. „Merseburger ist Musikkabarettist.“ Warum ich ausgerechnet das träumte? Von allen Kabarettisten finde ich Musikkabarettisten am langweiligsten, kenne überhaupt nur einen, den Niederländer Hans Liberg.

Seltsam ist jedenfalls, dass ich vom Aufruf eines Wikipedia-Eintrags träumt. Das hat nicht mal der Mühlhiasl gekonnt. Noch seltsamer ist, dass der Artikel zu Merseburger in Wirklichkeit genau so lang ist wie ich ihn träumte, ohne ihn je vorher gesehen zu haben. Wirklich unheimlich wäre freilich, wenn der Merseburger-Eintrag in meinem Traum den Tatsachen entsprochen hätte.

Wie ich hörte, arbeitet Google an einem Mensch-Maschine-Interface. Die Vision ist, dass ich nur an einen Inhalt denken muss, schon spiegelt mir Google entsprechende Informationen in die Datenbrille und zwar als dreidimensional dargestellte Texte, die ich beliebig verschieben und in den Fokus rücken kann, indem ich hinschaue. Das ist etwas anderes als aus der Provinz mit Bahn oder Bus in die Stadt zu fahren, um in der Bibliothek ein Buch zu suchen, in dem ich eine gewünschte Information vermute. Der Weg und die Handlungen der Suche nach Versuch und Irrtum entfallen schon jetzt. Digitale Suchfunktionen machen sie überflüssig. Schon heute ist manche Information im Netz mir näher als mein Bücherregal.

Egal wie das Mensch-Maschine-Interface funktionieren wird, es wird den Abstand zwischen mir und den Informationen noch stärker verringern, vorausgesetzt, das derzeit noch in Bibliotheken gespeicherte Wissen der Menschheit ist völlig digitalisiert.
Aber dann, wird Google der verlässliche Bibliothekar sein oder mir nur die Informationen zuspielen, die gerade opportun sind? Dann will ich wissen, wer Leon Battista Alberti war und was kommt heraus? Er war Musikkabarettist. Ist nur Spaß. Wenn Google weiß, nach welchen Informationen Menschen suchen, wird es einen Mainstream des Denkens feststellen. Das funktioniert als Rückkopplung. Dem Sog des Mainstreams wird man sich kaum enziehen können. Wer nicht aufpasst, wird hineingesaugt und bekommt: Fotos von schönen Blumen und Katzenvideos.

29 Kommentare zu “Merseburger

  1. Kurzes Feedback, lieber Jules,
    von Peter Merseburger habe ich noch nicht geträumt, sage aber sofort Bescheid, falls das mal passieren sollte. Dann können wir abgleichen, welche Medien unsere Träume beeinflussen!
    Zur Zeit träume ich von meiner alten Firma – da haben wir keine Gemeinsamkeiten!
    Hans Liberg finde ich auch gut!
    Neulich war ich in einem Bodo Wartke Konzert

    Der hat mir auch gefallen, mag aber sein, dass die Atmosphäre eine Live-Konzertes mich immer positiv beeinflusst, weil ich dann das Gesamterlebnis genieße!?
    Gruß Heinrich

    Gefällt 2 Personen

  2. Ich bin ein totaler Hans-Liberg-Fan (das musste jetzt mal raus). Ich war in meinem Leben kaum jemals auf Konzerten, aber bei Hans Liberg war ich… lass mich überlegen… sechs Mal?
    Übrigens kann man Wikipedia-Artikel sehr leicht fälschen (zumindest solange, bis sie das bemerken und einen sperren). Vielleicht hast Du gar nicht von dem Merseburger-Problem geträumt, sondern eigentlich im Traum die Missstände von Wikipedia nachgedacht?
    Ich trauere den Zeiten nach, als ich, um etwas zu erfahren, zu meinem soundsovielbändigen Brockhaus rannte. Der ist jetzt total veraltet und leider lohnt es sich in Zeiten von Wikipedia und Co. nicht, ihn zu ersetzen. Auch die Propyläen-Weltgeschichte steht hier vergessen herum. Es ist ein Jammer… 😦

    Gefällt 4 Personen

  3. Lieber Jules, solange Du noch weißt ob Du träumst oder wachst ist ja alles gut. Die von Dir beschriebenen technologischen Zukunftsvisionen lassen ja vermuten, dass man sich da eines vielleicht nicht mehr so fernen Tages nicht mehr sicher sein kann, und in jedem Fall Google als einzig gültige Autorität darüber befragen muss. Da wird dann aber Google selbst schon ein Supercomputer sein, der sich seiner Angestellten bedient – oder spinn‘ ich jetzt schon komplett?? Sonniges Wochenende!

    Gefällt 4 Personen

    • Lieber Dilettant, der ungehemmte Zugriff auf jeden Menschen ist doch das erklärte Ziel von Google, Facebook und Co. und der Hintergrund der wüsten Datensammelei. Die Konsequenzen kann man sich gar nicht wild genug zurechtspinnen.
      Danke gleichfalls!

      Gefällt 1 Person

  4. Merseburger, was ne feine Überschrift!
    Da freue ich mich über einen weiteren Sachsen-Anhalt Reisebericht von dir, denke sofort an die Bewohner dieser alten Stadt, an Zaubersprüche in althochdeutscher Sprache …

    Jetzt bin ich wach.

    Gefällt 1 Person

  5. Peter Merseburger, ja, ich erinnere mich an ihn, ich meine sogar, den Klang seiner Stimme noch im Ohr zu haben. Oder wo auch immer so eine Gedächtnis sich befindet. Ich kenne ähnliche Träume, in denen ich etwas nachschlage und das Ergebnis nicht glauben kann. Offenbar ist man im Traum kritisch gegenüber selbst zusammengeträumten Informationen. Wenn man diese kritische Haltung in den Wachzustand retten kann, ist doch schon viel gewonnen.

    Gefällt 1 Person

  6. Wie ich las, dass Sie Musikkabarettisten langweilig finden und nur einen Niederländer kennen, da fiel mir aber Robert Kreis ein und ich erinnerte mich, wie ich mich vor 35 Jahren über dessen Programm* förmlich schieflachen musste (ich sah es damals in seiner deutschsprachichen Version). Mit seinem Lachfoxtrott*-Evergreen tritt er bis heute auf, und versuchen Sie mal dabei nicht zu lachen – mir wills nicht gelingen ; )

    Gefällt 2 Personen

    • Danke für den Nachweis. Robert Kreis kannte ich nicht. Ist ansteckend. Im Traum hatte ich eine ziemlich enge Vorstellung von einem Musuikkabarettist, dass es nämlich um die verjuxte Kombination von bekannter Musik geht, wie es Liberg macht.

      Like

  7. Moin Jules

    Ich versuche ja nach besten Kräften beim kommentieren auf Blogs, bei denen Politik nicht unbedingt im Vordergrund steht, das Maul zu halten. Aber.

    »Egal wie das Mensch-Maschine-Interface funktionieren wird, es wird den Abstand zwischen mir und den Informationen…«

    Verzeihung, aber das ist ein Moment, bei dem wenigstens bei mir sämtliche Warnlampen aufleuchten. Die roten, die blauen und die lachsfarbenen.
    Google arbeitet dabei mit einer Technik, bei der Wohnort des Users (über die IP-Adresse), auf dem PC abgelegte Cookies und irgendwo gespeicherte Gewohnheiten in die Suche maßgeblich einfließen. Es ist mal wieder Revolution. Diese Mal die eine ungehemmter Datensammelei.
    »…aber der wichtigste (Punkt) ist die Zeitersparnis. Unsere Tests haben gezeigt, daß Google Instant dem durchschnittlichen Suchenden zwei bis fünf Sekunden pro Suche erspart.«
    Man müsse auf deutschsprachigen Seiten nur die ersten vier Buchstaben der Kanzlerin eingeben, um auf Webseiten mit ihrem Namen… Also kein Filter nach Relevanz oder Erscheinungsdatum, sondern die listige Suche nach den abgebrühtesten SEO-Techniken. Entweder denen von Google oder der Admins der Kanzlerin. Das hat erst einmal überhaupt nichts mit Gedankenlesen zu tun, sondern mit Informationen, auf die Du absolut keinen Zugriff hast.
    Ein Taschenspielertrick – ein krimineller, aber ein Trick. Gedankenlesen geht anders.

    Deine beschriebene »Vision« ist allerdings die eines bekannten Unternehmens aus dem kalifornischen San José. Facebook will Gedanken in Schrift umwandeln, lautete die Schlagzeile in etwa auf der Entwicklerkonferenz F8. Das darf man sich genau so vorstellen! An der kalifornischen Stanford-Universität ist es vor einiger Zeit gelungen, mit Hilfe von Hirnimplantaten einer gelähmten Frau zu ermöglichen, etwa 8 Worte pro Minute auf einen Rechner zu schreiben. Mit Hilfe externer Sensorik versuchen nun Forscher von Facebook aktuell 100 Worte »Output« zu erreichen. »Es gehe zugleich auf keinen Fall darum, wahllos Gedanken von Menschen zu lesen«, sagte Facebookmanagerin Regina Dugan.

    Na, dann sind wir ja beruhigt, daß diese Technologie in so guten Händen ist! Packt man beide Forschungen zusammen (so meine Vision!), ergibt das eine perfekte Herrschaftsmaschine. Die eine Technik sorgt dafür, daß nur die guten Informationen zu uns gelangen – mit der anderen prüft man, ob es geklappt hat. Oder benutzt sie selbstverständlich nur in Fällen von Schwerstkriminalität: Terrorismus, Kinderpornographie, Falschparkern und Ausländern.

    Halte Dich an Deine Bücher!

    Gefällt 3 Personen

    • Hallo pantoufle,
      gut, dass du dich diesmal geäußert hast. (Es ist ja auch ein gesellschaftspolitisches Thema.) Und danke auch für die ergänzenden Informationen. In Kommentaren oben wird ja schon auf die Dystopie 1984 hingewiesen und darauf, dass die von FB angestrebte Technik eine Gedankenkontrolle beim Nutzer nötig macht. Ich dachte, als ich den Kommentar von Lo las, spontan an das von Orwell so genannte „Gedankenverbrechen.“ Dass an Techniken gearbeitet wird, etwa Prothesen mittels Gedanken zu steuern oder wie du schreibst, einer gelähmten Frau per Gedanken das Schreiben zu ermöglichen, sind ja die rein menschenfreundlich daherkommenden Forschungsansätze. Dabei wird von den beteiligten Forschern und in der Berichterstattung meist ignoriert, wie sie sich missbrauchen lassen. Aber der nächste gedankliche Schritt enthüllt das Bedrohliche. Gut, dass bei dir die Warnlampen blinken.

      Gefällt 1 Person

      • Übrigens werde ich keine Entwicklung verhindern können, indem ich mich an meine Bücher halte.Bisher wurde, was technisch möglich ist, auch gemacht. Wir können nur aufzeigen, was geplant wird und die Konsequenzen umreißen. Wehren muss sich jeder selbst, solange die Regierungen alles zulassen.

        Gefällt 2 Personen

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..