Die Kaiserroute (2b) – Bei den wundersamen Chinesen

Vor ziemlich genau 10 Jahren fuhr ich mit meinem Freund Wim einen heute aufgegebenen und bald vergessenen Fernradweg, die Kaiserroute von Aachen nach Paderborn. Für die 480 Kilometer lange Strecke hatten wir vier Tage vorgesehen, was wir locker hätten schaffen können, wenn mein Trainingszustand besser gewesen wäre. Für einen solchen Weg wünscht man sich ein Wetter wie dieser Tage, aber so prächtig schien die Frühlingssonne nur bei unserem Aufbruch. Den Fahrtbericht habe ich ziemlich bald nach der Tour verfasst, so dass die Eindrücke noch frisch waren. Da ich nicht weiß, wie es um den Trainingszustand der Teestübchenbesucher und – besucherinnen bestellt ist, veröffentliche ich den Text in je zwei Tagesetappen und hoffe, dass wir Montag ans Ziel gelangen.

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2.Tag
Nachmittag und Abend

Natürlich regnete es bald wieder. In den Vororten von Essen bekam ich den Zweiten Atem. Ich bolzte Tempo, um Wim mein Missfallen zu zeigen. Eine Weile fuhr es sich leicht, denn ich wähnte unser Ziel vor Augen. Doch es gab nirgendwo eine Übernachtungsmöglichkeit, und man sagte uns, es sei am Besten, bis Hattingen zu fahren.

Als wir auf der Höhe des Baldeneysees ins Ruhrtal kamen, verröchelte mein Zweiter Atem. Ruhr und Regen waren eins. Das Ruhrtal ist weit und wirklich schön, doch ich war einfach zu platt, um die Schönheit dauerhaft zu würdigen. Wim hat einen Höhenmesser an der Armbanduhr, der jedoch am Luftdruck geeicht werden muss, damit er ordentliche Werte zeigt. Im Ruhrtal zeigte die Uhr 80 Meter unter dem Meeresspiegel an. Das entsprach zwar einerseits meiner Wahrnehmung, andererseits dachte ich, dass 80 Meter unter Null auch die zutreffende Beschreibung meiner Verfassung war.

Wim hat den langen Winter über im Fitnessstudio an seiner Kondition gearbeitet, ich dagegen habe am Rechner gesessen. Das rächte sich jetzt.

Das Ruhrtal scheint den Hang zum Sport enorm zu fördern. Auf dem Wasser Menschen in Booten und Kanus, die noch Lust hatten, uns durch den Regen zuzuwinken, auf dem Ruhrtalweg viele Jogger, von denen mich einige beeindruckten, weil sie trotz der Kälte mit nackten Beinen liefen. Überhaupt scheint der Ruhrgebietler recht wetterfest zu sein. Die auf unserem Weg herumstreunenden Hundebesitzer sind grundsätzlich barhäuptig gewesen.
Na, egal, wenn man einmal nass ist, tut zusätzlicher Regen auch nichts. Im Gegenteil, er massiert ja ein wenig den Kreislauf.

Wo zum Teufel ist Hattingen? Da, nach einer Flussbiegung tauchen die ersten Schilder auf. Wir verließen den Ruhrtalweg und rollten über nasses Kopfsteinpflaster ins Stadtzentrum. Da war ein ansehnlicher alter Hotelbau, wo Wim nach Zimmern fragte. Er kam mit der glücklichen Nachricht zurück, dass man uns zwei Einzelzimmer sogar billiger lassen würde.

Habe ich je so etwas wie eine Aura besessen, so war sie jetzt in jedem Fall vom Regen abgewaschen. Ich wollte eigentlich nur noch unter die heiße Dusche und dann in ein Bett kriechen. Leider muss der Bericht weiter gehen.

Das Hotel wurde geführt von sehr freundlichen, flinken Chinesen. Chinesen können sich offenbar sehr gut arrangieren. Sie hatten die Einrichtung der Restauranträume belassen, zum Beispiel ein schrecklich überladenes eichenes Monster einer Thekenlandschaft. Doch wo Platz gewesen war, hatten sie schier beliebigen chinesischen Kitsch platziert. Zum Glück war ich zu Beginn des Aufenthalts nur noch dankbar. Die Frau des Hoteliers war deutlich breiter und runder als er und trug stets lächelnd ein kleines Kind im linken Arm. Mit der freien Hand arbeitete sie.

Das Einzelzimmer habe ich zunächst kaum wahrgenommen. Es war eine lange schmale Hundehütte, und ich kroch einfach hinein. Doch schon beim Duschen überkam mich das große Staunen. Das perfekt geflieste Bad war derart eng und klein, dass man sich nur nach gezielter Überlegung drehen oder wenden konnte. Das war die große chinesische Improvisationskunst. Ich war sicher, dass die chinesische Wirtin, obschon dicker als ich, dieses Bad bis in den letzten Winkel putzen würde, und dabei hätte sie natürlich im linken Arm das kleine Kind. Ich jedoch eckte überall an und zwängte mich hinfort nur nach gründlicher Planung in dieses Bad. Auch hätte ich gerne den Installateur gesehen, der in dieser Enge alles sauber angebracht hatte. Diesem Mann hätte ich gern einmal die Hand geschüttelt.

Wir haben chinesisch gegessen, bekamen unsere Töpfchen und Näpfchen, als wir gerade erst fertig bestellt hatten. Ich war maulfaul, voller Demut, bzw. Dankbarkeit, dass die flinken Chinesen mir Nahrung gewährten.

Eine kleine Situation bevor ich in meine Hundehütte krieche, um wie tot zu schlafen:
Als wir unsere Essen bezahlen wollten, saß ein Einheimischer an der Theke. Er war angetrunken und redete wirres Zeug. Plötzlich stand er auf und sagte: „Sayonara!“
Ich dachte, hier stimmt was nicht. Bevor ich mich gedanklich gekramt hatte und gerade bei: „Japanisch“ angelangt war, sagte der Wirt lachend: „Aber wir sind Chinesen, keine Japaner!“
Donnerwetter, bei den flinken Chinesen ist es schwer mitzuhalten. Besonders, wenn man sich gerade wie 80 Meter unter dem Meeresspiegel fühlt. Morgen dann wieder fit.

Fortsetzung

16 Kommentare zu “Die Kaiserroute (2b) – Bei den wundersamen Chinesen

  1. Platt und erschöpft wird man so schön zufrieden und dankbar. Alleine schon deswegen sollte man sich öfter bis zur Grenze verausgaben – nur für den Moment wo einem fast alles egal ist und man für jede Kleinigkeit unendlich dankbar ist.
    Komme ich von einer Bergtour dann kann man mich in jede Kneipe setzen. Oder zu jedem Chinesen. Platt winke ich auch einer Winkekatze zufrieden lächelnd zurück.
    Morgen dann wieder fit. Das klingt gut, lieber Jules. Ich freue mich auf unsere letzte Etappe.

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    • Du kennst das Gefühl offenbar, liebe Mitzi. Man kann bei Bergwanderungen gewiss auch an seine Grenzen kommen. Ob es gesund ist, oft an seine Grenzen zu gehen, weiß ich nicht. Ich habs früher beim Radsport oft getan, bin aber heute zurückhaltender. Eine Winkekatze hatten die Chinesen übrigens noch nicht. Sie kam erst später auf. Mit den Etappen habe ich mich übrigens vertan. Es waren insgesamt nicht drei, sondern vier Tage. Darum erst morgen die letzten beiden. 😦

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      • Die Kunst, lieber Jules, liegt vielleicht darin an und nicht über seine Grenzen zu gehen. Von sportlichen Übertreibungen sollte man auf Dauer vermutlich absehen. Berge eignen sich gut für Grenzerfahrungen. Wetterumschwünge und der Wechsel von angenehm gerade aus zu steil nach oben wechseln sich ab und am Ende eine Belohnung (außer es ist Mistwetter – dann kommt die Belohnung erst unten).
        Schön, dass du dich verzählt hast – dann kannst du den letzten Satz des heutigen Kommentars streichen.

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        • Du hast völlig Recht, liebe Mitzi, aber oft war ich schon platt und hatte noch 50 Kilometer vor dem Bauch. Das kann ja auch bei einer Bergtour passieren, wenn ein Wetterumschwung plötzlich Kälte bringt und viel mehr Kraft zehrt als zuvor. Im Radsport ist der Hungerast gefürchtet. (Man begegnet dem Mann mit dem Hammer.) Wenn man sich nicht rechtzeitig verpflegt, bricht plötzlich alle Kraft und Motivation weg. Dann ist es unerlässlich, über seine Grenzen zu gehen.
          Gut dass du meinen Irrtum erfreut zur Kenntnis nimmst.

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  2. Pingback: Die Kaiserroute (2a) – Neandertaler lieben Gelsenkirchener Barock

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