Wie ich heute den Lauf der Welt verändert habe

Da wird jetzt mancher sagen, pah, das kann er nicht! Wie will er das denn bewerkstelligt haben? Ganz einfach: ich habe zwei Teller, die auf meinem Tisch standen und Platz wegnahmen, die habe ich in die Küche getragen. Mehr war nicht nötig, den Lauf der Welt zu verändern. Alles Weitere sind Folgeerscheinungen, wobei das natürlich eine willkürliche Festlegung ist, die Paul Watzlawick treffend „die Interpunktion von Ereignisfolgen“ nennt. Darauf konnte ich die schwere Schublade mit meinen Karteikarten aus der Kommode wuchten und bequem auf den Tisch stellen, so dass ich hernach ohne Verrenkung den Stapel Karteikarten zum Thema Fraktur suchen, auffinden und hervorziehen konnte. Ich wusste ungefähr seit zwei Wochen, dass es nötig war, habe es jedoch immer weiter aufgeschoben, denn wie jeder weiß, durchleiden wir gerade den Februar, und das ist der trübste Monat im Jahr, so hässlich nassgrau und bleiern zudem, dass jede Initiative doppelte Kraft erfordert. Das heißt, ich kann mich nicht nur schwerer motivieren, irgendwas zu tun, die Kommode ist auch doppelt so schwer wie in anderen Monaten.

Mich wundert indes gar nicht, dass just vor Tagen, die ominösen Schwerkraftwellen bekannt gemacht wurden. Die waren nämlich schon im vergangenen September entdeckt worden. Aber allen Beteiligten am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik war sofort klar gewesen, wann der geeignete Zeitpunkt für die Veröffentlichung der Sensation gekommen wäre, im Februar nämlich. Da spürt jeder die Erdenschwere doppelt und kann sich die Schwerkraftwellen leicht vorstellen. Ach, wie unglücklich steht hier das Adjektiv „leicht“ bei Schwerkraft, aber dass derlei Sprachverwerfungen auftreten, ist auch typisch für den Februar.

rosen-für-die-liebste„Wie gut, dass Februar ist!“ Rosen für die Liebste fallen 10,7 Prozent langsamer als sonst. Bildvorlage: Kristall 1959, Gif-Animation: Trithemius

Derlei Sprachverwerfungen wie „leichte Vorstellbarkeit von Schwerkraftwellen“, kennt nur der Februar. Ah, schon wieder schwappte gerade eine Schwerkraftwelle durch mein Sprachzentrum: Die Substantivierung „Vorstellbarkeit“ wird nicht nur von meiner Rechtschreibprüfung unterkringelt, sondern ist auch von februarmäßiger Hässlichkeit. Vergangenen Montag war Februar-Bergfest. Aber wer gedacht hat, es ginge jetzt schneller voran, hat sich geschnitten. Die Zeit schreitet im Februar um 10,7 Prozent langsamer voran als in anderen Monaten, weshalb er auch nur 28 bis 29 Tage hat. 28 Tage Februar entsprechen 31 Tagen Mai. Das wird jeder sogleich als tiefe Wahrheit erkennen. Indem just den Verliebten die Zeit nicht einfach verrinnt, sondern im Fluge vergeht, ist natürlich klug gewählt, Valentin, das Fest des Verliebtseins, wenn die zweisame Innerlichkeit zelebriert wird, just in den trägen Februar zu legen. Dann haben die Verliebten einen Schmetterlingshauch , also 10,7 Prozent länger Schmetterlinge im Bauch.

Womit wir beim Schmetterlingseffekt wären. Zwar scheint heute die kalte Februarsonne, aber ein Schmetterling wurde noch nicht gesehen. Es ist auch nicht nötig, dass jemand vom Hauch eines Schmetterlingsflügels gestreift würde, um den Schmetterlingseffekt auszulösen. Es reicht, von ihm zu wissen oder zu lesen, um zu verstehen, dass ich die Welt heute Morgen nachhaltig verändert habe, indem ich zwei benutzte Teller in die Küche trug. Schon der Umstand, dass ich diesen Text in die Welt gesetzt habe, mancherlei Gedanken bei Lesern angestoßen habe, verändert ja den Weltenlauf und wenn es nur ist, dass ich dem einen oder anderen ein bisschen seiner Zeit gestohlen habe. Die sollten mir danken. Es ist lahme Zeit aus dem Februar.

31 Kommentare zu “Wie ich heute den Lauf der Welt verändert habe

  1. Ha! Jetzt wo ich’s weiß, tatsächlich, merke ich es auch! Deine Teller haben einiges verändert, dein Artikel auch, am Ende sogar die Schwerkraftwellen, die man weltweit gemessen hat. Oder die man gemessen haben will. Auf jeden Fall meine Laune zum Beginn des heutigen Tages im leidvollen Februar. Danke! Pass‘ schön auf die Tasse Cornelia auf. Wer weiß….
    VG Willi

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  2. Der Februar, lahme Zeit? Mir wäre das nicht aufgefallen, nicht eingefallen.

    Februar ist bei mir ein Monat, in dem ich mich noch das eine oder andere Seminarwochenende gönnen kann, bevor es mit dem Pflügen und Eggen los geht am Acker. Februar ist bei mir der Monat, in dem ich erstmals wieder Sonne sehen kann an der Hausmauer.
    In meiner Gegend verkriecht sich nämlich die Sonnne über Winter hinter dem Berg. Von November bis Anfang Februar erreicht mich kein Sonnestrahl. (Fürs innere Licht habe ich die Zitronen). Februar schenkt mir wieder Sonnenschein beim Haus. Und noch eine kleine Verschnaufpause vor dem arbeitsintensiven Frühling. – Danke Februar!

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    • Dann leben Sie wohl in einem Alpental, in das drei Monate kein Sonnenstrahl dringt? Da gelten freilich ganz andere Gesetze als im flachen Norden. Zitronen gibt es aber hier auch. Hab just gestern wieder eine gekauft und werde heute Ihrer Empfehlung gemäß wieder ein Glas Wasser mit Zitrone trinken.

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      • Das haben Sie gut erfasst, das Alpental. Sehr gut! Setzen. Darf ich mit Ihnen ein kleines bisschen Lehrer spielen? Oder mögen sie den Lehrerberuf gar nicht mehr?
        Ich wäre gerne Ihre Schülerin, ich könnte viel von Ihnen lernen. Aber ich weiß nicht, ob Sie so alte Schülerinnen noch annehmen in Ihrer Klasse.

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        • Glücklicherweise habe ich den Lehrerberuf ja seit meinem 54. Lebensjahr hinter mir, das heißt, alles was mit der Institution Schule zu tun hat. Doch indem mich die Gesellschaft weiterhin alimentiert, freut mich, wenn ich mich nützlich machen kann. (Wer den Beruf mit Enthusiasmus gelebt hat, bleibt ja im Herzen immer Lehrer.) Es ehrt mich, wenn Sie glauben, von mir lernen zu können. Mein Blog hieß ja ursprünglich im Untertitel Offene Bloguniversität und existiert ja weiter. Studierende jedes Alters sind da wie hier im Teestübchen herzlich willkommen.

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  3. Selbst auf den Verdacht hin, trivial zu wirken, möchte ich anmerken, dass heute morgen ein versehentlich von mir losgelassener Pups, nicht ganz geruchsfrei wohlgemerkt, mit einer erstaunlichen Leichtigkeit auf eine dieser Gravitationswellen aufsprang, um sich mit ihr auf den Weg Richtung Westen zu begeben. Die zu erwarteten Auswirkungen auf das internationale Weltgeschehen, da bin ich mir sicher, werden wir spätestens in den Abendnachrichten zu Gehör bekommen … 😉

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  4. Den Lauf der Dinge hast du allerdings verändert, lieber Jules. Und weil ich dir nicht die Schuld daran geben möchte, muß die gelbe Tasse die Schuld zugeschoben bekommen. Der Link lies sich im Münchner Untergrund nicht öffnen. Und während ich auf das Display starrte verpasste ich meine Station. Ich bin in einem mir unvertrauten Stadtteil unterwegs und wollte es doch zu Fuß versuchen, den Weg zu finden. Ich lief falsch, landete in einem Blumenladen und kaufte wunderschöne weiße Tulpen. Die brauche ich nicht, aber da im Februar die Zeit langsamer vergeht, werde ich lange Freude an ihnen haben.
    Freude die ich jetzt wieder dir zuschreiben kann, weil eine gelbe Tasse, es nicht zu schätzen wüsste.

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    • Das ist ja eine unglaubliche Geschichte, liebe Mitzi.Ich habe die dich irreleitende Textpassage schon vor Stunden herausgenommen, da ich schon fürchtete, sie würde zu Verwicklungen führen. Aber zum Glück ist ja alles noch mal gut gegangen, und du hast weiße Tulpen mit nach Hause gebracht.

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  5. Lieber Jules,
    mich erschreckt es nicht sonderlich, dass Sie heute den Lauf der Welt verändert haben. Erstens, so gut kenne ich Sie, würden Sie nie einen Lauf veranlassen, der unsere Situation verschlechtert und zweitens hat der von Ihnen erwähnte Paul Watzlawick unter vielen anderen Büchern auch das Buch „Die erfundene Wirklichkeit: Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben“ geschrieben (beziehungsweise einvernehmlich herausgegeben) in dem die Frage gestellt wird, ob wir diese Welt wirklich so erleben?
    Da fällt mir ein, es gab zu dem Thema „Sind wir real“ auch einen Schreibwettbewerb von Karl Olsberg den meine Blogfreundin Ida Pingal (Andrea) gewonnen hat: http://www.sindwirreal.de/sind-wir-real/beitrag-5/
    Ich gehe davon aus, dass Sie heute keine 2 Teller in Ihre Küche getragen hätten, wenn SIE zufällig auch an dem Schreibwettbewerb teilgenommen hätten, was Sie ja einige Minuten aufgehalten hätte!
    Gruß Heinrich

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    • Lieber Heinrich,
      Ihre Einschätzung ist überaus freundlich. Doch eine derart qualifizierende Annahme geht über das hinaus, was ich glaube getan zu haben. Natürlich verändert jeder von uns durch sein Handeln (auch durch Sprachhandeln) den weiteren Verlauf der Weltgeschichte, aber auf unwägbare Weise. Ursache, Wirkung und deren Folgen können wir leider nicht überblicken. Nur manchmal ist es nachvollziehbar wie bei der Erfindung des Autos oder des Internets. Goggles (Alphabets) Motto: „Don’t Be Evil“ trägt dem Gedanken Rechnung, dass letztlich nur die Grundidee einer Veränderung des Weltenlaufs kontrollierbar ist, aber in den Konsequenzen nicht. Das Selbstfahrende Auto scheint eine gute Idee zu sein, aber es wird Millionen Menschen arbeitslos machen.
      Wenn ich auf Watzlawicks radikalen Konstruktivismus abhebe, dann fasziniert mich besonders die Idee der Interpunktion, weil wir die Welt nur verstehen, indem wir festlegen, was Ursache und Wirkung ist. Ihrem Link werde ich später folgen, weil mir gerade ein Gedanke durch den Kopf geht, den ich andernorts aufschreiben muss, bevor er verloren geht.
      Beste Grüße,
      Jules

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      • Da muss ich natürlich Kurt Vonnegut einbringen: Wenn du schon nichts Gutes tun kannst, richte wenigstens keinen Schaden an.
        Das wäre doch schon mal eine Maxime. Eine dem Februar gemäße, die es uns erlaubt, etwas bedächtiger an die Welt und ihre Aufgaben heranzugehen. Da wir die Dinge aber nicht von ihrem Ende her betrachten können, werden wir wohl das Risiko eingehen müssen, die Welt zu verändern, durch Tun oder durch Unterlassen, denn wenn ich nicht tue, was ich zu tun vor hatte, dann habe ich doch auch den Lauf der Welt verändert, oder?

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        • Ich glaube, ob ich dir jetzt antworte oder erst in zwei Stunden, lieber Manfred, ist innerhalb der Toleranz und würde den Fortgang der Entwicklungen nur geringfügig beeinflussen. Wie stark wir das Weltgeschehen beeinflussen können, hängt wohl auch ab vom sozialen Rang. Wären wir beide berühmte Autoren wie Kurt Vonnegut, würde selbst unser Austausch hier unübersehbare Folgen haben. Aber wer weiß. Vielleicht beugen sich dereinst mal Literarturwissenschaftler drüber und fluchen ob der Materialfülle.

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          • Das ist vermutlich so, wir nehmen es aber ständig anders wahr. Kennst du nicht auch das Gefühl, dass ein Fußballspiel oder was auch immer anders ausgegangen wäre, wenn du zugeschaut hättest? Wir sind halt wichtig… oder glauben es zu sein.

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  6. Wenn ich meine Teenies das nächste Mal auffordere, ihr Geschirr aus den Zimmern in die Küche zu bringen, werde ich Deine Argumentation nutzen, lieber Jules 😉 . Ich bezweifle aber, dass das viel bringt, außer einen schrägen Blick auf mich und dem sich sichtbar formierenden Gedanken hinter der jugendlichen Stirn: „Jetzt ist sie total irre!“ :-DDD
    Wobei ich mit der Länge des Februars voll mit Dir konform gehe. Es gibt wirklich keinen gefühlt längeren Monat. *seufz* Ich lade mir wohl einfach ein paar Freunde zu Anfang März zum Essen ein, vielleicht vergeht dann die Zeit schneller…

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    • Gute Idee, Freunde einzuladen und über das Ende des Februars hinauszuzielen, liebe Andrea. Ich mache das auch so, fahre Anfang März mal wieder nach Aachen. Was deine Teenager betrifft: Ich konnte meinen Ältesten auch nur schwer zum Helfen jeder Art bringen, und heute als erwachsener Mann ist er so liebenswürdig und hilfsbereit wie nur was. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber die Widerborstigkeit wächst sich raus.

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      • Ich war eigentlich die letzten Jahre immer so Ende Januar für eine Woche in der Sonne. Das war auch sehr hilfreich, weil hinterher geht das mit dem Februar dann relativ schnell. Und die Kids sind schon ganz in Ordnung, nur dass sie mir einfach nicht mehr alles glauben – was ja letztendlich auch in meinem Sinne ist, weil ich gern hirnnutzende Wesen um mich herum habe 😉 . Und jedesmal wenn sie hier mal ne Woche alleine waren, klappte das mit der Hausarbeit hervorragend. Fand ich erstaunlich, weiß deshalb aber, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Manchmal ist so ein „Hotel Mama“ nur eben angenehmer 😉

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  7. Ein toller Artikel! Ja, dass habe ich mir vorgestern früh gleich gedacht. Irgendetwas ist anders. Bestimmt hat jemand zwei Teller weggebracht. Da weiß ich ja jetzt Bescheid! Besonders stark habe ich den Effekt heute Morgen bemerkt. Da verging die Zeit, die ich noch im Bett bleiben konnte, nämlich schneller als sonst. Aber es ist schon toll, dass bereits Einstein diese Gravitationswellen berechnen konnte… Viele Grüße, Nessy von den happinessygirls

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    • Dankeschön für Lob und witzige Rückmeldung! Dass ich dir die kuschelige Zeit im morgendlichen Bett verkürzt habe, tut mir Leid. Aber ich glaube nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, nur einen Teller in die Küche zu tragen. Mir hätte das freilich nichts genutzt, weil die Teller gestapelt gewesen waren. So hätte ich leider keinen Platz gehabt, die Schublade aufzustellen.
      Schöne Grüße ins Saarland,
      Jules

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  8. Deine Gedanken zu diesem unglaublich besonderen Tag im Februar, bei dem man nie weiß, ob er erwartungsgemäß der langweiligste aller zwölf Monate wird, finde ich mehr als amüsant und sie machen verdammt nachdenklich in dem Sinne, ob und wie oft wir Feinheiten und Kleinigkeiten zu etwas Besonderem erhöhen, vielleicht ist das gerade in einem Monat wie dem Februar so wichtig! 🙂
    Liebe Grüße,
    Jim

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