Nicht viele Leute kennen den Schweizer Schriftsteller Robert Walser. Wenn sie Walser hören, denken sie sogleich an Martin, den deutschen Schriftsteller, der seinen mächtigen Schädel an Jakob vererbt hat, das Kuckuckskind, das Martin Walser dem Rudolf Augstein ins Nest gelegt hat, nachdem er im Jahr 1966 mit Rudolf Augsteins Lebensgefährtin, der Übersetzerin Maria Carlsson, herumgemacht hatte. Wem jetzt zu Martin Walser nicht Gescheiteres einfällt als dieser Klatsch aus dem „intellektuellen Hochadel“ (die Zeit), der sollte wenigstens was von Robert Walser lesen, unbedingt – etwa den zauberhaften Roman „Der Gehülfe“ oder den wunderlichen „Jakob von Gunten“, der mit dem schönen Satz beginnt:
„Man lernt hier sehr wenig, es fehlt an Lehrkräften, und wir Knaben vom Institut Benjamenta werden alle etwas sehr Kleines und Untergeordnetes im späteren Leben sein.“ (Robert Walser; Jakob von Gunten, 1909)
Robert Walser klingt wie Kafka, nur freundicher. Ich habe das Buch antiquarisch gekauft. Gelegentlich, ich muss bester Laune sein, besuche ich das Antiquariat an der Limmerstraße und halte nach besonderen Büchern Ausschau. Vor Tagen war ich wieder gehobener Laune, und zwar wegen der schönen Frau Werner. Sie sitzt beim angrenzenden Edekamarkt an der Kasse und ist mir herzlich zugetan. Eine Weile hatte ich mir eine Sorte pennälerhafte Verliebtheit gestattet. Ich war geneigt gewesen, sie zu einem Kaffee einzuladen, um sie näher kennen zu lernen. Doch eines Tages wirkte sie etwas durch den Wind, hatte trotz sommerlicher Temperaturen ein dünnes Tuch locker um den Hals gelegt, das aber nicht verdeckte, sondern geradezu hervorhob, was mich abschreckte. Da war nämlich ein mächtiger Knutschfleck in ihrer Halsbeuge. Aus einer sehr vergangenen Zeit weiß ich, was ein solcher Knutschfleck bedeutet. Ab dann gestattete ich mir die Verliebtheit nicht mehr und bin, wenn ich sie jetzt im Supermarkt antreffe, richtig erleichtert, dass die zarte Flirterei, die sich zwischen uns ergeben hat, keine Erweiterung erfahren muss. Heiter trat ich also vor die Tür und ging hinüber zum Antiquariat. Bei schönstem Sonnenschein hatte der Antiquar fünf Bücherkisten nach draußen gestellt, freundlich auf Tische platziert, so dass ich bequem in den Kisten stöbern konnte. Und siehe da: von einem Buchrücken lachte mich der Name Robert Walser an.
Es war ein schönes Inseltaschenbuch. 4 Euro hatte der Antiquar mit Bleistift auf den Schmutztitel gekritzelt. Er gab mir das Wechselgeld aus der Hosentasche, weil er im Laden nicht mal eine Kasse hat. Ich frage mich, wie er das mit der Steuer macht. Umsatz hat er genug. Aber überhaupt keine Kontrolle. Du lieber Herr Gesangsverein, wenn da mal ein Steuerprüfer kommt… Welch ein seltsamer Buchhandel das doch ist. Die ganze Ordnung ist durchbrochen. Aus der Hosentasche des Antiquars bekommt kein Verlag einen Cent, kein Autor kann frohlocken, keine Steuer wird abgeführt – alles dient nur meinem Vergnügen und dem des Antiquars. Aber damit der „intellektuelle Hochadel“ weiterhin enthemmt durcheinandervögeln kann – wie in den wilden 60ern Siegfried Unseld, Rudolf Augstein und Martin Walser in der Sylter Sommerfrische, dürfen wir die Bücher nicht nur antiquarisch kaufen. Freilich ist Robert Walser längst tot.
Ich liebe es, Bücher einfach so antiquarisch zu erstöbern und wie einen Groschenroman mit dem Kleingeld aus dem Portemonnaie dann auch zu erwerben und meistens dann auch zu lesen.
🙂
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Ertappt. Auch ich hätte bei Walser an Martin gedacht. Da er nicht zu meinen Liebsten gehört, ist Rudolf vielleicht eine gute Alternative. Ich halte die Augen offen.
Der Knutschfleck und das dazu gehörige Halstuch stirbt nicht auf. Vor Jahren, noch zur Schulzeit, war es wichtig, das Halstuch so zu binden, dass der Knutschfleck unbedingt zu sehen war. :).
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Robert, liebe Mitzi, Robert Walser. Rudolf ist der Spiegelgründer Augstein. Derzeit lese ich wieder einiges von Robert Walser und bin entzückt. Ich ziehe alles von ihm jedem neuen Buch vor, egal wie hochgelobt und bepreist es ist. Neue Sachen können wir ja selber schreiben 😉
Danke für die Erläuterung des Halstuchtricks. Er scheint noch immer in Gebrauch zu sein.
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Der Halstuchtrick ist vielleicht noch in Gebrauch, allerdings ist er mit zunehmenden Alter des Halses ein wenig albern ;).
Robert, Rudolf….zu ähnlich die Namen auf dem kleinen Display, aber ich habe ihn gedanklich korrigiert.
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Du hast mal wieder Recht – bezüglich Halstuch besonders. Seltsam.
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Seltsam, das man es zur Schau stellen möchte. Aber schön, dass mán sich über die ollen Dinger anscheinend immer noch freut.
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In „meinem“ Supermarkt sitzen die Damen, unabhängig von der Wetterlage, stets bis oben hin geschlossen an den Kassen. Klar, es wimmelt hier auch nur so von Männern, die ihre Einkäufe erledigen. Ob allerdings einer von den literarischen Walsern für die schamhaft versteckten Knutschflecke verantwortlich gemacht werden muss, entzieht sich meiner Kenntnis … 🙂
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Hier tragen sie normalerweise ein gestreiftes Herrenhemd mit einer kurzgebundenen Krawatte.
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Ich werde die „meinen“ mal beobachten …
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Mit ihrem Knutschfleck hat Frau Werner Dich also in Verbuchung geführt….
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Tolles Wortspiel, Kompliment! Darauf muss man erst mal kommen.
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Hihi 😉
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