Unten blank, oben Pelz

kategorie Mensch & Natur„Ich mache mal ein bisschen Platz“, sagte die Dame und räumte auf dem Stehtisch Tassen und Unterteller zusammen, die gedankenlose Menschen von der Latte-Macciato-Fraktion stehen gelassen hatten. „Mich störts nicht“, sagte ich, denn ich hatte Platz für meinen Teller Linsensuppe gefunden. Ihr Teller hatte schon vorher dort gestanden. Jetzt standen wir uns an diesem kalten Samstagmittag auf dem Lindener Markt gegenüber und löffelten Linsensuppe. Inmitten des Marktrubels war das beinah eine intime Situation. Ich musterte sie unauffällig. Sie war attraktiv, nicht zu jung und mir sympathisch genug, dass ich Lust auf ein Gespräch hatte.

„Die Suppe ist lecker!“, eröffnete sie, was ich sogleich bestätigte. „Linsen-Kürbis, und mit Curry abgeschmeckt!“, hatte der Suppenverkäufer die vegetarische Suppe angepriesen. „Wenn Sie den Klacks Sauerrahm weglassen, ist sie sogar vegan.“ „Das muss nicht sein, mit Sauerrahm bitte!“, hatte ich gesagt. Und ein dummer Mensch neben mir hatte eingeworfen: „Die andere Suppe ist auch vegetarisch, wenn das Schwein Vegetarier war.“ „Aber Schweine sind Allesfresser!“, hatte der Suppenverkäufer eingewandt. Ich hatte keine Lust verspürt, mich an dem törichten Gespräch zu beteiligen und war mit meiner Suppe zur Seite gegangen. In meiner Tischnachbarin sah ich für kurze Zeit eine Seelenverwandte und überlegte, wie ich das Gespräch weiter führen sollte. Mein Blick ruhte dabei auf dem Feinkost-Verkaufsstand, wo reges Treiben herrschte. Gerade hatte ich mich entschieden, etwas zu sagen, sah sie an und stutzte. Was um Himmels Willen hatte sie da auf dem Kopf?! Das ist ja schlimmer als hätte sie ein dickes schwarzes Haar auf der Nase, wie ich mal bei einem Bauern im Rheinland sah. Immerhin konnte er darauf verweisen, dass das Haar von selbst gewachsen war und jeder Gewaltakt, es zu kürzen oder entfernen wäre ein Vergehen wider die Natur. Ich fühlte mich getäuscht. Vegetarische Suppe essen, aber einen Pelzpuschel auf der Mütze herumzutragen, so einen wirren Kopf möchte ich ja lieber nicht haben. Und das in ihrem Alter. Eine Weile war ich versucht, sie auf den Pelzpuschel anzusprechen.

„Über das, was Sie da auf dem Kopf rumtragen, habe ich gestern geschrieben.“
„Ach ja, über meine Mütze?“
„Den Puschel. Das ist Marderhund, nehme ich an. Selbst geschlachtet oder bei lebendigem Leib gehäutet?“

Keine Chance, die Sache in gute Bahnen zu lenken. „Auf dem Markt wollte ich nicht arbeiten“, sagte sie. „Nicht um diese Jahreszeit“, sagte ich lahm, „und dann muss der Marktstand ja schon morgens um fünf aufgebaut werden.“ Sie schauderte unter ihrem Pelzpuschel. Ja, dachte ich, so ein Puschel wärmt nicht mal. Die Tiere sterben für nichts, Ihres nur, damit sie sich eine Jungmädchenexistenz vorgaukeln können. Ich hätte noch sagen können, dass ich über das Internet eine junge Frau kenne, die voller Begeisterung auf dem Markt arbeitet. Denn sie verkauft Produkte vom Biohof, packt gerne mit an und liebt den Kontakt mit den Kunden. Aber mir kam das verschwendet vor, und ich wusste nicht, ob eine Frau mit Pelzpuschel oben auf dem Kopf sowas überhaupt versteht.

Frauen rasieren sich die Beine. Nach Auskunft von Gynäkologen haben 90 Prozent der jungen Frauen keine Schambehaarung mehr. Alles verleugnet das Tierische an der menschlichen Existenz. Unten rum blank, aber Pelz vom Marderhund auf dem Kopf – seltsam.

14 Kommentare zu “Unten blank, oben Pelz

  1. Ich glaube, bei vielen ist es einfach Dummheit…..übrigens Linsen Kürbis mit Curry klingt köstlich…..ein Mensch, der lecker sagt, wäre ein no-go für mich, mit Puschel oder ohne ;-)))

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  2. Du hast natürlich Recht damit, dass es richtig schlimm wird, wenn uns jetzt schon Pelz als Kunststoff angeboten wird, aber ich neige zu einer gewissen Toleranz gegenüber attraktiven Frauen und wie, wenn nicht im Gespräch, sollen wir unsere Sicht auf die Welt vermitteln?

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    • Da hast du wiederum Recht. Aber bestimmte Gespräche führe ich nicht mehr. Wenn Einstellungen sich nicht gleichen, ist jedes Gespräch darüber meist erfolglos. Im konkreten Fall war die Mütze für mich ein „no-go“ (wie Ann sagt). Vielleicht treffe ich sie ja mal ohne Mütze 😉

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      • Man stelle sich vor, Du hättest sie im Sommer kennengelernt. Und zack, kaum wird es kalt, taucht sie mit Pelzpuschel bei Dir auf. Welch Dilemma!
        (Ich hatte Glück: Frau A., die mir im Sommer über den Weg lief, ist ein wenig eitel und trägt in der Jahreszeit, die von unserem Winter übrig geblieben ist, keine Kopfbedeckung. Puh!)

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        • Ja, das wäre blöd. Wenn man aber in so grundsätzlichen Fragen wie Tierschutz nicht einer Meinung ist, zeigt sich das nicht nur an einer albernen Mütze. Beispielsweise waren die Frauen in meinem Leben allesamt Vegetarierinnen, ohne dass ich das zur Bedingung gemacht hätte. Hat sich glücklich so ergeben. Glückwunsch zu Frau A.!

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  3. Wage dich nicht zu Heilig Abend in eine Christmette. Leichenschau, wohin man schaut. Und wer in aus handgeschopftem Latex gefertigter Kleidung dort auftaucht, wird des Saales verwiesen. Ist ja keine Fetischveranstaltung … oder so …

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