Wie sehr mich die um sich greifende Tattoo-Plage nervt, diese visuelle Augenpest, diese penetrante Menschenverschmutzung, die unser Sozialwesen seuchenartig befallen hat, ist mir erst kürzlich aufgefallen. Da sah ich ein Fräulein, angetan mit einem kurzen ärmellosen Kleidchen, das die hübschen Gliedmaßen kaum verhüllte. Sie war eine Augenweide und besonders weil ihre makellose Haut nirgendwo von einem Tattoo verhunzt wurde. Sie stand vor mir an der Supermarktkasse, und weil ich meinen Einkauf ein wenig zu laut aufs Kassenband legte, mehr pfefferte, drehte sich zu mir um und lächelte. Beinah wäre mir entschlüpft, sie zu ihrer Tattoofreiheit zu beglückwünschen, doch gerade rechtzeitig fiel mein Blick auf das Kassenfräulein. Da lugte nämlich eine tätowierte Urwaldlandschaft aus ihrem Kittelärmel hervor, und ich wollte sie nicht vor den Kopf stoßen, weil sie immer so freundlich ist. Aber dieses Nebeneinander von einer nach Sklavenart tätowierten Lohnabhängigen im Kittel und dieser frank und freien Königin, die sich auch durch ihren Einkauf kaum belastete, denn sie kaufte nur ein Schächtelchen Yogurette, führte mir schlagartig vor Augen, was die Tattooplage eigentlich bedeutet: Sie ist Ausdruck der Proletarisierung unserer Gesellschaft, ein orientierungslos durchdrehender Versuch der Selbstoptimierung. Vielleicht besser ein gutes Buch lesen? Oder Teestübchen Trithemius?