Adventskalender – 18. Türchen – Eynes meysters hant – Einiges über Kalligraphie

zuckerbäcker

„Wer schön schreibt, denkt schön.“ Das klingt gut, ist aber kein wahrer Satz. Eine schöne Handschrift gibt keine Auskunft über gutes oder schlechtes Denken. Das gilt besonders für die erstarrte Form der Handschrift, die Kalligraphie. Man kann eine zierlich auf Bütten kalligrafierte Urkunde nicht wertfrei betrachten, wenn sie etwa das Hakenkreuz trägt und für einen Nazischurken geschrieben wurde. Ein anderes Beispiel: In einer filmischen Reportage von 1989 über die Greueltaten der Securitate in Rumänien unter dem Diktator Nicolae Ceauşescu wurde ein Folterkeller der Securitate gezeigt. Auf der Tür hing ein kalligrafisch geschriebenes Schild mit der Aufschrift „Medicini“. Dieses Zusammentreffen zwischen ästhetischem Bemühen und dem Euphemismus Medicini für Folter hatte eine ekelerregende Qualität.

Kalli„Was würdevoll gestaltet ist, kann überleben und wird nicht leichtfertig und unüberlegt weggeworfen“, sagte der Kalligraph Werner Eikel. Er lehrte zuletzt an der Fachhochschule Aachen und war bis zu seinem Tod im Jahr 1998 der einzige Kalligrafieprofessor an deutschen Hochschulen. Bei einer Vernissage seiner Arbeiten wimmelte er eine eifrige Fragerin ab mit den Worten: „Das Sprechen liegt mir nicht, ich bin ein Mann des Schreibens.“ Für ihn war Schreiben Kontemplation. Der schweigsame Professor hat viele Blätter mit arabischen Schriftzeichen gestaltet. Denn anders als in den Alphabetkulturen hat die Kalligraphie in arabischen Ländern religiöse Bedeutung und künstlerischen Rang. Das Bilderverbot des Islam lenkt die künstlerische Schaffenskraft in die Schrift.

Mich hat geschriben eynes meysters hant,
Otte von Egere ist her genant.
Im Beyerlant sind ihm schone vrowen bekannt.

(Nachschrift eines mittelalterlichen Kalligraphen in einem von ihm abgeschriebenen Buch)

In Europa hatte der Stand der Schreibmeister seine Blütezeit im 16. Jahrhundert. Der Buchdruck und die aufkommende Alphabetisierung ließen die Schreibmeister in der Achtung absinken und machten sie bald überflüssig. Heute gehört Kalligraphie zum Kunsthandwerk und findet außerhalb des Urkundenwesens nur wenig Beachtung. Manche betreiben Kalligraphie als Hobby, andere wollen es wenigstens einmal versuchen und kaufen sich beispielsweise ein Schreibset an der Bude des Aachener Weihnachtsmarktes, wo allerdings überwiegend fertig gerahmte Sinnsprüche angeboten werden. Dem modernen Kalligraphie-Adepten wird geraten, er solle sich eine Sammlung von Lesefrüchten zulegen, die es lohnt, kalligraphisch zu schreiben. Die zusammengesuchten Sprüche werden gern in geschmäcklerischer Nachahmung vergangener Kunstepochen geschrieben, und dieser Manierismus ist kein brauchbares Gegengewicht zum automatisierten Schreiben mit dem Computer. Oft führt diese Form der Kalligraphie auf direktem Weg ins Zuckerbäckerland oder eben auf den Weihnachtsmarkt. Daran konnte auch Deutschlands einziger Kalligraphieprofessor nichts ändern, und jetzt ist er sowieso tot.
Kalligraphieren
auf-der-orgel-kleinAnfang der 90er Jahre habe mich eine Weile in Kalligraphie geübt. Da gehörte ich zu denen, die es wenigstens einmal versuchen wollen. Meist schrieb ich eigene Texte. Das Blatt in der Animation und links (größer: bitte klicken), Originalgröße 50 x 70 Zentimeter, ist geschrieben in der modernen Handschrift des englischen Schrifterneuerers Alfred Fairbank. Um den Randausgleich herzustellen, musste, anders als in der Gifanimation, jede Zeile einmal vorgeschrieben werden.

Kalligraphie verlangt Muße und schenkt innere Ruhe. Die langsame Auseinandersetzung mit einem Text kommt auch ihm zugute, denn jede Zeile muss gut überlegt sein.

16 Kommentare zu “Adventskalender – 18. Türchen – Eynes meysters hant – Einiges über Kalligraphie

  1. Nazi-Regime, Securitate und andere Handlanger totalitärer Systeme missbrauchen auch die edelsten Künste für ihre eigen Zwecke. Ich selbst genieße auch heute noch jeden liebevoll handgeschriebenen Brief (er muss ja nicht kalligraphisch ausgeführt sein ;-)).

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  2. Ich habe auch einige handschriftlichen Brief in einem schönen Karton. Meine Großmutter schrieb noch in der alten Schrift und ich mochte das sehr. Ich habe lange Zeit noch Briefe geschrieben obwohl es schon Emails gab. Es hat etwas viel Persönlicheres und Intimeres. Dein Text in Kalligraphie sieht kostbar aus.

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    • Mir geht es wie dir. Obwohl ich mich sogar wissenschaftlich mit Handschrift beschäftigt habe und Brieffreundschaften pflegte, kann ich mich vor dem kulturellen Umschwung nicht verschließen. Derzeit hadere ich noch mit mir, ob ich echte Weihnachtspost verschicken soll. Weil ich die Karten selbst gestalten wollte, ist es fast zu spät, und am Ende wirds doch nur digital. 😦
      Dankeschön für das kostbare Lob.

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  3. Dein Text über die Kalligraphie kommt mir heute wie gerufen. Ich selbst mag Handgeschriebenes, das merkt man ja an meinem Blog. Schöne Schriften fallen mir auf. Sie müssen gar nichts besonderes sein, aber so manche Handschrift eines Mannes hat mir schon besser gefallen, als….lassen wir das. Ich habe leider keine Ahnung davon, aber meine fünfzehn jährige Nichte, beschäftigt sich seit längerem damit. Sie zeichnet viel und verbringt Stunden damit Gedichte oder Liedtexte mit dem Füller zu schreiben. Ich würde ihr gerne ein Buch zum Einstieg zu Weihnachten schenken. Hast du einen Tipp für mich?

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  4. Ich habe nur wiedergegeben, was Eikel selbst gesagt hat. Wie er sich gegenüber Studenten verhalten hat, wusste ich nicht und nehme es zur Kenntnis. Aaaber: Einfach eine Aussage von mir herauszupicken und sie mit „keinesfalls“ völlig unbegründet als falsch hinzustellen, ist schlechter Stil. Wer auf meinem Blog polemisiert, fliegt raus. Gelbe Karte!

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  5. danke für den link, war interessant zu lesen. Bei den Juden gibt es extra ausgebildete und zertifizierte Kalligraphen, die damit das Recht erwerben, Bibeltexte zu schreiben, las ich heute bei einer kurzen Recherche,, die ich anlässlich meiner „Schlangenschrift“ anstellte. (www.domestika.org)

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