Am Ende der Kassenschlange stand zu meiner Freude die überaus zierliche Frau, die ich auf der Limmerstraße schon mehrfach von weitem gesehen und wegen ihrer Zierlichkeit bewundert hatte. Ich stellte mich direkt hinter sie, war ihr so nah wie man es als Fremder schicklicher Weise nur in einer Kassenschlange sein darf (oder natürlich in einem Aufzug, aber davon war weit und breit keiner zu sehen.) Die zierliche Frau war ein wenig angetruschelt, will sagen, dass ihre Kleidung nicht ganz zusammen passte. Sie stand in schwarzen Stiefelettchen, dann zwei Stückchen nacktes Bein gerade bis zu den Fesseln, dann schwarze Leggins, darüber ein Jeansrock, der das Persönchen eng umschlang, obenrum ein Bolero-Jäckchen. Alles an ihr war die zarteste und zierlichste Ausführung der Gattung Frau, nur ihre Nase nicht, die ich im Profil sah. Sie gehörte einer größeren, gröberen Frau. Vielleicht war die Nase aber auch einfach noch ein Stückchen weiter gewachsen, als alles andere seine optimal zierliche Größe erreicht hatte, hatte quasi den genetischen Schlusspfiff überhört und war über die Jahre kaum merklich immer noch ein wenig gewachsen – wie die Hutbänder elsässischer Frauen über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg immer breiter geworden waren.
Jahrhunderte will ich der zierlichen Frau nicht andichten, wiewohl sie gewiss schon einige Jahrzehnte durchs Leben gestiefelt ist. Ich schätzte sie auf Anfang 50, was ihr vielleicht Unrecht tut und nur dem Wunschdenken entsprang, weil sie dann meinem Beuteschema entspricht. Das ist nämlich so: Nachdem ich mich nicht mehr mit für mich zu jungen Frauen abgeben will, wünsche ich einer jeden Frau, die mir gefällt, immer noch ein paar Jahr mehr an den Hals. Um ihren schlanken Hals schlang sich freilich was Besseres, nämlich ein feines Goldkettchen. Ihre Stimme, mit der sie nach blauen und gelben Säcken fragte, war angenehm hell, und würde ich sie am Telefon hören, würde ich mir eine zierliche junge Frau vorstellen. Aber nicht so zierlich wie sie war, denn um sich dieses Wunder artiger Proportion vorstellen zu können, muss man sie wenigstens einmal gesehen haben. Leider nahm sie überhaupt keine Notiz von mir. Sie ging, ohne sich nur einmal umzusehen. So bleibt mir nichts als ihr hinterher zu schreiben.
Hey, Jules, bei Dir ist noch Juno im Teestübchen 😉 VG Willi
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Danke für den Hinweis, lieber Willy, hatte noch keine Zeit das zu ändern.
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Ah, stimmt, Sommerpause 🙂 Ich dachte die Frau an der Kasse hätte Dich abgelenkt 😉
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Sie kommt wieder, keine Frage.
Spätestens wenn ihr die blauen und die gelben Säcke ausgegangen.
Vielleicht schon vorher … 🙂
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und ich dachte immer, sie muesste MINDESTENS einen roten Mantel besitzen.😉 sie kommt bestimmt wieder😉😉😉
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Du meinst wie die fiktive Gina Enport die Postbotin/Studentin der Ethnologie bzw. Visuellen Kommunikation aus den Papieren des PentAgrion 🙂 – Du kennst dich wirklich gut aus, liebe Ann.
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Ich mag Deine Texte sehr….besonders an diesem den letzten Satz, er wird mir in Erinnerung bleiben…..;-)
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„hinterherzuschreiben“…..
Das ist richtig schön.
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genau!! es sind manchmal die Kleinigkeiten, die den Unterschied machen…… Und uebrigens Jules der rote Mantel tauchte mindestens in zwei deiner Texte auf😃
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Vielen Dank euch beiden, freut mich sehr.
Und, liebe Ann, einmal ist’s der Jahreszeit gemäß, ein roter Bikini
http://trithemius.twoday.net/stories/die-papiere-des-pentagrion-22-von-den-socken/
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JA! Die Formulierung „hinterher zu schreiben“ hat mir auch besonders gut gefallen. Ich dachte schon während des Textes, ich habe selten einen Mann erlebt, der mit solch sehnsuchtsvoller Hochachtung eine Frau betrachtet, und diesen unaufdringlichen Blick auch noch in Worte fassen kann, die seiner Beschreibung eine mehr als sympathische Lebendigkeit verleihen.
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Wie hübsch Sie mich und meinen Text wieder gelobt haben, lieber Heinrich. Das macht Ihnen so schnell auch niemand nach. Vielen Dank!
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Wie schön, hier wieder von dir zu lesen, lieber Jules! Gerade heute hoffte ich, dass die Sommerpause nicht mehr allzu lange andauern wird.
Glaubt man den Statistiken, ist der Supermarkt der ideale Ort neue Bekanntschaften zu machen. Mit etwas Glück….. Ich hoffe wieder von der zierlichen Frau zu lesen.
Liebe Grüße
Mitzi
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Hallo Mitzi,
es fällt mir schwer, die Blogpause einzuhalten, vor allem, wenn man so lieb aufgefordert wird wie hier von dir. Andererseits habe ich die Pause vom Digitalen dringend nötig. Inzwischen schreibe wieder mit der Hand und habe wieder Ruhe zum Lesen; was mir alles im Tagesgeschäft des Bloggens verlorengegangen war. Vor allem ist’s eine kreative Pause. Dagegen fehlt mir der Austausch mit dir und den anderen schon ein bisschen. Deshalb wird die Pause sicher nicht mehr lange dauern, und schon morgen gibt es wieder eine Nachricht aus dem Off.
Lieben Gruß,
Jules
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Wenn es dir gut tut, lieber Jules, dann will ich nicht drängeln. Besonders nicht, weil ich es dir sehr gut nachfühlen kann. Vielleicht aus anderen Gründen, aber auch mir alles digitale im Moment zu viel und ich muss einen Gang runter schalten. Der Austausch läuft uns nicht weg – zumal ich noch immer etwas für dich hier liegen habe und nicht einmal einen banalen Gang zum Briefkasten schaffe.
Ich freue mich über die Nachricht aus dem Off und übe mich ansonsten in Geduld. Das offline Leben, will schließlich auch gelebt werden und im Gegensatz zu einem Blog läuft es uns viel leichter davon.
Liebe Grüße
Mitzi
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