Rote Pumps

Die folgende Geschichte ist eine urbane Sage. Ich hörte sie vor 25 Jahren auf dem niederländischen Radiosender Hilversum III. Der Moderator Jeroen van Inkel erzählte in seiner Vorabendshow „Rinkeldekinkel“ täglich „Een waargebeurde verhal“ (Eine wirklich passierte Geschichte), eine urbane Sage, untermalt von dramatischer Musik. Ich habe die Sagen mitgeschnitten, hernach transkribiert und frei übersetzt, eigentlich nacherzählt.

stilettos-295443_640Ein Familienvater macht nach einem Ehestreit eine Kneipentour. In einer Bar lernt er eine atemberaubend schöne Frau kennen. Nach heftigem Flirt beschließen sie, mit seinem Auto zu einem einsamen Parkplatz zu fahren. Dort ergreift die Erregung von ihnen Besitz. Doch bald stellt der Mann fest, dass er sich auf einen Transvestiten eingelassen hat. Er wirft den Mann aus dem Auto und fährt frustriert nach Hause. Am nächsten Tag macht die Familie einen Ausflug an die Küste. Die Schwiegermutter sitzt auch mit im Auto. Nach einem Bremsmanöver sieht der Mann, dass ein roter Damenschuh unter seinem Sitz hervorgerutscht ist.

Zum Glück müssen die beiden Kinder mal. Er hält auf einem Rastplatz, und während seine Frau und die Kinder abgelenkt sind, wirft er den Schuh heimlich in einen Mülleimer.

Am Ziel steigen alle froh aus, nur die Schwiegermutter nicht. Sie kriecht da irgendwo am Boden der Rückbank rum und ruft: „Ich verstehe das nicht! Eben habe ich hier im Auto meine Schuhe ausgezogen und jetzt ist einer weg!“

Anfang der 90-er Jahre, noch vor den Zeiten des Internets, kursierten viele solcher Geschichten, vielleicht angestoßen durch die Bücher des Sagenforschers und Ethnologen Rolf Wilhelm Brednich: “Die Spinne in der Yuccapalme” (1990), “Die Maus im Jumbojet” (1991), “Das Huhn mit dem Gipsbein” (1993) kannten die meisten wenigstens dem Titel nach. Brednich hatte auch keine Mühe, Material zu finden, denn nach Veröffentlichung des ersten Bandes “Die Spinne in der Yuccapalme” sandten ihm viele Leser neue Geschichten oder Varianten zu. Die Begeisterung für Brednichs Sammlungen verwies auf eine lebendige Erzählkultur, die bis dato im Verborgenen geblieben war. Viele Geschichten wurden mit einer Herkunftsangabe aus dem Verwandten- oder Freundeskreis versehen, um den Wahrheitsanspruch zu bekräftigen. Deshalb hießen die modernen Sagen auch FOAF (Friend of a Friend)-Tales. Einige Sagen gerieten sogar als Meldung in die Zeitung. Ich habe Rote Pumps aus einem Erzählprojekt im Teppichhaus Trithemius auf Trithemius.de hervorgekramt für das „Schreib-mit-Projekt des Kollegen Wortmischer. (Für weitere Texte und zum Mitmachen bitte Banner klicken!)
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Die Pumps der Psychologin

Rote Pumps waren schon immer geeignet, meine Sinne zu verwirren, und ich habe mich durchaus dadurch in Schwierigkeiten gebracht. Während meines Studiums war der Fachbereich Psychologie in Aachen völlig beherrscht von Behavioristen. Diese Richtung innerhalb der Psychologie war mir von Anfang an suspekt. Also habe ich die meisten Seminare geschwänzt. Meine Examensklausur habe ich zum Thema Kreativitätsforschung geschrieben. Als Prüferin suchte ich mir eine Dame Psychologin aus, die ich nur aus der Ferne kannte, und die mir aufgefallen war, weil sie fast immer rote Pumps trug. Obwohl sie meine Klausur notgedrungen mit Eins bewerten musste, war sie mir in der mündlichen Prüfung nicht gut gesonnen, unterbrach mich ständig und wechselte dauernd die Themenfelder. Offenbar wollte sie mich aus dem Konzept bringen, denn sie war wütend, mich prüfen zu müssen, obwohl sie mich aus dem Studium überhaupt nicht kannte. Insgeheim musste ich ihr Recht geben, weil mich doch ihre wissenschaftliche Arbeit überhaupt nicht interessiert hatte. Mir ging es nur um die roten Pumps. Jedenfalls hat sie mir erfolgreich die Einsernote versaut. Allerdings ist es tröstlich, dass in einer Psychologieprüfung immerhin noch ein Gut bekommen kann, wer sich nur für die roten Pumps einer Professorin interessiert.

31 Kommentare zu “Rote Pumps

  1. Pingback: Kleider machen Leute – von A bis Z | Wortmischer

  2. Eine lustige Geschichte! Übrigens ist offensichtlich, daß rote Pumps die Sinne dieses holländischen Familienvaters nicht verwirren. Sonst hätte er diejenigen des Transvestiten (so es sie gegeben hätte) sicher in Erinnerung behalten und diejenigen an den Füßen seiner Schwiegermutter zumindest bemerkt. Sie muß ja irgendwie ins Auto gekommen sein.

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  3. Amy Winehouse nannte sie f**** me pumps 😉
    Und es müssen nicht Pumps sein, mir ist ähnliches bei einer Prüfung passiert, es lag nicht an den Pumps sondern an einer Pseudo-Offenheit & mehr…
    mir gefiel die Geschichte sehr 😉

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      • das war mein cell phone bzw. meine eher mangelhafte Bedienung….ich meinte fuck….und das bezog sich auf den ersten Text…

        und mein Kommentar“Und es müssen nicht Pumps sein, mir ist ähnliches bei einer Prüfung passiert, es lag nicht an den Pumps sondern an einer Pseudo-Offenheit & mehr…“ bezog sich auf die Pumps der Psychologin 😉

        Entschuldige meine zu kurze und verwirrende Art !

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  4. Recht geschieht es ihm! Den Schreck in den Gliedern…am Rande…in allen fünf….hat er verdient.
    Da mag sich einer seine Prüferin ruhig anhand des Schuhwerks aussuchen. Was schadet es? Das Ergebnis ist immerhin gut. Wer aber roten Schuhen oder einem bildhübschen Gesicht auf Parkplätze folgt, dem gönne ich einen Schrecken, wenn ihm am nächsten Tag die Schwiegermutter im Nacken sitzt.
    Lieber Jules, die Macht weiblicher Schuhe hast du gut eingefangen. Und mich daran erinnert, warum ich keine Yucca Palme besitze und im Supermarkt nicht in Bananenkisten greife. Die darin verborgenen Spinnen sind in eben diesem oder einem ganz ähnlichen Buch Bestandteil einer Erzählung.

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    • Was du schreibst, hat Witz, liebe Mitzi. Ich musste schmunzeln, wie der untreue Ehemann sein Fett bekommt. Aber auch anders wird ein Schuh draus, einer folgt einer schönen Frau, aber das vermeintlich flüchtige Abenteuer endet in der Ehe, und schon sitzt da auch eine Schwiegermutter.
      „Die Macht weiblicher Schuhe“ ist schon mal ein guter Titel für …? Du könntest dich auch mal an Wortmischers Projekt beteiligen. Es wäre ein Gewinn. Hast du nicht Lust?
      Wenn Brednich wüsste, was er mit seiner „Spinne in der Yuccapalme“ bei dir angerichtet hat. Klingt nach einem kindlichen Trauma.

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      • Die Schwiegermütter bekommt man umsonst dazu. Dafür muss nicht einmal geheiratet werden.
        Ich werde am Wochenende mal sehen, ob mir zu einem Buchstaben noch etwas sinnvolles einfällt und was es schon alles gibt. Bisher fehlte die Zeit und ich kenne „nur“ deine Beiträge.
        Ach ja, die Spinnen…. Sei froh, dass du in Hannover wohnst. Treffe ich auf die Viecher ist es mir wahrscheinlich nicht mal zu blöd auf WordPress um Hilfe zu schreien 😉

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        • Liebe Mitzi Irsaj,
          mir gefällt alles, was Sie schreiben sehr gut. Sie schreiben fundiert, humorvoll und einfühlsam. Aber in einem Punkt möchte ich vehement widersprechen, dass man Schwiegermütter „umsonst“ dazu bekommt. Meine Schwiegermutter kostet mich sehr, sehr viele Nerven! 😉
          Gruß Heinrich

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  5. Deine Kleidergeschichte – Oasen in einem (zur Zeit für mich) hektischen Alltag, wie ein gemütlicher Sessel, in den man sich kurz zurückziehen kann, um den Bildern, die die Geschichten hervorrufen, nachzusinnen.

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