Geben Sie dem Mann ein Haarnetz

ichHätte ich gewusst, dass ich bei der Bundeswehr ein Haarnetz tragen dürfte, genau wie meine Oma, hätte ich nicht Einberufung und Wehrpass im Waschbecken verbrannt, sondern wäre frohgemut hingegangen. Tatsächlich habe ich ungefähr so ausgesehen, als der Staat mich zum Wehrdienst rief und ich nicht folgte. Ich war gerade mit der späteren Mutter meiner Kinder in eine Kölner Wohnung gezogen und wollte da nicht weg, obwohl das Waschbecken jetzt verstopft war.

Man empfing mich in der Ausbildungskompanie ziemlich unfreundlich, weil mich die Feldjäger zwei Wochen hatten suchen müssen. Kompaniechef und Leutnant setzten mir zu. Ich dürfte keinesfalls den Kriegsdienst verweigern, „“die Kameraden nicht aufwiegeln“, überhaupt, müsste ich mich strengstens an alle Regeln des Soldatenseins halten und mich einfügen. Beim kleinsten Vergehen gegen die Vorschriften wollten sie “meine Sache der Staatsanwaltschaft übergeben.” Dann wäre ich vorbestraft. Mein oberster Chef war Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt. Er hatte am 8. Februar 1971 einen Erlass herausgegeben, in dem stand:

Die Bundeswehr kann in ihrem Erscheinungsbild die Entwicklung des allgemeinen Geschmacks nicht unberücksichtigt lassen.“ (…) „Haare und Bart müssen sauber und gepflegt sein. Soldaten, deren Funktionsfähigkeit und Sicherheit durch ihre Haartracht beeinträchtigt wird, haben im Dienst ein Haarnetz zu tragen.

Folglich liefen viele Wehrpflichtige mit so einem Haarnetz auf dem Kopf durch die Kaserne. Zu albern sah das aus. Ohne Haarnetz war ich immerhin der Schrecken aller Schwiegermütter, die perfekte Abschreckung, falls mal irgendein verbrecherischer Schwiegermütterstaat Deutschland angreifen wollte. Mit Haarnetz erschreckte ich nur meine Oma. Ein Haarnetz zu tragen, war sicher ebenso erniedrigend wie ein kahler Kopf. Der Unterschied: nach Dienstschluss durften die Haare wieder in die Freiheit. Dagegen sahen die Glatzen selbst im Feierabend wie geschorene Sklaven aus.

Haarnetze sind zwar dicht, aber sehr empfindlich. Ein kleiner Einriss, schon ist ein Loch drin. Aus löchrigen Haarnetzen schieben sich Haarsträhnen. Dann musste bald ein Neues her, weil es gegen die Kleiderordnung verstieß, ein Haarnetz zu haben, aus dem Strähnen wuchsen. Aber immer wieder kam es zu erfreulichen Engpässen in der Haarnetzlieferung, obwohl man vorsorglich 740.000 Stück auf Lager gelegt hatte. Helmut Schmidt hat dafür, glaube ich, den Orden Wider den tierischen Ernst bekommen.

Als wir vereidigt werden sollten, gab es keine Haarnetze. Zu viele Rekruten hatten sie zerrissen. Mein Kompaniechef bestellte mich ein, und zusammen mit dem Leutnant flocht er mir einen Zopf, eine durchaus homoerotische Angelegenheit. Dann legten sie den Zopf auf meinen Scheitel und befahlen mir, den Helm darüber zu stülpen.

Es war heiß an diesem Tag. Die Ausbilder wirkten aufgeregt. Ein General hatte sich angesagt. Er würde auf der Tribüne sitzen und sich die Vereidigung ansehen. Die Rekruten würden an ihm vorbeimarschieren und müssten anschließend lange in der Sonne stehen. Ein Stabsunteroffizier führte meinen Zug zum Vereidigungsplatz. Er fürchtete, es könnte einer von uns in der prallen Sonne umkippen. Daher befahl er nach wenigen Schritten, die Helme abzusetzen. Mein Zopf fiel hinunter. Als wir uns der Tribüne näherten, hieß es: „Helm auf! Im Gleichschritt …!“ Da konnte ich meinen Zopf nicht wieder untern Helm schieben. Sie hätten „meine Sache“ bestimmt dem Staatsanwalt übergeben, wegen unbotmäßiger Fummelei am Kopf während des Marsches zur Vereidigung. Darum fügte ich mich ein, wiegelte auch keinen Kameraden auf, mir beim Richten der Haarfrisur zu helfen, sondern trug meinen Zopf mit Fug und Recht an der Tribüne des Generals vorbei.

Er wird mich nicht gesehen haben. Generäle achten nicht auf einzelne Soldaten, sondern auf Kompanien, Bataillone, Regimenter und Heeresgruppen. Aber ich habe damals zum ersten Mal erfahren, wie lustvoll und befreiend es ist, Netze zu zerreißen. Diese Erkenntnis verdanke ich den vielen anderen Rekruten überall in der Bundesrepublik, die ebenso ihre Netze zerrissen haben. Nur durch dieses unsichtbare Netzwerk, das allein aus ähnlichen Gedanken bestand, konnte der Nachschub im Versorgungsnetz der Bundeswehr zum Erliegen kommen.

Ein Jahr später war ich gerade im Wochendurlaub, als übers Radio mitgeteilt wurde, dass der Haarerlass gekippt worden war. Es war aus mit der „German Hair Force“. Ich setzte mich hin und weinte.

Ich besitze drei hübsche Farbfotos von mir in Uniform mit vielen Haaren ohne Haarnetz und habe mir das Wochenende damit versaut, sie zu suchen. Dabei hätte ich doch eigentlich meinen Weihnachtsbaum abbauen wollen/sollen, denn er verdeckt mein Bücherregal, just wo meine Dudensammlung steht. Freund Leisetöne bat mich kürzlich, darin etwas für ihn nachzuschauen. Am Samstag hat er sogar Schneebälle gegen mein Fenster geworfen, um mich leise zu erinnern. Bevor ich noch mehr meiner kostbaren Lebenszeit mit Suchen verplempere, haue ich den Text jetzt raus. Er war eigentlich gedacht als vorletzter Text für das Schreibprojekt des Wortmischers. Hier geht alles durcheinander – kein Wunder, bei den Haaren.

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33 Kommentare zu “Geben Sie dem Mann ein Haarnetz

  1. Herrlich! Und so eine schöne Haarpracht! Warum durftest Du nicht den Kriegsdienst verweigern? Das wurde doch, so weit ich mit entsinne, schon 1949 in’s Grundgesetz aufgenommen, dass niemand zum Dienst an der Waffe blablabla….?

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    • Nach dem dreimonatigen Grundwehrdienst, habe ich noch den LKW-Führerschein gemacht und erst dann verweigert. Anerkannt als Kriegsdienstverweigerer wurde ich aber erst, als ich schon meine kompletten 18 Monate Wehrdienst längst hinter mir hatte, in der 3.Instanz vor dem Verwaltungsgericht.

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      • Ui. Na, wenigstens hast Du den LKW Führerschein mitgenommen :-). Bei mir war das dann wahrscheinlich schon ein bisschen eingespielter mit der KDV, nach Ausbildung und FOS, 1987, ging das Prozedere relativ schnell über die Bühne innerhalb eines Jahres und ich konnte im Sommer 1988 mit dem Zividienst anfangen. Gut, hat dann allerdings 20 Monate gedauert. War aber eine schöne Zeit.

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        • Die Gewissensprüfung wurde 1976 abgeschafft. Ab da war es nicht schwierig, den Kriegsdienst zu verweigern, allerdings mit dem Nachteil behaftet, dass der Ersatzdienst wie bei dir länger dauerte als die Wehrpflicht. Zwei meiner Söhne haben es mir gleich getan, der dritte musste sowieso nicht.

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  2. Pingback: Kleider machen Leute – von A bis Z | Wortmischer

  3. „Vorletzter“? Ich lese hier immer „vorletzer“. Da kann ich den vorletzten Satz der Geschichte noch so oft wiederholen, da steht eindeutig: „vorletzter“.
    Was wollen Sie damit sagen? Ich hatte gedacht, das geht jetzt auf immerdar weiter so! Solange bis es keine Kleidungsstücke mehr gibt, die unerwähnt geblieben wären? Das können Sie mir doch nicht antun!

    Aber diese haarige Geschichte gefällt mir schon sehr gut. Schönes Foto übrigens auch. Und nun gibt es ja auch erste Ansätze zur altersmäßigen Einsortierung des Teestübchenbetreibers. Denn als ich eingezogen wurde, gab es längst keine „Hair Force“ mehr. Mein schöner Pilzkopf wurde kahlgeschoren, bis dass ich Frostbeulen unter dem Helm bekam. Was für ein Grauen!

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    • Den letzten Text habe ich ja schon längst veröffentlicht. Ich nahm an, Ihr Projekt endet, wenn die Liste abgearbeitet ist. Natürlich fehlt noch was zu O=Oberhemd, aber da hätte ich nur das Hemdenbügelvideo anzubieten.

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      • Ach, das Bügelvideo mit dem Mann mit dem Kniff. Ich weiß auch nicht, wieso ich dem so gerne zusehe. – Aber warten wir ab, was noch alles kommt. Es stehen ja durchaus noch ein paar angekündigte Beiträge zum Kleider-machen-Leute-Projekt aus. Ich lass es einfach auslaufen, denke ich. Wenn dereinst alle Links in den Archiven der Teilnehmerschaft verschwunden sein werden, wird schnell kein Hahn mehr krähen nach der Kleiderparade ;-}

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    • Ich muss euch jungem Volk mal erklären wie das in den 70-ern ging mit dem Fotografieren. Kaum jemand hatte einen Fotoapparat, und so ist es ein Wunder, dass überhaupt Fotos aus der Zeit existieren. Glaub mir, seit Tagen durchsuche ich alles immer wieder, finde die absonderlichsten Dinge, aber die drei Fotos, die ich besessen habe, sind einfach weg, liegen vermutlich, wo ich nie nachsehen würde, weil der Ort zu unwahrscheinlich wäre. Eben fand ich einen Umschlag mit Fotos, der aus der Schublade gerutscht war und am Boden der Kommode lag. Dass die gesuchten Fotos nicht im Umschlag steckten, war doch gezankt.

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  4. Ich war feige. Habe vor der Bundeswehr freiwillig denn Bart abrasiert und die Haare kurzgeschnitten. Man hatte mir gesteckt, dass die bei der Bundeswehr mich nicht zwingen würden den Bart abzuscheiden, aber solche Kandidaten sofort mit eine undichten Gasmaske in die Gaskammer (den Spitznamen dieser Kammer möchte ich nicht nennen, das wäre inzwischen ungebührlich) geschickt werden und mit Tränengas traktiert werden.
    Um all diesen Schikanen aus dem Weg zu gehen, habe ich eben wie üblich „vorgebeugt“. 😉

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  5. Habe die wichtigste Message vergessen, was ich eigentlich erzählen wollte. Mein Vater hat jahrelang gegen meinen Vollbart „gewettert“. Als ich ihn dann glattrasiert besuchete, hat er nichts bemerkt. Ich habe mehrfach gefragt: „Papa, fällt Dir an mir nichts auf?“ „Nö, was denn?“,
    Nach einer ganzen Weile musste ich es laut sagen, dass ich keinen Vollbart mehr hatte.
    Aber solche Effekte habe ich im Leben häufiger erlebt – Menschen mit und ohne Brille, oder anderen deutlichen Veränderungen, die zunächst nicht wahrgenommen werden.

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    • Das kann ich bestätigen. Ich fragte mal eine Schülerin, deren Vater ein Kollege von mir war: „Trägt dein Vater eine Brille?“ Sie wusste es nicht, aber ich wusste es da auch nicht, obwohl ich ihn täglich sah. Aber als ich eines Tages meinen Vollbart abrasiert hatte und an den Sonntagsfrühstückstisch kam, da brach meine kleine Tochter in Tränen aus.

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  6. Ja, zu der Zeit sah mann so aus. 🙂
    Ich habe es immer wie Reinhard Mey formuliert: Meinen Sohn geb ich nicht…
    Naja, es kam dann ganz anders – leider…gehört aber nicht hierher
    Woran ich hängen blieb ist dies…
    „wie lustvoll und befreiend es ist, Netze zu zerreißen“
    …und schreibe herrlich! 🙂

    Schmunzelgrüße aus der Silbenkemenate,
    Silbia

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    • Das Lied stammt von 1986 und traf den Zeitgeist der Friedensbewegung. Gut, dass du daran erinnerst. Heute schlägt Finanzminister Schäuble vor, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, und niemand regt sich auf wie sich auch kein Widerstrand regte, als die Wehrpflicht abgeschafft wurde, obwohl das dem Geist unseres Grundgesetz widerspricht, die Armee dürfe keinen Staat im Staate bilden. Freut mich, dass der Text dir gefallen hat.
      Viele Grüße,
      Jules

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  7. Du warst aber auch ein hübsches Kerlchen seinerzeit, aber galub’s mir, wenn auch Haare und Bart sehr gepflegt aussehen, ich hätte dich dennoch von der Bettkante gestoßen.

    Ich erinnere mich, dass ich es seinerzeit nur einmal riskiert hatte, „meinem Ingo“ die Haare in Form und Fülle zu schneiden, um Geld zu sparen, das wir anderweitig dringender zu brauchen glaubten, mit dem Erfolg, dass der arme an Haar und Seele Geschädigte seinen Rollkragen gar nicht hoch genug ziehen konnte, als wir anschließend in die Lila Eule oder ein ähnlich ausgerichtetes Etablissement gingen. Er hat mir lange die Verschandelung nicht verziehen und bis auf den heutigen Tag ist er bei der Wahl des Friseurs seines Vertrauens sehr pingelig.

    🙂

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    • Das hat alles nicht sollen sein, liebe Marana, Ich war zwar in Delmenhorst und Bremen stationiert, aber damals frisch verliebt und wäre nicht auf die Idee gekommen, meine Frau zu betrügen. Außerdem war da ja dein Ingo. Ich vermute, er trug die Haare nach seiner traumatischen Erfahrung mit deinen Frisierkünsten kurz.

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  8. Ein tolles Foto, wo sonst immer nur ein paar Augen hinter einem Aldi Prospekt hervor blitzen. Auch ohne Uniform. Nun habe ich einiges mehr über Frisuren, Haarnetze und Gasmasken bei der Bundeswehr erfahren als in all den Jahren davor. Und das auf sehr amüsante und kurzweile Art und Weise.

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    • Dankeschön, liebe Mitzi, fürs Kompliment und dass du die Zeitreise in die frühen 70er Jahre mitgemacht hast. Das Foto entstand garantiert vor deiner Geburt. Haarnetz und Wehrpflichtarmee sind heute schon ein Stück Zeitgeschichte. Ich selbst frage mich, wieviel Ähnlichkeit noch mit dem ist, der ich einmal war. Ich glaube, die Montage mit dem Aldi-Prospekt hätte mir gefallen, aber dass ich so wenig politisch bin und mich kaum noch zu politischen Fragen äußere, hätte mich zumindest erstaunt, aber eigentlich hätte ich das nicht verstanden, denn Haar- und Barttracht standen ja für einen rebellischen Geist.

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