Inmitten trüber Gedanken befiel mich heute die Einsicht, dass ich in diesem Hannover gestrandet bin wie auf einem Planeten fern der Heimat. Da war ich schon auf dem Weg zum Getränkemarkt, um ein wenig flüssige Heimat zu holen. Wie zur Bestätigung dieser düsteren These tauchte da aus dem diesigen Grau dieses Nachmittags ein Schild auf. Was hat da wohl auf der Tafel gestanden, wo gewischt und korrigiert worden ist? Es muss ein kurzes Wort gewesen sein. Stand da etwa „Das letzte Getränkesortiment der Galaxis!“ adäquat zu „letzte Tankstelle vor der Autobahn“ oder „Das Reste-Getränkesortiment der Galaxis?“
Jedenfalls nehme ich die Tafel als galaktischen Fingerzeig, dass ich mit meiner Eingangsvermutung nicht so falsch liege. Wer im 18. Jahrhundert nach einem Schiffsunglück an einer englischen Küste strandete, den steckten die Ureinwohner meistens ins Irrenhaus, wo er mit kalten Wassergüssen traktiert wurde, bis jemand merkte, dass das vermeintlich irrsinnige Gestammel des armen Opfers eine fremde Sprache war. Hab ich mal gelesen oder habs mir ausgedacht. Jedenfalls weiß ich es und bin vorgewarnt.
Im galaktischen Getränkemarkt wurde ich eben mit dem mir fremdländisch klingenden „Ciao!“ verabschiedet. Gestern hörte ich das auch schon. Da kam der emsige Bildzeitungsleser in den Biosupermarkt, als ich gerade meinen leeren Suppenteller wegbrachte, und fragte, ob mein Platz jetzt frei würde. Ich musste noch meinen Rucksack holen – da saß er schon da, in seine Dreckspostille vertieft und holte sich die tägliche Rate Hirnerweichung. Ich sagte „Tschüss!“ und er rief ebenfalls „Ciao!“
Ich dachte, so verabschieden sich außer den Leuten in Italien nur Club Mate schlürfende Hipster oder die Prosecco saufenden Mitglieder der Toskanafraktion. Wieder was gelernt! Man kann in Hannover-Linden also täglich das Fachblatt für Dixiklos und Bauwagen studieren wie die Offenbarung und zum Abschied ganz weltmännisch „Ciao!“ rufen. Da komme ich mir mit meinem rheinländischen „Tschüss“ glatt ein bisschen simpel vor, obwohls ja eigentlich eine Form von französisch „adieu“ ist, allerdings verschliffen und nicht so fein.
Gestern saßen der Bildzeitungsleser und ich sogar notgedrungen an einem Tisch. Ich beeilte mich wegzukommen und sagte: „Tschüss!“ Er kontert „Ciao!“ „Dat säht mer nit!“, denkt der Kölsche in mir. Auf diesem Planeten ist alles komplett durcheinander. Die Bildzeitung lesen und „Ciao!“ rufen ist wie Latte macciato aus dem Pisspott saufen oder Prosecco pinkeln trotz Prostatakarzinom.
Vielleicht sagt er ja Tschau.
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Klingt das nicht genau gleich?
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Das schon, aber es macht doch einen Unterschied. Es passte besser zur Bildzeitung.
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Gut. Dann werde ich nächstens sagen: „Buchstabieren Sie mal!“
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…und dann hast Du den Hochstapler erwischt!
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Ich bin zwar nur zugezogener Rheinländer, aber „tschüs“ habe ich hier noch keinen sagen hören. Die sagen hier „tschö“ oder so was ähnliches.
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Guckstu hier: http://www.koelsch-woerterbuch.de/tschuess-auf-deutsch-1400.html
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Gewiss. Gleichwohl habe ich es in Köln / Bonn noch nie gehört.
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Ich komme aus der Gegend und es ist mir seit meiner Kindheit geläufig. „Tschö“ kenne ich freilich auch.
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„Prosecco pinkeln trotz Prostatakarzinom“ ist vielleicht der allerletzte Spaß im Leben, bevor man schließlich das lang und oft geübte, finale „Ciao“ ausstößt. Man weiß ja nicht, was die Leut‘ so alles antreibt ;-þ
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Ist das Prostatakarzinom letal? Dann sei dem Betroffenen alles erlaubt
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ich denke, es ist eine Alterssache……die Jungen sagen Ciao…er sagte ein paar Mal Tschüss, weil ich es ihm beigebracht hatte und er traf auf Unverständnis;-) haben wir erst vor ein paar Wochen diskutiert!!
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Wer traf wo auf Unverständnis? „Ciao“ ist dann von deinen „Jungen“ recycelt. Es kam in den Endsiebzigern in Mode, als es in gewissen Kreisen chick wurde, Kurzurlaub oder Selbsterfahrungsseminare n der Toskana zu machen oder zum Essen zum Italiener zu gehen.
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Mein Sohn, der nicht in Deutschland aufgewachsen ist und Tschüss sagte und er meinte, man schaue ihn komisch an…..man sage eher…..man sieht sich oder so 😉
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Hier im äußersten Südwesten, im Dreiländereck Deutschland – Frankreich – Schweiz, sagt man sowohl Ciao als auch adieu – Betonung auf der ersten Silbe. Das hat überhaupt nichts mit einer Modeerscheinung zu tun, sondern wurde auch bereits von den Groß- und Urgroßeltern gebraucht.
Je nachdem, ob sie eher in der Nähe der Schweizer Grenze aufgewachsen waren oder Duktus der französischen Nachbarn und Besatzer aufnahmen.
Ciao dient hier ebenso auch der Begrüßung. Die französische Variante heißt „Salü“, auch auf der ersten Silbe betont.
Ein Überbleibsel gibt es auch aus der Österreichischen Herrschaft, die man hier auch genießen durfte – allein unser Ort war Manövriermasse und wurde von 13 verschiedenen Herrschern besessen.
Daraus ergab sich die gleichwertig neben den o.g. Grußformeln zusätzlich die Variante „servus“ als Begrüßung und Verabschiedung.
Wer also hierzulande mit Ciao, Salü oder Servus begrüßt oder verabschiedet wird, muss sich keine Gedanken machen, welcher Trend gerade vorherrscht. Das gehört so.
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Danke für die ergänzende Information. Wenn „Ciao! in deiner Heimat so gehört, ist’s gewiss etwas anderes. Im Norden und Westen ist es nicht geläufig, sondern gehört zu einem bestimmten Soziolekt, den ich polemisch einzugrenzen versucht habe. „Ciao“ tauchte hier in den 70ern auf, als man in bestimmten Kreisen der akademischen Mittelschicht begann, „zum Italiener“ zu gehen und „Latte macciato“ zu trinken und in die Toskana zu Selbsterfahrungswochenenden fuhr. Da wurde „Ciao!“ zum sprachlichen Erkennungsmerkmal und kennzeichnete die Zugehörigkeit zur oben beschriebenen Schicht.
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In München müssen wir ab und an „Ciao“ rufen. Sonst würde man uns ja nicht abnehmen, dass wir die nördlichste Stadt Italiens sind. Sind wir natürlich nicht, wissen es auch und rufen trotzdem Ciao. Bei deinem Bildzeitungsleser ist die Grußfloskel wohl das kleinste Problem. Mitarbeiter des Blattes sagen das in der Redaktion bestimmt auch. Das und ganz anderes. Ihre unsäglichen Wortspiele in den Überschriften färben sicher auf die Wortwahl ab.
In vielen Gegenden sagt man Ciao nur wenn es recht salopp rüber kommen darf. Das „Hallo“ heißt dort Salve. Für mich ein Wort das mich Überwindung gekostet hat. Ich verband es wochenlang mit Asterix und Obelix und brachte es nicht über die Lippen.
Wenn es dir egal ist, was der Bild-Leser von dir hält, könntest du das einmal erwidern. Er würde sicher mehr als irritiert schauen.
Liebe Grüße
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Ich hatte dich schon vermisst, liebe Mitzi. Schließlich bist du ja die Italienisch-Expertin. Dass ihr in der nördlichsten Stadt Italiens „Ciao!“ sagt, ist nachvollziehbar und zu erwarten. Aber mich hats in den hohen Norden Deutschlands verschlagen. Da gehört „Ciao“ einfach nicht hin. Danke für den Tipp, aber ich weiß nicht, ob ich „Salve!“ über die Lippen bringe. Ich wills wenigstens mal versuchen.
Liebe Grüße und Salve,
Jules
Als ich am Starnberger See gekurt habe, da habe ich mich sogar an „servus!“ versucht.
http://trithemius.de/2012/08/11/sie-haben-post-vom-starnberger-see/
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Die letzten beiden Tage kam endlich der Frühling. Im Wettstreit zwischen „Blick auf See, Sonne und Wald“ und „in den Rechner blicken“ hat die Natur gewonnen und ich habe eine online Pause eingelegt.
Herrlich, dein Erlebnisbericht über die Eingeborenen am Starnberger See. Weniger natürlich der Grund der Reise. Viele der Grußfloskeln sind wohl auch der Gewohnheit geschuldet. Obwohl ich in München bayrisch spreche und es gängig ist, nutze ich Servus selten.
Dir rufe ich es heute trotzdem zu.
Servus, lieber Jules. Und eine gute Nacht.
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Beneidenswert, aber gut so. Hier lässt der Frühling noch auf sich warten. Bei meinem letzten Münchenbesuch im Jahr 2013 brach auch urplötzlich der Frühling aus. Wir saßen am Flaucher in der Sonne. Das war seltsam, denn obschon die Sonne warm schien, war noch nichts grün, und die vielen Kiesel im Flussbett und am Ufer gaben den Eindruck einer Mondlandschaft – mit Fluss. Trotzdem denke ich gern an die Zeit zurück, auch an den Sommer zuvor am Starnberger See.
Aus deinem Mund klingt bayrisch gewiss wunderbar warm, und so habe ich mir vorgestellt, dein „Servus“ zu hören,
Guten Morgen, meine Liebe, und schönen Sonntag!
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Der Flaucher ist der Spielplatz meiner Kindheit. Fünf Minuten mit dem Rad entfernt, bin ich aufgewachsen. Obwohl er im Sommer hoffnungslos überlaufen ist, bin ich noch immer sehr gerne dort auf den Kieseln.
Auch dir, lieber Jules, einen schönen Sonntag und Frühlingsanfang. Früher oder später wird er auch in Hannover ankommen.
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Wir Österreicher haben noch was exotischeres drauf. Nicht das herzig-älplerische „Pfiati“ (Abschieds-Gegenstück zu „Griaß di“ –> Pluralformen folgerichtig „Pfiat Eich“ und „Griaß Eich“), sondern das Hubba-Bubba-weiche „Baba“, wobei das zweite „a“ betont bzw. ein bissl wie Strudelteig ausgezogen wird, also „Babaaa“. Weiß der Geier, woher das kommt. Vielleicht vom Kernöl.
Liebe Grüße und Babaa, Andrea
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Da tun sich ja Abgründe der Grußmoden auf, liebe Andrea. Dankeschön für die Information über diese kulturelle Besonderheit. Zur Bedeutung von Baba guckstu hier: https://de.wiktionary.org/wiki/baba
Liebe Grüße an den Herrn Papa,
Jules
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Danke vielmals für’s Recherchieren! Was Grausliches kenne ich dann doch auch nur als gaga, nicht als baba. Wobei, vielleicht ist Baba-gehen manchmal auch „schiach“. Der Herr Papa grüßt lieb zurück und lässt sich das Kernöl schmecken.
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Bei einem Telefongespräch mit meinem Chef weiß ich, dass das Gespräch beendet ist, wenn er ‚Ade Ade‘ gesagt hat. Er ist Ende 80 und in Aachen aufgewachsen.
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Danke für den Hinweis. Ich bin ja kein Aachener, kenne das aber ein bisschen anders, wie Willli Hermanns in “Aachener Sprachschatz” verzeichnet: “adϊe” – mit Trema über dem i.
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