Wortmischers Textduell! Mitzi versus Trithemius

Der kreative Kollege Wortmischer hat die geschätzte Mitzi Irsaj und mich zum Textduell aufgerufen. Dazu hat er ein Szenario vorgegeben und Regeln bedacht, wie hier nachzulesen.

2016-textduell-250Das Szenario (O-Ton Wortmischer):
Chemnitz, April 2016, früher Samstagabend, kurz vor sieben. Pascal (ca. 35, 172cm) betritt die Galerie Zirngiebel, nachdem er an der Tür seine persönliche Einladung zur Vernissage der ihm unbekannten, aber in der Presse als großes Talent angekündigten Künstlerin Moina Hillimer vorgezeigt hat. Im Eingangsbereich der großzügig angelegten Galerieräume stehen Tische mit reichlich Schnittchen und Sekt, im hinteren Bereich hängen großformatige Bilder. Es sind mehrere Personen anwesend, eine von ihnen ist mit Sicherheit Moina Hillimer. Die Galerie ist jedoch alles andere als überfüllt. Vor einem der Werke steht betrachtend Elli (ca. 40, 188cm). Hier mein Text, viel Vergnügen:

Hinter meinem Rücken wispern die beiden Schnepfen, die meine Einladung kontrolliert haben: „Das ist Pascal Ronnenberg, der exzentrische Kulturchef des Chemnitzer Blättchens.“ „Ein Wessi?“ „Natürlich!“
„Wie bitte, exzentrisch? Was soll das denn heißen?“, fauche ich über meine linke Schulter, indem ich die Galerie betrete. Na, dankeschön auch! Da knubbeln sich zwei Dutzend Leute vor den Schnittchen. Was nutzt eine Einladung auf 250 Gramm Elefantenhaut, auf der die gefeierte Berliner Künstlerin Moina Hillimer persönlich mit einem einzigen Schamhaar und einem Tropfen Menstruationsblut unterschrieben hat, wenn man nicht zu den Schnittchen durchkommt.

„Huhu! Pascal, mein Schatz!“ ruft Galeristin Olga Zirngiebel und winkt mir irr über die Köpfe der versammelten Kulturschranzen zu, „du musst unbedingt von den Canapés versuchen!“ Da steht Stadtrat Mönkemeier mit seinem dicken Hintern im Weg. Mein Gott, ein Gesäß wie der dicke Göring, Marke Paradearsch. Er soll aus den einfachsten Verhältnissen kommen. Hat sich vermutlich zu DDR-Zeiten bei den CDU-Blockflöten schon hochgeschlafen und macht hier auf dicke Hose. „Ich bin Kunstliebhaber mit Haut und Haaren!“, strunzt er gerade. „Finde ich nicht“, sage ich, indem ich mich zu den Schnittchen durchdränge, und deute auf seine Glatze: „Kunstliebhaber mit Haaren sehen nämlich anders aus. Schauen Sie mich an. ICH bin ein Kunstliebhaber mit Haaren!“
„Unverschämter Patron!“
„Ist nicht Ihre Schuld“, tröste ich ihn, „Leute aus Chemnitz sind eben geborene Glatzen. Kommen schon so auf die Welt, hehe!“
Ich stopfe mir zwei, drei, nein, vier, fünf Schnittchen rein, saufe ordentlich was von der Luxusbrause weg. Da stecken die Zirngiebel und die Hillimer die Köpfe zusammen und gucken schon ganz heischend. Ich muss mich langsam mal der Kunst widmen, aber wie verhindere ich, dass der gierige Pöbel mir die Schnittchen wegfrisst?
Alles belecktAh, gute Idee! Ich reiße der Einladung die Rückseite ab, zücke meinen sündteuren Kugelschreiber und kritzele auf die Elefantenhaut:
„Vorsicht! Alles vom Stadtrat schon beleckt!“
Die Warnung stelle ich sichtbar in die Canapés. Das sollte helfen.

Vor einem großformatigen Wandbild steht in Betrachtung versunken ein attraktives Weib.
Donnerwetter! Wortmischer hat nicht zuviel versprochen. Was für eine aparte Frau. Wird sicher nicht von hier sein, die Schnitte. Solche haben die in Chemnitz nicht. Jede einigermaßen ansehnliche Frau, die was im Kopf hat, ist längst weg und sitzt lieber im Westen bei Aldi an der Kasse. Kein Wunder, dass die Chemnitzer Glatzen den ganzen Tag saufen und wichsen. Gerade will ich die Schnitte ansprechen, da tritt Galeristin Olga Zirngibel an ihre Seite und sagt: „Ein aufrüttelndes Gemälde, nicht wahr? Es heißt: Nackte Hände am Hinterkopf des Bahnwärters
modart_pixabay(Bild: via Wortmischer)

„Was Sie nicht sagen“, entgegnet das aparte Weib in entzückendem bairischen Tonfall, dreht sich um, mustert mich mit einem Blick, der mir durch und durch geht und fährt fort: „Wissen Sie, was der englische Jazzpianist Milton Gregory sagte, als er nach einer Augenoperation zum ersten Mal das Licht der Welt erblickte?“
„Nü?“, sagt die Zirngiebel.
Die Schnitte so: „Er sagte: Alles ist genauso übel, wie ich es mir vorgestellt habe.’“
Was leckt da nasskalt an meinen Zehen? Ach so, vor Schreck ist mir das Shushi vom Teller gerutscht. Ich wäre besser doch nicht in Badelatschen und Jogginghose hergekommen.

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23 Kommentare zu “Wortmischers Textduell! Mitzi versus Trithemius

  1. Ein Sittenbild mit Schnitten in der Galerie Zirngiebel. Ich hoffe doch, dass wenigstens die Schnitten am Teller von der anständigen Sorte sind, also „Manner Schnitten“ sind, aus der Wiener Süßwarenfabrik Manner. Ganz nach deren Motto: Manner mag man eben.

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    • Kompliment! Dass hier Schnittchen korrespondieren mit dem Synonym Schniitte für attraktive Frau, das war mir beim Schreiben und beim Drüberlesen überhaupt nicht aufgefallen. Die Wiener Süßwarenfabrik Manner kenne ich Nordlicht nicht. Ich habs sowieso nicht mit Zuckerwaren.

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  2. Sehr gut gelungen. Es ist geradezu sensationell, wie sich hier der Kulturmacho bläht, und bei Mitzi das weiblich Feingeistige den Kontrapunkt setzt. (Ich hab es gerade schon drüben bei ihr geschrieben: Man könnte Eure Geschichten mischen und einen Kurzfilm daraus machen.)

    Vielen Dank fürs unerschrockene Mitmachen, für die gnadenlosen Peitschenhiebe in Richtung Chemnitz und die nackten Hände am Hinterkopf des Bahnwärters. Ach ja, es tut mir leid, dass Ihre Zehen nass geworden sind 😉

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    • Vielen Dank! Vor allem für die Idee, die Organisation, und die anregenden Vorgaben im Szenario. Bei solchen Vorlagen schreibt sich ein Text quasi von selbst. Ja, das weiblich Feingeistige ist meine Art nicht. Das hier Fehlende findet sich in Mitzis Text als schöne Ergänzung. Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht. Ich konnte lange nicht mehr so befreit losschreiben.
      Wie gehts weiter im Hause Wortmischer? Wird es eine Fortsetzung des von Ihnen erfundenen „Textduells“ geben?

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      • Wird es eine Fortsetzung des „Textduells“ geben? – Ganz gewiss sogar. Ich habe da schon ganz verschiedene Ideen, darunter auch solche, bei denen mehr als nur zwei Teilnehmer mitmachen können, so wie es ja angeregt wurde. Aber eine kleine Verschnaufpause wird es sicher geben.

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  3. Super gemacht, Jules……Pascal, eine bukowskische Figur 😉 und der Feingeist Ellie…zwei Welten prallten aufeinander…..es war ein Vergnuegen, auch Deinen Text zu lesen…. das war zu dem ein ausgezeichnetes Konzept 😉

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      • Trotzdem glaube ich in zwischen, Deinen Schreibstil unter 100 verschiedenen herauslesen zu koennen;-) man (ich) spuert, dass es Dir Spass gemacht hat, auch wenn die ganze Sache unter Cycling Druck stand;-) Liebe Gruesse, Ann

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  4. Mein Lieber, es war mir ein großes Vergnügen, endlich Pascal kennen lernen zu dürfen. Was für ein unerträglicher, herrlicher Kampfhahn.
    Das was bei mir fehlt, darf ich hier lesen. Ich machte heute um zwei Uhr meine Kollegen wahnsinnig als ich ihre Büros stürmte und sie mit „habt ihr anständiges Netz? Ich MUSS was lesen!“ nervte.
    Um in deinem Bild zu bleiben, es war ein schöner Tanz, den ich mit dir auf das Parkett legen durfte.

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    • Ich habe mir schon gedacht, dass der 14-Uhr-Termin für dich sehr ungünstig liegt, weil du dann arbeitest. Dass du zudem mit Netzproblemen zu tun hattest, macht es noch schwieriger. Trotz der ungünstigen Begleitumstände hat ja alles wunderbar geklappt. Es war mir eine Freude, mit dir ein literarisches blinddate zu haben, liebe Mitzi.

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  5. Mir drängt sich die peinlich banale Frage auf, ob Schnittchen wohl das sind, was man bei mir zuhause „Brötchen“ nennt. Wobei diese „Brötchen“ wiederum etwas völlig anderes sind, als das, was bei euch da oben „Brötchen“ sind. Die heißen bei uns „Semmeln“.
    Abgesehen davon, gefallen mir die Texte sehr gut, sehr plastische Figuren habt ihr da beschrieben 🙂

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    • Mit Schnittchen sind hier Canapés gemeint. Heißen die bei Ihnen belegte Brötchen? Wo ist das etwa? „Semmeln“ lässt mich auf den bairischen Sprachraum tippen.

      Vielen Dank für das Lob. Ein Teil gebührt dem Kollegen Wortmischer, der sich das literarische Spiel und die Rahmenbedingungen ausgedacht hat.

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      • Ich bin aus Wien, da heißen die Dinger „Brötchen“, Canapés sind dann die mit den mehreren Etagen und einem Spießchen in der Mitte 🙂
        Ach, ist dieses literarische Spiel kein einmaliges Ereignis ? Kann ich mich auf einen nächsten Durchgang freuen ?

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  6. WAS machen die Chemnitzer den ganzen Tag?! (- kann man da einfach so hinziehen, oder muß man sich bewerben?)

    Sehr schönes Experiment, auch das Lesen hat Spaß gemacht.

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    • Hauptsächlich wichsen, hörte ich. Aber ernsthaft: Hinziehen wird leicht sein: Leerstandsquote bei Wohnungen: 13,7 Prozent, freie Wohnungen: 20.621 (Stand 2013)
      Freut mich, dass nicht nur das Schreiben, sondern auch das Lesen Spaß gemacht hat.

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  7. Pingback: Das Textduell | Wortmischer

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