Die Läden meiner Kindheit – Neue Beiträge

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derglLederwaren … Seit 1912 e.K.
FeldlilieZigaretten und Kopfrechnen
FeldlilieNoch ein Laden
Fjonka Die Läden meiner Kindheit – Ein Dorfspaziergang
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LakritzeFrau Kruger
LakritzeIm Konsum (ohne Rausch)
Lakritze Man weiß nie, wozu’s gut ist
Lo LangeVon Negerküssen und Sträter-Kaffee
Lo Lange Bitte recht freundlich
Lo LangeLeder, Leim und kaputte Galoschen
Jules van der LeyBuchdruckerei Eupen – „Sie wollen mir nicht widersprechen!“
Jules van der LeyPesche Tünn und Jimmy, das aufblasbare Gummipferd
Jules van der LeySchmutzige Bücher aus der Wäscherei – Ein Bäcker auf Hausbesuch
Jules van der Ley / Constanze B.Verschüttete Milch und ein kaiserlicher Goldtaler
la-mammaObere Donaustraße 9
meertauDie Läden meiner Kindheit in Frankfurt (1)
meertau Die Läden meiner italienischen Kindheit … (2)
meertau Die Läden meiner italienischen Kindheit … (3)
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nömix Milchgreißler und Fischtandler in Neulengbach, 60er-Jahre
nömixBranntweiner
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TikerscherkDas Elixier des Untergangs
Manfred VoitaDarf es etwas mehr sein?
Manfred VoitaFußweg zum Rock’n Roll
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Die Läden meiner Kindheit
Folge 2

Vermieter Schroff
Der Lebensmittelladen von Schroff war nicht gut angesehen im Dorf, weil er gesalzene Preise hatte. Wir kauften dort nie, obwohl der Laden groß und gut sortiert war. Aber Schroff vermietete Tiefkühlfächer. Das war praktisch, weil es in den meisten Haushalten noch keine Kühlschränke gab. Meine Mutter hatte auch ein Kühlfach gemietet. Dort lagerte sie die Unmengen Fleisch und Wurst nach einer Hausschlachtung ein. Sie stopfte quasi unser ganzes Schwein hinein, nachdem mein Metzgeronkel es zerlegt und verwurstet hatte. Die Kühlfächer waren seitlich in einem Hausgang angebracht. Man konnte sie erreichen, ohne in den Laden zu gehen, was offenbar ein Planungsfehler war. Dabei war der Schroff sonst so geschäftstüchtig. Er hatte zwei große Wohnhäuser für Flüchtlinge aus dem Osten bauen lassen, im Dorf „die Blocks“ genannt, also nicht die Flüchtlinge, sondern die Häuser. Die Flüchtlinge hießen abwertend „die Pollacken.“ Es waren Leute, die bei ihrer Ankunft noch kein Klo mit Wasserspülung gesehen hatten und in Unkenntnis seiner Funktion in der Kloschüssel die Socken wuschen. „Ach, guckste mal hier, ein Sockenwaschbecken!“, dann abgezogen, und „huch!“, weg waren sie. Das wurde erzählt. Obs stimmte, weiß ich nicht. Wir kannten keinen der Pollacken aus den Blocks näher, aber Frau Kühn, unsere Nachbarin, die selbst aus Ostdeutschland kam, erzählte, die Pollacken wären gezwungen bei Schroff einzukaufen, wie eine Klausel im Mietvertrag festlege. Ebenso war der Missbrauch der Kloschüssel mietvertraglich verboten, vermute ich, wegen der Socken im Rohr. Jedenfalls war der Schroff als Hauswirt ein Tyrann, wusste Frau Kühn.

Gut zehn Jahre später waren die Flüchtlinge aus den Blocks weitgehend in die Dorfgemeinschaft integriert. Einige waren sogar im Schützenverein wie Gunter Potulski. Zum Schützenfest, ich muss etwa 18 gewesen sein, waren wir zusammen in der Kneipe versackt. Irgendwann in der Nacht, als wir schon ziemlich betrunken waren, sagte Gunter Potulski, ich solle bei ihm übernachten. Es war gleich die Ecke rum. Da betrat ich zum ersten Mal eine Wohnung in einem der Blocks. Als ich mich gerade auf der Wohnzimmercouch ausstrecken wollte, kam Frau Potulski, Gunters Mutter, herein und jammerte: „Ach Gottchen, ach Gottchen! Wenn der Hausbesitzer erfährt, dass hier jemand übernachtet, dann kündigt der uns!“ Da erinnerte ich mich wieder an all die Gerüchte über den despotischen Schroff und glaubte sie.

Metzgerei-Feinkost Wüster

Hier einzukaufen, war schrecklich. Meistens wurde ich am Samstagmorgen hingeschickt. Dann stand der Laden gerammelt voll, und als Kind wurde man immer nach hinten geschoben, weil die Erwachsenen übereinstimmend der Ansicht waren, ein Kind habe ja Zeit. Ich habe mir da an manchem Samstagmorgen die Beine in den Bauch gestanden und bin über der Warterei vermutlich frühzeitig gealtert. Aus Rache gibt es von hier keine weiteren Impressionen, nicht mal eine Scheibe Fleischwurst gratis. Ich bin inzwischen sowieso Vegetarier.

wird fortgesetzt

71 Kommentare zu “Die Läden meiner Kindheit – Neue Beiträge

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  2. So viele Links. Schöner Lesestoff. Eine tolle Idee hattest du da, lieber Jules.
    Mietbare Tiefkühlfächer. Eine tolle Idee, die ich sogar heute noch gut gebrauchen könnte.
    Das Waschbecken für Socken brachte mich zum schmunzeln. Aber ich sollte nicht zu sehr grinsen. Ein Bidet lernte ich auch erst in Frankreich kennen.

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    • Danke fürs Lob, liebe Mitzi. Die Begeisterung für das Projekt überrascht mich. Offenbar rührt es an ein weit verbreites Bedürfnis sich zu erinnern an eine Zeit, in der es zwischenmenschlicher zuging. Bei aller Vergangenheitsverklärung ist nicht zu übersehen, dass in der heutigen Kulktur der Discounter und Supermärkte etwas Wesentliches fehlt.
      Viele, die bei uns im Dorf über das Sockenwaschbecken gelacht haben, hatten zu Hause nur ein Plumpsklo. Ein Bidet kannte man damals gar nicht.

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      • Du lieferst die Erklärung ja selbst, lieber Jules. Und abgesehen davon, hast du zu etwas aufgerufen, zu dem man ohne große Mühe etwas beitragen kann. Auch wenn die Erinnerungen unterschiedlich sind – wir haben sie alle im Kopf…die Läden der Kindheit.

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  3. Also, ich erinnere mich dann einfach auch mal an die Läden meiner Kindheit auf dem Dorf:

    Da gab es den Bäcker, es gab sogar mehrere, aber bei einem wurde vorzugsweise eingekauft: Das hieß warten, bis man drankam, sprich zwischen breitem Kurpfälzer Dialekt eingepfercht vor der Theke stehen – „Ach, das Kind hat doch Zeit“, noch schlimmer war’s nur beim Metzger – und schließlich „ein Dreipfünder Brot“ und das Rückgeld in Empfang nehmen: Das war immer ein Kunststückchen, das ich nie richtig begriff, denn man bekam, wenn man ein 5-Mark-Stück hingegeben hatte, auch 5 Mark wieder raus – oder doch nicht? Leider weiß ich nicht mehr genau, was ein Dreipfünder Brot damals kostete, vielleicht eine Mark fünfzig. Man gab ihr also die fünf Mark, sie gab einem Geld zurück und zählte „einsfünfzig – zwei – drei – fünf Mark“ und ich verstand einfach nicht, wieso sie mir fünf Mark wieder in die Hand zählte, wo ich ihr doch fünf Mark gegeben hatte. (Also, das war, bevor ich in die Schule ging.)
    Man konnte dort auch nach Ladenschluss oder sonntags schnell noch was holen, musste dann aber durch die Hintertür in die Backstube. Dort brachte man auch das von der Großmutter vorbereitete Brot in Körben zum Backen hin und holte es am nächsten Tag frisch gebacken wieder ab. Mmmhhh!

    Die Milch wurde natürlich, wenn nicht beim Bauern, dann in einem eigens dafür eingerichteten Geschäft geholt – nur Milchprodukte gab es da, und die dralle Ladeninhaberin war die penibel sauberste Frau, die ich je gesehen hatte: schwarzes, streng zurückgekämmtes Haar, ein milchweißer Teint, dazu immer eine blütenweiße Schürze. Hygiene pur. Damit die 50 Pfennig für den Liter Milch nicht verloren gingen, wurden sie einfach in die Milchkanne gelegt – und befanden sich peinlicherweise manchmal noch darin, wenn die Milch schon drin war.
    Die Milchkanne im Kreis rotieren zu lassen, ohne die Milch zu verschütten – dafür habe ich die älteren Jungs aus unserer Straße hingebungsvoll bewundert. Das hätte ich mich nie getraut!

    Dann gab es neben einigen anderen Geschäften (Schuhe, Textilien) und der Drogerie – einer Kombination aus Drogerie und Reformhaus – einen etwas größeren Lebensmittelladen, der seine Sonderangebote immer über die dorfeigene Lautsprecheranlage verkünden ließ: Die Wendung „1 Liter ohne Glas, 79 Pfennig“ habe ich heute noch im Ohr, denn sie wiederholte sich ständig mit verschiedenen Getränken und Preisen. Die Konkurrenz ließ diese Art Durchsagen aber schließlich untersagen, denn die Lautsprecheranlage sollte ja nicht für Werbung, sondern für Gemeindenachrichten dienen. Was für ein Unterschied zu heute!!!

    Eines Tages bekamen wir auch ein Gemüse- und Blumengeschäft, obwohl ja eigentlich fast alle einen eigenen Garten hatten. Hier habe ich zum ersten (und wohlgemerkt einzigen!) Mal einen Diebstahl begangen: Die Türglocke hatte geläutet, Frau B. würde also gleich aus den Tiefen, die sich hinter jedem Geschäft verbargen, auftauchen, um mich zu bedienen – da erblickte ich beim Warten eine Kiste mit wunderschönen dunklen Kirschen, die mich so verlockend ansahen … und schwupp, landete eine unbemerkt in meiner Tasche. Bagatelle? Von wegen! Ich war durch mein schlechtes Gewissen mehr gestraft, als es je ein Erwachsener vermocht hätte.

    Ein Lädchen gab es noch, keine Ahnung, was meine Mutter dort kaufte, aber eins war wahr: Frau K. verschenkte die „Gutsel“ (Bonbons) am großzügigsten. Was mir letztendlich ein schlimmes Trauma bescherte! Denn mit vier Jahren wollte ich eines Tages eben diesen Laden mit meinem Kinderroller ansteuern, verfuhr mich dabei aber so gottserbärmlich, dass es einer mitleidsvollen Frau bedurfte, die mich 1 – 2 Kilometer vom Dorf entfernt aufsammelte und wieder nach Hause brachte. Die Frage „Ja Kind, wem gehörst du denn?“ erwies sich als der Rettungsanker, denn ich konnte mich tatsächlich erinnern, wie die anderen Leute meinen Vater und Großvater nannten.

    So wurde man Anderen grundsätzlich vorgestellt: Als die Kleine vom H. E. und das führte zu freudigen Ausbrüchen auf seiten der neugierigen Frager, wer man denn sei. So ging es mir in der dunklen Kneipe, in die mein Großvater mich als kleines Kind immer schickte, um Zigarren zu holen und wo ich eine rechte Scheu vor der Stammtischrunde an den Tag legte bzw. an das dort herrschende Halbdunkel. „Ach guckemoldo, was isch’n des fa ä goldischs kläns Medele, a wem g’hersch’n du?“ Der Sternwirt: „A, des isch ‚m H.E. soi Kläni“ und los ging’s mit dem Freudenausbruch über diese unerwartete Bekanntschaft. Ich hätte auf diese Bekanntschaft allerdings lieber verzichtet und war froh, dass ich dem Halbdunkel gleich wieder den Rücken kehren konnte.

    Nun, lieber Herr Trithemius, hoffe ich, Sie haben noch ein Plätzchen frei für meine Geschichte, denn wie Sie wissen, blogge ich ja nicht. Herzliche Grüße und danke für den Spaß!

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    • Einen ganz wichtigen Laden hab ich noch vergessen: den Schreibwarenladen gleich in unserer Straße, gegenüber der Schule. Der ist nicht nur wichtig als Heftversorger und Bleistiftlieferant, nein, er beinhaltete auch eine Leihbücherei und vor allem: Die Göttinger Jugend-Bände wurden dort gekauft, und zwar von uns Kindern selbst! Meine Mutter drückte uns das Geld in die Hand (was äußerst selten vorkam, aber für ein Buch war bei uns alles möglich), und so schenkten meine Geschwister mir „Die Wunderstute Larissa“ zu Weihnachten und ich kaufte mit meinem Bruder meiner Schwester „Die Hütte am See“ zum Geburtstag, das zu unser aller Lieblingsbuch avancierte, und mit meiner Schwester ging ich ein Indianerbuch für unseren Bruder kaufen. Ja, es wohnte nicht jeder in einem Dorf, in dem man Bücher kaufen konnte.

      Ja, und den Raiffeisen und den Konsum gab’s natürlich auch.

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  10. Mietfächer? Daran kann ich mich nicht erinnern. Aber es gab auch zwei Lebensmittelläden, der eine war etwas weiter entfernt und ein Konsum. Das waren die damals noch in Gewerkschaftseigentum befindlichen Läden und man ging da nicht hin – obwohl mein Vater wie die meisten anderen – gewerkschaftlich organisiert war. Die Scheu oder Angst vor dem Fremden, die du in der Vermietergeschichte beschreibst, ist uns ja nicht abhanden gekommen, die Fremden wechseln, die Ängste bleiben.

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  20. Lieber Kollege, hier* noch ein Beitrag zu Ihrem famosen Erzählprojekt. (Und weil Sie letzthin in Ihrem Kommentar die für Außerösische teils kurios anmutenden ösitanischen Berufsbezeichnungen erwähnten, will ich mich angelegentlich gleich mal daransetzen und noch einen Text über den »Pepihacker« verfassen ; )
    Liebe Grüße, aus Wien

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    • Vielen Dank für den Nachweis, lieber Kollege. „Likörstube“ gehört zu meinen Lieblingswörtern wegen der hellen Vokale darin, nicht dass ich eine von innen kennen würde. Aber mit dem Foto zu Ihrem Text haben Sie mir schon mal eine Freude gemacht.Auf alles rund um Pepihacker bin ich gespannt. So, nachdem ich Ihren Text verlinkt habe, werde ich erst mal in Ruhe bei Ihnen lesen. Lieben Gruß aus Hannover

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  23. Tolles Projekt, Herr van der Ley! Da meine Grosseltern einen Tante Emma-Laden hatten, komme ich nicht umhin, auch einen Beitrag zu schreiben. Danke für die Inspiration – und für den vielen Lesestoff, den ich mir hier nach und nach zu Gemüte führe (wobei ich auch noch ein paar Kollegen entdecke, die ich vorher kaum kannte)

    Hier

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