Nützliches und Unterhaltsames vom Radfahren

radfahrenEnglands erster und berühmtester Lexikograph, Dr. Samuel Johnson (1709-1784) hatte für mit Muskelkraft bewegte Fahrzeuge nur Spott übrig. Sein Einwand gegen einen Vorläufer des Fahrrads, einen Wagen, bei dem der Fahrer mittels Kurbel eine Antriebsfeder spannen musste, klingt zunächst plausibel: „Damit wäre wohl erreicht, dass einer die Wahl hat, ob er nur sich selber fortbewegen will oder sich selber und noch einen Wagen dazu.” (James Boswell; Dr. Samuel Johnson – Leben und Meinungen)
(Zeichnung: Trithemius)

Dr. Johnson, „Der schwer gelehrte Bär“, wie Lichtenberg ihn nannte, starb ein Jahr, bevor im Jahr 1785 ein gewisser Karl Friederich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn geboren wurde. Dieser Mann wagte sich im Jahr 1817 mit einer Art Holzbock auf zwei Rädern in die Öffentlichkeit. Auf der 15 Kilometer langen Jungfernfahrt von Mannheim bis zum Schwetziger Relais und zurück fuhr er immerhin ein Stundenmittel von 14,8 Kilometern. Seine Zeitgenossen hielten es aber mit der kauzigen Logik des Dr. Johnson und zeigten dem Erfinder einen Vogel.

Erst als 1861 das Tretkurbelfahrrad herauskam, erfunden vom Franzosen Ernest Michaux, erkannte man, dass ein derartiges Fahrzeug nicht zusätzlicher Ballast ist, sondern eine effektive Kraftausnutzung ermöglicht. Bald stiegen die Leichtsinnigen und Todesmutigen aufs Fahrrad und berauschten sich an der bis dahin ungeahnten Geschwindigkeit von 25 km/h, allein durch Muskelkraft erwirkt. Am 22. Oktober 1871 fanden sich in Deventer (Holland) die Enthusiasten zur ersten Radfahrervereinigung zusammen. Sie trug den schönen programmatischen Namen „vélocipèdeclub Immer Weiter“ (und existiert noch heute).


Frau fahrradAuch und besonders Frauen waren von der neuen Fortbewegungsmethode des Radfahrens begeistert. Nie zuvor waren sie beim Reisen so unabhängig gewesen. Im Jahr 1896 wurde die US-Frauenrechtlerin Susan B. Anthony in einem Interview mit der „New York World“ auf das Radfahren angesprochen. Sie sagte: „Ich denke, es hat mehr für die Emanzipation der Frau getan als irgendetwas anderes auf der Welt. Ich stehe da und freue mich jedes mal, wenn ich eine Frau auf einem Fahrrad sehe. Es gibt Frauen ein Gefühl von Freiheit und Selbstvertrauen.“ Für die niederländische Frauenrechtlerin und Ärztin Aletta Jacobs (1854- 1929) war die Radfahrerin „die new woman – die Frau, die geistig und körperlich ihre Kräfte trainiert hat – [und die] durchs Leben mit viel mehr Genuss und Leichtigkeit durchrollt.“

Weil die schweren Röcke der damaligen Mode beim Radfahren hinderlich waren, verzichteten viele Frauen auf den Unterrock. Radelte dann die Frau fröhlich daher und wehte ihr der Fahrtwind vorwitzig unter den Rock, wurden die Herren am Wegesrand blind. Deshalb gab es Röcke, in deren Saum Bleikugeln eingenäht waren wie man es auch von Gardinen kennt.

Im Jahr 1882 wurde der Radrennklassiker Lüttich- Bastogne -Lüttich erstmals ausgetragen, gefolgt 1886 vom Radrennen Paris-Roubaix. Es leuchtet ein, dass es eine reine Männerangelegenheit war, wenn Frauen noch ein paar Kilo Blei mitschleppen mussten.

„Heutzutage geht es überall auf den Dörfern ruhig zu. Wenn früher die Tour de France vorbeikam, stürmten die Bauern aus den Häusern und schlugen mit Knüppeln auf die Fahrer ein, weil die Kühe danach tagelang weniger Milch gaben.“ (Jan Nelissen von Studio Sport auf NL 3)

DornröschenbrückeWenn ein Radfahrer schneller als 30km/h fährt, gehen 80 Prozent des Kraftaufwands in die Überwindung des Luftwiderstands. Darum ist das Fahren am Hinterrad eines anderen Fahrers kräftesparend. Wer ständig als Profiteur im Windschatten fährt, ohne sich selbst einmal an der Führungsarbeit zu beteiligen, wird „Hinterradlutscher“ geschimpft.

Die komischste Radfahrer-Geschichte ist „Three men on the Bummel“ (dt. Drei Männer auf einem Bummel) von Jerome K. Jerome.

In Belgien wurde kürzlich die Querfeldein-Radsportlerin Femke Van Den Driessche lebenslang von der Union Cycliste Internationale  (UCI ) gesperrt, weil man in ihrer Ersatzmaschine einen im Rahmen versteckten Elektromotor entdeckt hatte. Über diese neuartige Form des mechanischen Dopings wurde schon längere Zeit gemunkelt. Unter anderem wird der erfolgreiche Schweizer Radsportler Fabian Cancellara verdächtigt, die Flandern-Rundfahrt mit Hilfe eines Motörchens gewonnen zu haben. Derlei Elektromotoren bieten einen Kraftgewinn von etwa 120 Watt. Zur Funktion:

Am heutigen Samstag wird das Radrennen Mailand–Sanremo ausgetragen. Das in Italien auch La Primavera (Frühling) genannte Radrennen ist mit über 290 Kilometern das längste klassische Eintagesrennen im Radsport. Es gehört zu den fünf sogenannten Monumenten des Radsports. Die Entscheidungen fallen fast immer erst an mehreren kurzen Anstiegen kurz vor Ende der Strecke. Darunter vor allem die Steigung nach Cipressa (etwa 20 Kilometer vor dem Ziel auf 240 Meter Höhe gelegen) und der Anstieg nach Poggio di Sanremo (rund sechs Kilometer vor dem Ziel auf 162 Meter Höhe gelegen). Edit 17:05: Sieger 2016 im Sprint  der Franzose Arnaud Démare (FDJ) vor dem Briten Ben Swift und dem Belgier Jürgen Roelandts.

Raddiebstahl
Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 339.760 Fahrraddiebstähle gezählt, in Österreich dagegen nur 28.274. Im Bild: Fahrraddiebstahl auf Raten (Foto: Trithemius). Um einen Lampendiebstahl geht es in diesem leidvollen Erfahrungsbericht.

1967 warb Hulstkamp Korn mit dem Claim: „Hilft dem Vater auf das Fahrad“ Die Plakate erregten viel Aufmerksamkeit, kaum wegen der Zweideutigkeit des Versprechens, sondern hauptsächlich, weil in „Fahrad“ ein r fehlte.

Die Lokalredaktionen der Schmockpresse sind vermutlich die letzten Reservate für die altväterlichen Synonyme Stahlross, Drahtesel, Pedalritter und Pedaltreter. Den Volontären bringt man die hohe Schule des Stahlross-Drahtesel-Pedalritter-Pedaltreter-Einsatzes bei, dass nämlich ein Pedalritter niemals auf einem Drahtesel zu sitzen hat, sondern angemessen auf einem Stahlross. Erst recht darf nicht ein Stahlross auf einem Pedaltreter sitzen und oder umgekehrt, es darf nämlich kein Pedaltreter ein Ross treten, sondern nur einen Esel.

26 Kommentare zu “Nützliches und Unterhaltsames vom Radfahren

  1. Lieber Jules,
    ein hervorragender Artikel! Sie können das sehr gut!
    Dieses Bild von der Fahrradleiche am Straßenrand, da dreht sich immer mein Fahrradherz im Leibe um. Dem Horst Lichter fällt dazu auch nichts ein – Augen – Ohren – Mund zu.
    Wenigstens singen die Gregorians ein schönes Lied zum Abschied.
    Wenn ich mehr Ordnung in meinem Saustall hätte, hätte ich auch noch ein schönes Fahrradfoto beitragen können – vielleicht finde ich es ja noch?!
    Gruß Heinrich

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    • Vielen Dank, lieber Heinrich!
      Der Anreger für diesen Text sind Sie mit Ihrem Beitrag von gestern (oben verlinkt). Und weil der Frühling naht und ich mich auf die Übetragung von „La Primavera“ freue, dachte ich, meiner Begeisterung für die elegante Fortbewegungsart Radfahren auch ein kleines Denkmal zu setzen. Sie haben gewiss noch ein hübsches Fahrradfoto zur Ergänzung.

      Dieses Horst-Lichter-Plakat nervt mich schon länger, zumal der Kerl auch noch in meiner ehemaligen Stammkneipe sein erstes Restaurant hatte.

      Rad- und Speichenbruch,
      Jules

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  2. sehr guter Beitrag, Jules…..mich fasziniert, dass Radfahrer so gigantische Herzen haben….und das eintoenige Training wuerde mich total nerven;-) PS: emanzipiert habe ich mich weder auf einem Fahrrad noch Auto je gefuehlt 😉

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    • Dankeschön, Ann! Radsporttraining kann süchtig machen, und weil man viel sieht von der Gegend, ist es selten eintönig.
      P.S.: Du bist auch eine moderne Frau, aber im 19. Jahrhundert hättest du die Befreiung durch das Fahrrad gewiss genossen.

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  3. Die vielen Blinden! 😉 Respekt vor den radelnden Helden die Anfang des 20. Jhd. die Tour de France bestritten, mit 2 oder 3 Gängen, wobei erst abgestiegen werden musste, um die Kette von Hand auf das nächste Ritzel zu legen. Ohne Support-Tross der sich um alles an Material, Verpflegung und Fahrer kümmert, Reparaturen waren Sache des Fahrers usw.. Und viel weiter gefahren sind die auch noch, auf „Straßen“, für die man heute vollgefederte Downhillmaschinen bräuchte . 😛

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    • Das waren noch andere Zeiten, als Eugène Christophe während der Tour de France 1913 bei der Abfahrt vom Col du Tourmalet einen Gabelbruch erlitt und zwei Stunden verlor, weil er 14 Kilometer zur nächsten Schmiede laufen musste, wo er die Reparatur selbst durchführte, aber noch eine Strafminute bekam, weil ein Junge den Blasebalg bedient hatte. Aber ich wollte es nicht mehr so, zumal die Berichterstattung rudimentär war. Im Sport gibt es eben Entwicklung wie in allen Lebensbereichen.

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    • Es wurde auch vermutet, dass die Fehlschreibung auf dem Plakat ein Versehen war und man es so gelassen hat, weils soviel Aufmerksamkeit erregte. Der Fehler als Augennagel. Dir wurde es rot angestrichen, andere verdienten damit Geld. So ungerecht gehts zu. 😉

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      • Das rot angestrichen werden war gar nicht mal das Schlimmste. Ich saß jedesmal von neuem davor und musste überlegen, obwohl ich als Vielleserin alles andere intuitiv richtig geschrieben habe. Das darüber nachdenken müssen nervte mich, so dass es mir heut noch in der Erinnerung hängt. 😉

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  4. Neuerdings gibts die, die sich mit dem Fahrrad ein Bier er-radln. Für eine Viertelstunde (oder halbe Stunde?) am Fahrrad, das an einen Stromerzeuger angeschlossen, gibts dafür ein Bier als Lohn.
    Ich hab auch schon gelesen: „Durch eine Stunde auf dem Elektrizität generierenden Ergometer soll sich die Grundversorgung eines Haushalts für einen ganzen Tag sichern lassen. Die Pedale der stromerzeugenden Standfahrräder werden in einer liegenden Position bedient, eine Batterie speichert die Energie und gibt sie bei Bedarf wieder ab.“

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    • Das war längst überfällig, all die ungenutzte Energie, die auf Fahrradergometern erzeugt wird. Als ich vor fünf Jahren in Kur war und täglich mit zehn anderen auf dem Ergometer strampeln musste, habe ich mich schon gewundert, dass die Energie nicht abgegriffen wird, um wenigstens ein paar Räume zu beleuchten. In Rotterdam gibt es die erste Ökodisco, wo man die Schwingungen der Tanzfläche in Strom umwandelt.

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  5. Das ist wirklich sehr auffällig, wie der Cancellara da plötzlich abzischt. Es wundert mich immer, wenn Sportler betrügen – selbst, wenn sie nicht erwischt werden, wie rechtfertigen sie das nur vor sich selbst, daß der Sieg ein erschwindelter ist? Da haben sie dann alle möglichen Pokale zu Hause auf dem Schrank stehen und wissen selbst ganz genau, daß kein einziger davon gerechtfertigt ist, das muß doch ein elendes Leben sein, was sie weiterhin führen. Was erzählen die ihren Enkeln? „Ha ha! – schaut mal, da habe ich sie alle betrogen und keiner hat’s gemerkt!“ Na toll.

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    • Natürlich ist nicht bewiesen, dass Cancellara betrogen hat, weil man vor Jahren noch nicht nach mechanischem Doping gesucht hat. Erst kürzlich meldete die Uni Löwen stolz, man habe jetzt eine Methode gefunden, Rennmaschinen auf verborgene E-Motoren zu untersuchen, nämlich indem man die Abwärme dieser Geräte misst. Zu deinen Überlegungen: Der des Dopings überführte Jan Ulrich hat ja immer beteuert, er habe „nicht betrogen“, womit er meinte, dass ja alle Fahrer in der Leistungsspitze gedopt haben, so dass man die ja nicht betrügen könne. Doch mit Motor zu gewinnen, stelle ich mir schal vor. Andererseits, Ruhm und Geld erlangt man trotzdem. Nachträglich ist nichts zu beweisen, und ein Gesundheitsrisiko ist mechanisches Doping auch nicht.

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  6. Deventer als Ort der ersten Radfahrervereinigung? Na gut, Holland bot sich natürlich an. Zum Thema Fahrrad: Du erinnerst dich bestimmt noch an den sechziger oder siebziger Jahre Spruch: Radfahrer aller Länder, vereinigt euch! Ihr hab nichts zu verlieren als eure Ketten.

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      • Das Vereinslied von Immer Weiter, das Wielruiterslied:

        Voort in ’t zadel kameraden! Op je plaats! De rit vangt aan. Lanterfanten, Aardigraden Wijkt ter zijde van de baan.
        Ein, zwie, drei! Und immer weiter, Frisch drauf los, die Welt hinein Jugendkraft macht wackre Reiter Jugendlust berauscht wie Wein!
        Aux soucis sublime remède! Que d’aller sortir du nid, Comme l’oiseau vélocipède, En joyeuse compagnie.
        Making many a trip together, We will harden brains and bones, Caring not for chilly weather, Longer not for hotter zones.
        Beeft vrij, onbereden leken! Ziet ge ons rennen als de struis, Beenen kan men altijd breken, Zelfs bij moeder pappot thuis.
        Spierenoefenig, longenprikkling, Bloedverversching – daarop uit, Heet ons streven: krachtontwikk’ling, En ons wachtwoord: ‘Steeds vooruit!’

        Das „Immer weiter“ ist, nehme ich jedenfalls an, schlicht der Mode geschuldet, Deutsch war bis zum WKII in den Niederlanden eine hoch angesehene Sprache, die auch als erste Fremdsprache unterrichtet wurde. Deutschland war Vorbild in mancherlei Hinsicht.

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        • Vielen Dank für die umfassende Antwort, lieber Manfred. Das Vereinslied spiegelt die erwachte Begeisterung fürs Fietsen und für die Körperertüchtigung. Deutsch als hochangesehene Sprache und Deutschland als Vorbild. Schade, dass die schlimmen Erfahrungen zweier Angriffskriege und zweimaliger Besatzung die gute Nachbarschaft zunichte gemacht haben.

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  7. Pingback: Coole Blogbeiträge #12 - Wo bleibt der Lenz?

  8. Hihihi,
    mein erster Gedanke beim Lesen: Wolf Albach-Retty, Heinz Erhard und Hans-Joachim Kulenkampf
    „Mit dem Rad, mit dem Rad, mit dem Rad Kamerad, mit dem Rad Kamerad, fahr’n wir hinaus ….“

    Was für ein feiner Artikel!

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    • „Immer diese Radfahrer“ habe ich kürzlich noch im TV gesehen. Das erinnerte mich stark an die eigenen Radtouren, die ich mit 16 (zum Titisee), 17 (zum Bodensee) und 18 (nach Texel) gemacht habe. Damals war die Welt auch noch schwarzweiß 😉

      Ich danke recht artig, liebe Juleika!

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