Kaiserroute 3b – Ein glücklicher Abend

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3.Tag
Sonntag an der Ruhr
richtungspfeilWill man ein Hinweisschild gestalten, stehen ökonomische Zwänge, Funktionalität und Ästhetik in einem gewissen Gegensatz. Gute Gestaltung ist ein Ringen um Ausgleich. Eine in dieser Hinsicht schlechte grafische Lösung ist das Kaiserroutenschild. Die Richtungspfeile sind viel zu klein, die Pfeilform ist disfunktional, weil nicht prägnant genug. Eventuell war der Gestalter kein Radfahrer. Das entschuldigt ihn nicht. Richtungsangaben müssen Fernwirkung haben. Es ist lästig, wenn man die Pfeilrichtung erst aus wenigen Metern Entfernung eindeutig erkennen kann. Ich weiß nicht, wie viele zehntausend Menschen die Kaiserroute bereits gefahren sind. Man kann sich eine Unzahl von gefährlichen Situationen denken, die durch die fehlende Fernwirkung der Pfeile hervorgerufen wurden: Plötzliches Bremsen und plötzliche Richtungsänderungen, Auffahren und Ineinanderfahren bei Gruppen. Man stelle sich vor, auf der Autobahn gäbe es solche dezenten Hinweiszeichen. Dem Autoverkehr gegenüber ist man nicht so nachlässig. Ein Autofahrer muss sich auch nicht über ein Schild ärgern, das jeden Radfahrer nervt: „Radfahrer absteigen“ (Foto: Trithemius – zum Vergrößern bitte klicken)

Radfahrer absteigen

Dieses Schild macht mir Pickel. „Autofahrer aussteigen und schieben!“, da würde der ADAC aufheulen. Die freie Fahrt für freie Bürger wäre gefährdet, was noch schlimmer ist als ein Zentralvergehen gegen das Grundgesetz. Bin ich verdammt noch mal kein Bürger? Wieso ist die Straßenverkehrsordnung weiterhin eine Autoverkehrsordnung? Fahre ich etwa nur Rad zum Spaß? Sind meine Erledigungen per Fahrrad müßige Spielereien? Habe ich mein Recht auf körperliche Unversehrtheit verwirkt, wenn ich mich nicht mit Blech umgebe? Na gut, so schlecht war meine Laune nicht. Es begann zwar wieder zu regnen, doch indem wir unter einer Brücke warteten, fand Wim ein Zaubermittel. Er zog eine Regenhose über, und danach hat es keinen Tropfen mehr geregnet.

Du liebe Zeit, wie schön ist es an der Ruhr. Man mag es nicht glauben, denn das Wort „Ruhrgebiet““ hat einfach eine naturferne Konnotation. Die Ruhr vermag zu begeistern. Von Schwerte aufwärts ist sie besonders schön. Hier hat sie etwas Stilles, und sanft ist die Stimmung des Tales. Der Wassersport weicht dem Reitsport. Man sieht viele Reiterhöfe, Pferdekoppeln und hochnäsige junge Damen zu Pferd. Auch Herrenreiter schauten auf mich herab. Manche allerdings grüßten freundlich. Nicht jeder zu Pferd ist ein hochgefürsteter Prolet, dem unangemessener Reichtum die Sinne verwirrt hat.

Durch das Tal zieht sich auch die „Zabelroute“. Sie ist dem erfolgreichen Radsportler Eric Zabel gewidmet, der im nahen Fröndenberg eine zweite Heimat gefunden hat. Er stammt aus Berlin, doch hat mit sicherem Instinkt eine Gegend gewählt, in der er das leichte Rollen und harte Anstiege trainieren kann. Denn rechts in der Ferne drohen die Höhenzüge des Sauerlands. Es gibt ein Foto des Fremdenverkehrsvereins auf dem Kartenblatt der Kaiserroute. Es zeigt den fröhlich lächelnden Zabel inmitten von einfachen Radfahrern. Sie lachen natürlich ebenfalls, denn auf Fotos der Fremdenverkehrsvereine besteht Lachzwang.

Ich dagegen wurde langsam mürrisch. Es wurde Zeit, die Tagesetappe zu beenden. Zuerst mussten wir allerdings noch einmal aus dem Ruhrtal hinaus auf einen Höhenrücken. Man hat die Kaiserroute gewiss so gelegt, damit man das ferne Sauerland besser sehen kann. Karl der Große wird mit seinem Heeresbann unten im Tal entlang gezogen sein.
„Danke für die Aussicht. Es wäre jetzt nicht mehr nötig gewesen!“

Oben in einem nichtssagenden Ort lockte ein Hotel mit „Zimmer frei“. Drinnen eine mürrische Frau und ihr ebenso unerquicklicher Sohn. Man habe nichts frei, beschied man uns. Vielleicht weil wir insgesamt ein wenig mitgenommen wirkten? Der Hotelparkplatz jedenfalls war leer. Später befiel mich tiefe Dankbarkeit gegenüber dem heidnischen Pack. Denn wir fanden unten in Fröndenberg ein Hotel, das großes Lob verdient.

Wie kommt es nur, dass es Menschen gibt, die einem auf den ersten Blick sympathisch sind? Gut, die Wirtin des „Hotels Ruhrblick“ sah exakt aus wie die weibliche Ausführung meines Hausarztes. Ich muss ihn einmal fragen, woher er stammt. Jedenfalls mussten wir am Hoteleingang klingeln. Das hatten uns drei Radfahrer aus Winterberg gesagt, die uns zu Fuß entgegen kamen. „Die hat auch noch Zimmer!“, beruhigte uns die Frau unter ihnen.

Ich fuhr mit der Wirtin die Räder in den Hof, wo sie eine Garage aufschloss. Auf dem Hofpflaster sonnten sich drei Katzen. Ich versuchte eine schwarze zu locken.
„Es sind verwilderte Katzen“, sagte die Frau. „Sie laufen weg, wenn man sich ihnen nähert.“

Habe ich schon gesagt, dass sie etwas Zauberisches hatte? Sie führte uns zuerst ins geschlossene Restaurant, um uns die Schlüssel zu geben. Die Einrichtung war nicht direkt nach meinem Geschmack. Sie war jedoch äußerst geschmackvoll. Es herrschte eine gute Atmosphäre im Raum, und ohne, dass ich es wollte, entfuhr mir: „Schön haben Sie es hier!“
„Danke!“, sagte sie lächelnd.

Man verstehe mich recht: Es ging nicht um körperliche Attraktion. Diese Frau war eine Fröndenberger Ausführung von Frau Nettesheim. Deshalb suchten gewiss auch die wilden Katzen ihre Nähe. Wir hatten Zimmer 17 und 18. Wim ließ mich wählen, und ich nahm natürlich 17. Es war eine gute Wahl, denn ich hatte ein Doppelzimmer zum Preis eines Einzelzimmers. Auch hielt der Hotelname, was er versprach. Tatsächlich konnte ich hinunter auf die gemächlich dahinziehende Ruhr blicken. Welch ein glückliches Ende nahm dieser Tag! Gut, wir trübten ihn uns noch ein bisschen, irrten bei Abendkälte durch Fröndenberg, bis wir uns auf ein Lokal geeinigt hatten.

Wir saßen also bei einem Gelsenkirchener-Barock-Italiener. Man kann sich vorstellen wie das Lokal aussah. Über die Schulter von Wim sah ich auf eine Glasfläche, worin sich ein Fernsehprogramm spiegelte. Die italienische Familie guckte bei der Arbeit Berlusconi-Fernsehen. Entsprechend war der Charme dieser Leute. Auch die Pizza, die ich aß, hatte wenig Apartes. Sie sättigte sehr, obwohl man sie mit großem Kraftaufwand zersäbeln musste, wodurch ich einen Teil der Kraft schon wieder verbrauchte. Später lag sie mir dann wie ein Stein im Bauch.

Am Tisch gegenüber nahm ein junger, großer, wohlbeleibter Mann Platz. Er hatte ein hübsches, energisches Gesicht. Er kam im grünen Parka herein, setzte sich im Parka hin und verließ auch bald im Parka das Lokal. Zwischendurch aß er, was sich leichter schneiden ließ als meines. Oder war er deswegen in der Muckibude gewesen?

Jedenfalls blickte er stumm auf den Tisch, bevor sein Essen kam, und ebenso traurig schob er sich etwas in den Mund, ohne auch nur ein einziges Mal aufzublicken. Welch üble Sache mochte ihn getroffen haben? Er tat mir aufrichtig leid, denn die Nacht zum ersten Mai, die Freinacht, darf man doch nicht so trübsinnig beginnen. Wie soll denn dann der Rest des Jahres werden?

Da hatte ich es besser, denn ich schlief in dieser Nacht wie ein Prinz im Haus einer zauberischen Frau.
Sie hat schon zweimal den “Schlemmer und Schlummerpreis” bekommen. Ich weiß nicht, was das ist, hätte aber am nächsten Morgen gern ein „unterschrieben“ auf die Plakette gekritzelt.

Fortsetzung

11 Kommentare zu “Kaiserroute 3b – Ein glücklicher Abend

  1. Manchmal braucht es Glück um im richtigen Hotel zu landen. Und was ist schon eine zu harte Pizza im Vergleich zu einem guten Bett?
    Nicht lesbare Schilder sind ein schrecklich – function follows design oder wird ganz weggelassen, solange es hübsch anzusehen ist. Jahrelang war ich ohne Kontaktlinsen oder Brille unterwegs (nicht aus Eitelkeit, sondern weil ich dachte nur ein bisschen schlechter als normal zu sehen) und habe mich über winzige Hinweisschilder aufgeregt. Noch mehr über große Schilder, auf denen das Wesentliche klein war. Aber auch hier….man sieht darüber weg, wenn man als Prinz bei einer zauberischen Frau nächtigt ;).
    Na, dann….Endspurt, lieber Jules (mein Abstand wird immer größer…ich hänge noch am Sonntag)

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    • Du hast Recht. Leider wird „form follows function“ von unfähigen Gestaltern oft umgedreht. Das gibt es in allen Bereichen, Architektur, Design von Gebrauchsgegenständen, Grafikdesign. Bei Hinweisschildern ists manchmal gefährlich. Thema Brille: In einem Deutschbuch war passend zu einem Text ein Gemälde abgedruckt. Ich fragte im Unterricht, ob jemand wisse, wann das Gemälde entstanden ist. Sagte ein Schüler „1827“ Darauf ich erstaunt: „Woher weißt du das so genau?“ „Das steht doch drunter!“ Da wusste ich, dass ich eine Lesebrille brauchte, denn die winzige Unterzeile hatte ich übersehen. Inzwischen hast du mich wieder eingeholt, liebe Mitzi. Zum Glück enteilt ein Text ja nicht, und man muss sich nicht sputen, um wieder ans Hinterrad zu kommen.

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