Hervorgekramt: ein Paar Ärmelhalter

In meiner Kramlade liegt ein Paar weinrote Ärmelhalter. Sie sind aus Stretch, haben auch je einen verchromten Clip, mit dem sie sich enger oder weiter stellen lassen. Ärmelhalter sind aus der Zeit gefallen wie auch der Laden, aus dem sie stammen.
aermelhalterMein Ärmel und sein Halter – Foto: Trithemius

Bis vor einigen Jahre gab es in Aachens Altstadt einen seltsamen Laden für Haushaltswaren. Seine Schaufenster waren mit Textilien, Tischdecken, Handtüchern und diversen Kleinutensilien dekoriert, die allesamt aus den 50ern zu stammen schienen.  Die Ladenbesitzerin, eine schmale, traurige Frau, die grauen Haare zu einem Knoten gebunden, stand fast immer vor ihrem Laden und schaute erwartungsvoll zum Ende des Platzes hin. Sie trug bei jedem Wetter dicke braune Strümpfe unter der Kittelschürze. Die neugierige Lisette hatte irgendwann die Geschichte der Alten herausgefunden. Ich konnte sie nicht verifizieren, sondern gebe sie wieder, wie Lisette sie erzählt hat: Das Textilwarengeschäft hatte die Frau kurz nach dem Krieg zusammen mit ihrem Mann geführt. Die beiden hatten es als junges Ehepaar übernommen. Der Mann jedoch war eines Tages verschwunden und nicht mehr zurückgekommen. Vielleicht war er zur Fremdenlegion gegangen. Das hatten viele Männer in den 50ern getan, die sich nach dem Krieg nicht mehr in eine zivile Gesellschaft eingewöhnen konnten. Seither wartete die Frau auf ihren Mann. Stand vor dem Laden und wartete. Und sie ließ das Geschäft, wie es zu ihren gemeinsamen Zeiten gewesen war.

Man sah fast niemals Leute in den Laden gehen. Lisette hat mich einmal hineingezerrt. Wir durchschritten die Ladentür und traten in eine stille, ruhige Zeit. Im Laden brannte kein Licht. Er lag im Halbdunkeln. Der Boden hatte schöne alte Fliesen in einem Muster, das längst vergessen war. In den dunklen Holzregalen an den Wänden lagen die Dinge wie mit einem Lineal geordnet. Hier gab es offenbar keinen großen Warenumsatz. Als die altertümliche Ladenklingel schon lange verhallt war, kam die Frau durch eine rückwärtige offene Tür hinter die Theke. Sie sprach leise und wartete geduldig, als Lisette sagte, sie wolle sich nur ein bisschen umschauen.

Ich stand schweigend dabei und fühlte mich unwohl. Doch der düstere Zauber des Ladens umfing auch mich. Es waren da keine Dinge, die man hätte gebrauchen können. Am Ende brachte Lisette es nicht übers Herz, so einfach zu gehen, und kaufte mir die weinroten Ärmelhalter. Die Frau steckte die Ärmelhalter in ein zerknittertes weißes Tütchen. Mir kam es vor wie ein Kaufladenspiel vergangener Zeiten. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn Lisette Spielgeld gezückt und die Frau es akzeptiert hätte.

Dann waren beim Laden einige Jahre die Rollläden heruntergelassen, alte Holzrolläden, deren blaßgrüner Lack in Blasen abgeplatzt war. Inzwischen ist der Laden verschwunden wie damals der Mann und 60 Jahre später die Frau.

Ich habe die Ärmelhalter manchmal getragen, hab sie über meine Hemdärmel geschoben und fühlte mich wie ein Schreiber aus dem 19. Jahrhundert, der nicht wollte, dass die Manschette ihm die Tinte verwischte. Dazu diente der Halter auf der Seite der Schreibhand. Der auf der anderen Seite war nur da, um das optische Gleichgewicht zu sichern. Da in den Kantoren und Büros nicht mehr mit der Hand geschrieben wird, sind Ärmelhalter aus dem Gebrauch gekommen. Eigentlich hätten sie demnach alle Voraussetzungen, modische Accessoires zu werden.

Dies ist ein weiterer Beitrag zum Schreib-mit-Projekt des Kollegen Wortmischer
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25 Kommentare zu “Hervorgekramt: ein Paar Ärmelhalter

  1. Ich wusste im ersten Moment gar nicht, was Ärmelhalter sind, habe gar beim Lesen der Überschrift an Ärmelschoner gedacht, gegen das Durchscheuern der Hemden am Ellenbogen.

    Außerdem glaube ich, dass es mittlerweile in Deutschland überhaupt keine Haushaltswarengeschäfte mehr gibt. Der moderne Haushalt verfügt eh nicht mehr über Nadel und Faden, Stopfpilze und Fingerhüte, geschweige denn über Ärmelhalter oder Ärmelschoner.

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    • “Haushaltswaren” nach dem Wort hatte ich gesucht. Vielen Dank! Habs eingebaut. Meine Googlesuche nach “Haushaltswarengeschäft” ergab für Hannover “Butlers”. Diese Handelskette führt natürlich ganz andere Sachen als Sockenhalter, Ärmelhalter, Stickrahmen und derlei.

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  3. Ich kenne noch die Ärmelhalter und ein solcher Laden hätte mich begeistert. Sie stammen aus dem Nähkästchen meiner Großmutter, wo sich einige so altertümliche Dinge befinden. Stopfpilze, Hornschnallen, alte Knöpfe, hölzerne Häkelnadelbehälter und ähnliche Schätze. Ich mag die Dinge, die sie früher benutzt hat.

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  4. Es gibt ja heutzutage unzählige Läden mit Dingen, die man nicht gebrauchen kann. Da diese Geschäfte meist aufwendig gestylt sind, geht der Plunder weg wie warme Semmeln. Bloß die alten Läden gibt es leider meist nicht mehr …

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  5. Lieber Jules,
    nicht nur, dass es sich bei der heutigen Durchschnitts-Qualität nicht lohnt, zu stopfen oder zu nähen, die meisten können das doch gar nicht mehr. Handarbeit steht nicht mehr auf dem Lehrplan – ist viel zu exotisch 😉 .
    Solche Läden riechen aber immer so komisch, da kauf ich lieber mein Zubehör auf dem Wochenmarkt – wir haben da öfter mal einen entsprechenden Stand vor Ort. Diese Ärmelhalter kenn ich nur noch im 80er-Style. Da sahen sie aber anders aus, ungefähr so:

    http://www.ebay.de/itm/like/111858035176?ul_noapp=true&chn=ps&lpid=106

    Diese „Urform“ kenn ich nur aus Filmen 🙂

    Liebe Abendgrüße
    Andrea

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    • Liebe Andrea,
      du hast leider Recht. Auch was das Fach Handarbeit betrifft. In NRW hieß es Textilgestaltung und wurde in den 80-ern aus dem Lehrplan gestrichen, weil auch die reinen Mädchenschulen nicht mehr bestanden. An einen speziellen Geruch des Ladens erinnere ich mich nicht. Dessen Warenangebot gibt es in Hannover höchstens noch auf dem Altstadtflohmarkt. Die Ärmelhalter, die Du verlinkt hast, wirken teurer als meine.

      Schöne Grüße zur Nacht,
      Jules

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  6. Nun weiß ich was Ärmelhalter sind. In Erinnerung bleibt mir aber das Bild einer Frau mit braunen, dicken Strümpfen, die tagaus tagein vor einem Laden steht und nach ihrem Mann Ausschau hält. Die ersten Jahre mag es ein hoffnungsvolles Bild gewesen sein. Irgendwann ein sehr trauriges. Alles bleibt im Laden wie ist es war. Nur ist es schon längst etwas vergangenes, fast nicht mehr reales.
    Da schreibt einer über Ärmelhalter und raus kommt etwas, das mich auf stille Art berührt. Schön ist das, lieber Jules.

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    • Es hat auch etwas Tröstliches, dass die traurige Geschichte von nie beantworteten Fragen, von Hoffen und Bangen und stillem Leid mit dem Laden versunken ist. Ich habe mich heute nochmals bei einem Aachener Freund vergewissert, denn meine Erinnerung an den Laden war auch nur noch schwach.
      Immerhin sind die Ärmelhalter noch da und halten eine überindividuelle Erinnerung wach, liebe Mitzi, nämlich dass Ärmelhalter mal im Gebrauch waren.
      Bei den Schreibern auf der Zeichnung kannst du die Ärmelhalter schwach erkennen. Sie wurden am Oberarm getragen.

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  7. Haushaltswarengeschäfte, Kramläden, Tante Emma Läden kenne ich noch, als wäre es erst ein paar Jahre her. Würde man mir 2 Zeitreisen spendieren, würde ich einmal in ein paar hundert Jahren schauen wollen, was aus dieser schmutzigen Kugel im Weltall geworden ist, und die andere Reise in die 50er Jahre nach Hannover Kleefeld. 😉
    Gibt es nur eine Reise, würde mir die Entscheidung zwischen Neugier und Nostalgie schwer fallen.

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    • Ich vermute, Sie haben Ihre Kindheit in Kleefeld verbracht, lieber Heinrich. Es gibt da ja die alten Villen in den Straßen mit Philosophennamen. Da war es gewiss anheimelnd. Meine letzte Hannoveraner Freundin lebte in Kleefeld. Deshalb bin ich zwei Jahre oft dort gewesen. Ich würde die Zeitreise in die Zukunft wählen.

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  8. Lieber Jules,
    Ihre Vermutung ist richtig. In Kleefeld habe ich die ersten 18 Jahre meines Leben verbracht.
    Ich rieche gerade den Duft von Suhrkempers Kafferösterei, die Fischfabrik in der Kapellenstr. und die Heißmangel im Dohmeyersweg.
    Aber, Kleefeld teilt sich in zwei Hälften nördlich und südlich der Kirchröderstr.
    Die alten Villen waren / sind im Süden, die ich nur von außen kannte. Es gab später mal ein paar Ausnahmen, als Schulfreunde (in der Schillerschule waren nicht nur Jungs und Mädchen, auch Kinder „armer“ und „reicher“ Eltern gemischt) mich mal eingeladen hatten. So konnte ich diese Pracht auch mal von innen bewundern. 😉
    Aber in der Schopenhauerstr., Spinozastr oder Schellingstr. hat es nie so schön gerochen – jedenfalls nur nach Eilenriede – und die hatten wir im Norden auch. 🙂

    Ok, Zukunft! Abgemacht. Sagen Sie mir bitte Bescheid, falls sie mal ein Ticket mehr bekommen, als Sie brauchen. 😉

    Gruß Heinrich

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