Josie und die heilsame Besinnung auf Namen

Kategorie KopfkinoCatherine Douglas und Peter Rowlinson von der Universität Newcastle haben in einer Studie belegt, dass Kühe mehr Milch geben, wenn sie einen Namen haben. Das hätte ich ihnen vorher sagen können, denn wenn eine Kuh nur eine Nummer auf einem Chip im Ohr hat, wird sie vom Bauern wie eine Nummer behandelt und fühlt sich unwohl. Die Erkenntnis, dass Kühe einen Namen brauchen, ist nicht neu, sondern nur durch die Massentierhaltung verloren gegangen.

Nicht seriös wissenschaftlich erforscht ist das Verhältnis Mensch zu Pflanze. Die Theorien dazu sind esoterischer Natur und für mich nicht von Interesse. Ich werde mich hüten, mir eine Theorie auszudenken, denn es ist der Sache selbst gar nicht zuträglich. Warum soll das Leben nicht einige seiner Geheimnisse für sich behalten? Daher will ich nur von persönlichen Erfahrungen berichten.

Josie - Foto: Jvdl - größer: Bitte klicken

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Vor einigen Jahren schenkte Lisette mir eine Zimmerpalme. Zimmerpalmen gefielen mir schon immer gut. Ihr Blattwerk ist elegant geschwungen und bildet mit seinen Überschneidungen sehenswerte grafische Strukturen. Meine Zimmerpalme taufte ich Josie. Nach kurzer Zeit kümmerte Josie, obwohl sie einen hellen Platz hatte und regelmäßig gegossen wurde. Josie schien meinen eigenen Seelenzustand zu spiegeln. Eines Morgens hatte sie sich komplett zum Fenster hin geneigt, als wollte sie sich davon machen. Sie hatte allen Grund dazu, denn mir ging es von Tag zu Tag schlechter. Als sich Josie derart von mir abwandte, beschloss ich, etwa gegen mein Leid zu tun und eröffnete ein Blog. Anfangs hieß es Wolfsburggeschichten und war insgesamt so düster wie der Name verspricht. Josie hing weiterhin schräg zum Fenster und ließ einige ihrer Wedel austrocknen.

Nach etwa zwei Wochen Blogschreiben begriff ich endlich, welch ein vielfältiges künstlerisches Ausdrucks- und Kommunikationsmittel ein Blog ist, machte einen Ausverkauf der schlechten Gefühle und eröffnete das frisch renovierte Teppichhaus. Inzwischen hatte ich in Jim Krauses wunderbarem Büchlein “Creative sparks” (dt. “Funkenflug“) gelesen, man solle zur Steigerung der Kreativität ab und zu einen Baum umarmen. So stieg ich manchmal auf den Aachener Lousberg, wartete, bis keiner zusah, und umarmte mal eine Eiche, mal eine der hoch aufragenden Buchen. Zur Not tue es auch eine Zimmerpflanze, schreibt Krause. Das tat ich mit Josie. Es schien ihr zu gefallen, denn mit den Wochen richtete sie sich langsam wieder auf. Mir ging es ähnlich. Und ich fand, dass meine Texte stets  rund und schlüssig gerieten, wenn ich zuvor Josie angefasst und mit ihr geredet hatte. Aus dieser Zeit rührt meine Beziehung zu einer Zimmerpalme.

Was geschieht, wenn man sich für einen Moment einer Pflanze zuwendet? Du greifst nach einem Wesen, das zwar den Raum mit dir teilt und trotzdem in einer in sich schlüssigen Welt lebt, die völlig verschieden von deiner ist. Das klärt den Blick. Meist ist der Mensch geneigt, seine Wirklichkeit als die einzige Wirklichkeit anzusehen. Damit bestreitet er der Welt ihre Vielfalt und Tiefendimension. Sich als der Nabel der Welt zu betrachten, ist ein Anschlag auf die eigene seelische Gesundheit, denn diese Haltung macht Denken und Fühlen oberflächlich und insgesamt unzufrieden und unglücklich. Dagegen hilft ein Augenblick der Besinnung auf die stille Welt der Pflanzen. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, sagt Paul Watzlawick in seiner Untersuchung “Menschliche Kommunikation”, denn auch Schweigen ist eine Form der Kommunikation. In diesem Sinne findet eine Interaktion zwischen dir und der Pflanze statt. Diese Interaktion ist wie ein Eintauchen in eine Zwischenwelt, die nicht ganz pflanzlich ist, nicht ganz menschlich. Das verändert beider Leben in den jeweiligen Wirklichkeiten. Denn auch die Pflanze spürt die Berührung und reagiert durch Wohlgefallen oder nicht.

Wenn ich ein Unternehmen zu leiten hätte, bekäme jeder Mitarbeiter eine Pflanze. Die Pflanze seiner Wahl würde ihm hingestellt, und er hätte sich während seiner Arbeitszeit um ihr Wohlergehen zu kümmern. Denn ich glaube, dass man am Zustand seiner Pflanze ablesen könnte, wie es um ihn bestellt ist. Würde die Pflanze dahinkümmern oder gar vertrocknen, wäre das ein Grund für ein vertrauliches Gespräch, um zu klären, ob den Mitarbeiter etwas bedrückt und ob er Hilfe benötigt. Wenn wir uns nämlich fragen, woher der derzeit desolate Zustand unserer Gesellschaft stammt, dann müssen wir auf die Unternehmen schauen, deren Schalten und Walten die Geschicke der Gesellschaft bestimmt. Viele, wenn nicht die meisten Unternehmen werden nicht ordentlich geführt. Man behandelt die Menschen wie Hochleistungsrindviecher, die keinen Namen haben, sondern eine Nummer am Ohr. Das gilt es zu ändern.

26 Kommentare zu “Josie und die heilsame Besinnung auf Namen

  1. Welch lesegenuss haben Sie mir gerade beschert!!!!!
    Leider sitze ich im Zug und habe meinen Kaktus nicht dabei, sonst hätte ich ihn liebevoll über die Stacheln gestreichelt.
    Tatsächlich vermisse ich nach dem Umzug nach Inselanien meine verschenkten Pflanzen fast so sehr wie meine Freundin…..
    Soifz

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    • Ging mir auch so. ich vermisse plötzlich all meine Pflanzen, die ich wegen der Zerstörungswut der Katzen abgeben musste.
      Meine deckenhohe Zimmerlinde habe ich täglich besprochen und die Hände über ihre zartbehaarten Blätter gehalten. Seufz.

      S

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      • @ tikerscherk
        Schade, wenn Flora und Fauna nicht zusammenpassen. Du hattest es in der Hand. Ich erinnere mich aber an deinen Bericht, wie du eine vertrocknende Pflanze durch ein Loch im Fenster mit einer Spritze versucht hast zu gießen. Das hat mir imponiert.

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        • Als ich das kleine Katerchen zu mir holte, glaubte ich noch sein Pflanzenvandalismus ginge irgendwann vorbei und gab meine Lebensbegleitflora in die Hände des Unterfranken. Leider blieb die Zerstörungswut des Katers und die Pflanzen leben weiterhin im Exil. Über jede Blüte werde ich aber per Bildnachricht auf dem Laufenden gehalten und immer, wenn ich meine Pflanzen besuche, verspreche ich ihnen, sie eines Tages wieder nach Hause zu holen.

          Auch die gerettete Pflanze von damals ist beim Unterfranken gut aufgehoben.

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  2. Die Arbeitgeber werden sich hüten, ihren Angestellten solche pflanzlichen Stimmungsbarometer zur Seite zu geben, würden sie doch ziemlich bald feststellen, daß in vielen Betrieben schon die Struktur der Arbeit das Übel ist: Von Stechuhren kontollierte An- und Abwesenheit, zufällig zusammengewürfelte Abteilungen ohne Mitspracherecht der Mitarbeiter, Zerstörung und Verhinderung von Kreativität durch hierarchisch gestaffelte Anweisungsketten und was es sonst noch Nettes gibt zur Steigerung der Unternehmensziele.

    Ab nächstem Jahr arbeite ich nur noch zweieinhalb Tage in der Woche, mal schauen, ob meine beiden Zimmerpflanzen das auch gut finden.

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    • Du listest hier die Scheußlichkeiten auf, die in die Arbeitswelt eingezogen sind und die stumpfsinnige Härte unserer Welt spiegeln. Nimm dazu den Umgang mit Arbeitslosen und Sozialschwachen, die gnadenlose Ausbeutung der Natur, hast du ein Abbild der strukturellen Gewalt in unserer Gesellschaft. Es wäre an der Zeit, dieser Gesellschaft die Härte zu nehmen, wenn sie nicht an ihrer eigenen Aggressivität zugrunde gehen soll.

      Auf dich kommen dann selbstbestimmte Zeiten zu. Das wird deine Einstellung zur Welt ändern, also auch zu deinen Zimmerpflanten.

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  3. Rechts von mir steht auch so eine Zimmerpalme. Wir ignorieren uns. Das heißt, ich sie. Ab jetzt werde ich sie im Auge halten und wenn sie zuckt, fliegt sie. Der Rasen ist schon jetzt mein Feind. Aber du hast natürlich Recht. Unser Umgang mit der Natur spiegelt unsere Sicht auf die Welt. Alles darf den Bach runter gehen, kann man ja wieder kaufen. Vielleicht gebe ich der Palme doch mal eine Chance.

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  4. Jaja, die Zimmerpflanzen! Auch ich habe zu ihnen ein emotionales Verhältnis. Sie erinnern sich an das Buch „Nicht ohne meine Tochter“, das in den neunziger Jahren ein Bestseller war – damals sagte ich immer zu meinen Freundinnen, Tochter habe ich ja keine, mein Buch müsste wohl heissen „Nicht ohne meine Zimmerpflanzen“.

    Gegen das Kippen der Palme Richtung Fenster hätte eventuell geholfen, sie ab und zu ein paar Grad zu drehen. Sie muss sich dann neu nach dem Licht ausrichten.

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    • Schön, so viele Geistesverwandte zu haben. Erfreulicher Weise hat meine Palme auch den Umzug nach Hannover gut verkraftet. Sie mögen es ja nicht, umgestellt zu werden. Darum habe ich auch vermieden, sie zu drehen, was mir wie ein Gewaltakt vorkommt. Inzwischen wächst sie rechtseitig viel kräftiger als links. Es ließe sich auf stärkeren Lichteinfall zurückführen, aber ich bevorzuge, mich gespiegelt zu sehen, da mein Schlaganfall vor vier Jahren mich linksseitig getroffen hatte.

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      • Dass sie sich eine gleich betroffene Schwester gesucht und in der Palme gefunden haben, verstehe ich natürlich gut. Ja, das Drehen kommt auch mir merkwürdig widernatürlich vor, ich tue es zuweilen mit einem Brasilianischen Glücksklee, den mir eine Freundin geschenkt hat – weil der Lichteinfall dort, wo er steht, so einseitig ist. Ich rede mir immer ein, in der Natur hätte er sich einen weniger halbschattigen Platz gesucht.

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    • Bestimmt, obwohl die auch jetzt schon ausgeprägt ist bei dir, Herr Ösi. Als ich noch Bäume auf dem Aachener Lousberg umarmte, habe ich immer drei ausgesucht. Und ich musste beim dritten darauf achten, dass er nicht zu groß ist, weil meine Texte sonst zuviel Wucht bekamen. Ich habe zu der Zeit freilich noch viel gekifft 😉

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  5. Vor 23 Jahren stolperte ich in einer Gärtnerei in Weimar über meine eigenen Füße und landete in einem Regal mit Elefantenfüße. Zum allgemeinen Gelächter der Umstehenden, schenkte mir meine Begleitung einen solchen. Sinnbild: der Elefant im Blumenladen.
    Haha na danke auch.
    Steffi, meine Begleiterin, ist vor elf Jahren gestorben. „Dumbo“ erfreut sich bester Gesundheit.
    Ich rede des öfteren mit ihm. Nicht immer hörbar, aber er und Steffi verstehen alles. Sicher.

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    • Dass es Elefantenfüße als Pflanzen gibt, wusste ich bis zu deinem launigen Erfahrungsbericht nicht. War „Steffi“ auch ein Elefantenfuß? „Dumbo“ ist klar. Auf Suaheli heißt der Elefant „Tembo.“

      Wenn ich meine Josie morgens begrüße, spreche ich immer möglichst langsam und tief. Es muss in ihrer Wahrnehmung aber ein Zwitschern sein, denn Pflanzen sind ja viel langsamer in der Welt.

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  6. Ein schöner Gedanke für ein besseres Arbeitsklima. Auf meinem Schreibtisch steht eine Pflanze, die ich erbte, als die Besitzerin in Mutterschutz ging. Am Tag der Geburt ihrer Tochter ging die erste Blüte auf. Seit dem heißt sie Amelie…wie das kleine Menschlein.
    Mein Herz hänge ich immer schon an den Baum, der meinem Fenster am nächsten ist. Vermutlich, weil ich die weder ersaufen noch verdursten lassen kann 😉
    Josie ist eine Schönheit. Und wie auch sonst, braucht Schönheit eine Geschichte. Danke, dass du Josies Geschichte mit uns geteilt hast. Lieber Jules, ich habe dich (trotz stillem unregelmäßigen Lesen) vermisst.

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    • Das Vermissen war gegenseitig, meine Liebe. Du hast echt gefehlt, was den sowieso trüben Februar noch ein bisschen trüber gemacht hat. Ich freue mich so, dass du dich wieder zeigen magst. Deine liebenswerten Kommentare und deine lesenswerten Texte sind nämlich die Würze des Teils der WordPress-Plattform, den ich überblicke. Freut mich, dass Josie dir gefällt. Vielleicht zeigst du mal bei Gelegenheit ein Foto von Amelie? Ich will dich aber keinesfalls drängen. Zuerst erhole dich gut!

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