„Benannt – Gebannt“,
hätten ja schon die Alten gewusst. Wie erleichtert, ja, geradezu erfreut wäre er gewesen, als er aus der Kirche austreten wollte und habe beim Amtsgericht eine Tür gefunden habe mit der Aufschrift „Kirchenaustritte.“ „Aha, es gibt ein Wort, sogar ein Amt für mein Vorhaben“, habe er da gedacht. Allerdings habe ihn das Türschild mit dem Plural „Kirchenaustritte“ schwer erheitert. Wieso Austritte? Ob welche nach dem Austritt wieder eintreten, austreten, wieder eintreten, weil sie einfach nicht vom Weihrauch wegkämen? Das jedoch wäre im zeitlichen Abstand jeweils ein Austritt nach dem anderen, würde also den Plural nicht rechtfertigen.
„Den Plural wird man aus der Innensicht formuliert haben“, sagte ich. „Für die Behörde sinds Austritte, wenn Sie dort nicht als einziger antanzen, was man ja aus dem Umstand ablesen kann, dass es eine Amtsstube für solche Fälle gibt.“
Jedenfalls habe er sich zusätzlich erfreut über die Tatsache, dass man ihm tatsächlich ein Formblatt in die Hand gedrückt habe. So ein Formblatt wäre schließlich noch eine Steigerung des Prinzips „Benannt – gebannt“
„Worum geht es eigentlich, Coster“, fragte ich. „Sie sind doch nicht erst gestern aus der Kirche ausgetreten.“
„Es geht um meine Zahnärztin“, sagte Coster. Indem er mir seine vertrackte Verliebtheit geschildert habe und wie er nun alles nachlesen könne, weil ich es aufgeschrieben hätte, da wäre der Bann von ihm gewichen. Inzwischen habe er ganz nüchtern erkannt, dass es letztlich um eine Geschäftsbeziehung gehe. Die Zahnärztin würde ihre Dienstleistungen anbieten, und er als öffentlich bestallter Professor sei Privatpatient und mithin Kunde. Und in einer Geschäftsbeziehung wären Gefühle unangebracht.
„Ich hätte eher gedacht, dass Verliebtsein in Ihrem Alter grundsätzlich etwas Närrisches hat, Coster“, sagte ich.
„Verliebtsein ist für Außenstehende immer lächerlich“, sagte Coster und warf mir einen geringschätzigen Blick zu, nur akzeptiere man das bei jungen Leuten, weil doch letztlich Paarung und Fortpflanzung im Vordergrund stünden. Bei älteren Leuten drehe das aber im Leerlauf, und jeder frage sich, wozu soll das jetzt noch gut sein? Wenn man aber bedenke, dass der Fortpflanzungstrieb die Paare ganz närrisch mache, wäre doch eine Beziehung ohne die Idee der Fortpflanzung ungleich reifer.
„Trugschluss, lieber Coster“, sagte ich. „Es geschieht doch zwischen Menschen nichts, das die Natur nicht vorgesehen hat. Warum sich ältere einander zuneigen, verstehen wir vielleicht nur nicht richtig, aber getrieben sind sie wie das junge Volk.
„Da könntest du Recht haben, Trithemius. Ist ja immer so: Man glaubt zu schieben, aber wird geschoben.“
Ich würde Coster den Tipp geben, der Zahnärztin zu beichten, dass man es sich nicht leisten kann. Spätestens dann weiss man, ob es wahres Interesse oder Geschäftsgebaren ist 😉
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Danke für den Tipp, wäre sicher ein guter Test. Da Beihilfe und private Versicherung aber die Kosten übernehmen, klänge der Hinweis nicht sehr überzeugend.
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Da bist Du aber der erste, von dem ich höre, bei dem immer alles problemlos bei der DEBEKA und co übernommen wird…;-)
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Bei mir nicht, im Gegenteil. Vor allem physiotherapeutische Behandlungen werden mir immer wieder gestrichen. Aber Medikamente mit therapeutisch fragwürdigem Wert werden anstandslos bezahlt. Mit den Pharmakonzernen legt man sich nicht an. Und wieso der Chefarzt bei meinem Klinikaufenthalt zweimal täglich Visite abgerechnet hat, fragt auch niemand, obwohl er nur einmal da war. Außerdem gibt es ja noch das „Kostendämpfungsgesetz“, das die Kosten nur beim Patienten senkt, indem jährlich ein paarhundert Euro von der Beihilfe nicht erstattet werden. Da könnt ich mich schon ein bisschen aufregen.
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…und irgendwo gibt es dann diesen Blogeintrag einer Zahnärztin, die beschreibt, wie sie verzweifelt versucht, die Geschäftsbeziehung zu ihrem zahlenden Kunden aufrecht zu erhalten, obwohl ihr der eigentlich auch außerhalb seiner Zahnkronen wirklich gut gefällt.
Manchmal sollte man sich wirklich trauen… äh… man sollte was wagen, meine ich…
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einen guten Zahnarzt zu finden, ist fast schwieriger als eine neue Liebe 😉
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Letztlich geht es um die Frage, ob man seine Seelenruhe bewahren will. Die ist Coster immer heilig.
@ Ann: Klingt plausibel.
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Kann er seine Seelenruhe mit schlechten Zähnen besser bewahren als mit einem Menschen, der Teller schief im Geschirrschrank stapelt, sonst aber echt nett ist?
Das Leben ist nunmal nicht einfach. Wäre ja auch langweilig.
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Seelenruhe oder Zahnbehandlung ist nicht die Alternative. Zum Stapeln der Teller: Meine 2. Freundin in Hannover legte Wert darauf, dass immer alle Verpackungen auf ihrem Vorratsregal im gleichen schrägen Winkel ausgerichtet waren. Hat nicht wirklich gestört.
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Ach Jules… mir war schon klar, dass das nicht die Alternative war. Wenn sie es gewesen wäre, hätte er sich auch einen bärtigen 150-Kilo-Zahnarzt aussuchen können, nur so als Beispiel…
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In einer Geschäftsbeziehung sollten Gefühle unangebracht sein? Also zumindest Wut, Ärger, Frustration, Zorn, Ungeduld aber auch Begeisterung, Freude, na gut, doch eher Wurt, Ärger… spielen in Geschäftsbeziehungen wie in allen menschlichen Beziehungen eine Rolle. Nicht umsonst sprechen wir von Einkaufserlebnissen.
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Angesichts der Liste negativer Gefühle, die du hier aufgestellt hast, wird mir ganz bang um Coster. Ich vermute, dass er andere Gefühle gemeint hat.
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Die Liebe (unsterblich verliebt“) ist das Transzendente zu der Erfahrung, die wir Wesen hier aufgrund der Geburt nur alleine bewusst machen können: Sterben …
Da hilft auch kein Partner dabei … sterben muss man immer alleine …
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