Adventskalender – 11. Türchen – Kostenlose Weil-Heilung und obendrein ein Kölsch

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Tut mir gar nicht leid, dass ich den Frauenarzt gleich vor den Kopf gestoßen habe, als er sich im Goldenen Einhorn zu uns an den Tisch setzte. Denn er war doch eigentlich nur des Stehens müde gewesen. Andererseits hatte er darum gebettelt, ohne es zu wissen. Nach einigen Worten hin und her sagte er nämlich: „Ich habe es ja mit der falschen Verwendung von weil.“ Och nö, dachte ich, bisher war der Abend ganz gesellig, und so soll er auch bleiben. Der Mann hätte sagen können, ich habe Hühneraugen, Rücken, schlimme Leberwurst oder sonst was. Dann wäre ihm all mein Mitgefühl zugeflossen. Aber die falsche Verwendung von „weil“ als Kreuz zu haben, ist eine gar müßige Krankheit, denn man lädt sie sich mutwillig auf den Hals. Ich saß mit meinem Freund Coster in seiner am heutigen Dezemberabend überfüllten Aachener Stammkneipe. Wir feierten meinen Abschied, weil ich in der kommenden Woche nach Hannover ziehen würde.

Weil ist eine unterordnende Konjunktion. Das Wörtchen leitet den Nebensatz eines Gliedsatzgefüges ein: „Ich würde mich gern zu Ihnen an den Tisch setzten, weil mir die Füße schmerzen.“
Man kann den Nebensatz auch voranstellen:
„Weil mir die Füße schmerzen, würde ich mich gern zu Ihnen an den Tisch setzen.“

Egal, wo der Nebensatz steht, sein finites Verb gehört an den Schluss. Standardsprachlich falsch wäre: „Ich würde mich gern zu Ihnen an den Tisch setzten, weil mir schmerzen die Füße.“
Die grammatische Fehlstellung von weil ist recht oft zu hören. Darüber regte sich also der Frauenarzt auf. Wieso eigentlich? Regte ich mich etwa über Entwicklungen in der Frauenheilkunde auf? Soll sich doch jeder um sein Metier kümmern.

Die grammatische Fehlstellung ist vermutlich eine Analogiebildung, eine fälschliche Gleichsetzung der Konjunktionen weil und denn:
„Ich würde mich gern an Ihren Tisch setzen, denn mir schmerzen die Füße.“

Das ist standardsprachlich richtig, weil „denn“ eine nebenordnende Konjunktion ist, also zwei Hauptsätze verbindet. (Ich würde mich gern an Ihren Tisch setzen. Mir schmerzen die Füße.)

Gut, der Frauenarzt saß bequem, hatte ein frisch gezapftes Kölsch vor sich, konnte die Füße unterm Tisch ausstrecken und seine Hühneraugen lüften, wenn er welche hatte. Warum also noch meckern? Wir hätten ihn in jedem Fall zum Sitzen eingeladen, weil denn wir sind ja keine Unmenschen, hatten ebenfalls je ein frisch gezapftes Kölsch vor uns und wollten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Da muss sich kein Frauenarzt als Sprachpapst aufführen, weil er sich vielleicht von Herrn Bastian Sick hat aufhetzen lassen und jetzt mit seinem Bildungsdünkel protzen will. Diesen Kerl habe ich sowieso gefressen. Hat beim Spiegel jahrelang nur Korrektur gelesen und weil seine Stelle eingespart wurde, schwang er sich ungebeten zum Oberlehrer der Deutschen auf. Die Kollegen vom Spiegel hielten ihm die Steigbügel mit blöden Titeln wie „Rettet dem Deutsch“ (Oktober 2006), womit sie die „Verlotterung“ ihrer Sprache gleich auf dem Titelblatt demonstriert haben.

rettet dem DeutscDarum stieß ich den Frauenarzt vor den Kopf, bevor er überhaupt erklären konnte, warum er ein Kreuz mit der falschen Verwendung von weil hatte. Ich sagte: „Jacob Grimm schreibt, jede vermeintlich falsche grammatische Erscheinung zeige entweder Reste alter Sprachzustände oder kündige neue an.“

Da schluckte der Frauenarzt augenblicklich sein Weil-Lamento runter, und glücklicherweise hatte er ein Kölsch zum Nachspülen. Der Abend war, was mich betrifft, gerettet. Sprachpfleger nerven. Diese geistigen Kleingärtner wollen aus einer prächtigen Wildblumenwiese unbedingt einen englischen Rasen machen. Dabei übersehen sie, dass sie die Totengräber jeder lebendigen Sprache sind, weildenn wir brauchen Biodiversität auch in der Sprache und keine sprachliche Monokultur. Sprache muss sich zudem verändern dürfen, und wie anders sollte es gehen als durch Regelverstöße? Der Duden „Richtiges und gutes Deutsch“ verzeichnet bereits im Jahr 1985, dass die Fehlstellung von weil in der gesprochenen Sprache häufig vorkommt, was bedeutet, dass sie vielen Sprechern gar nicht mehr auffällt. Gäbe es solche Veränderungen im Sprachgebrauch nicht, würden wir noch reden und schreiben wie unsere Altvorderen, beispielsweise so:

„Jeder Deutsche, der sein Deutsch schlecht und recht weiß, d. h. ungelehret, darf sich (…) eine selbsteigene, lebendige Grammatik nennen und kühnlich alle Sprachmeisterregeln fahren lassen.“
(Jacob Grimm in der Vorrede zur Deutschen Grammatik).

Guten Morgen und schönen Tag!

28 Kommentare zu “Adventskalender – 11. Türchen – Kostenlose Weil-Heilung und obendrein ein Kölsch

  1. nachdem ich den beitrag gelesen hab und nachdem ich dir recht geb, mag ich doch hiermit und somit noch auf den bei uns recht gebräuchlichen und auch noch nicht korrekten kausalen einsatz von nachdem (statt weil) hinweisen. aber die satzstellung stimmt dabei wieder;-)

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  2. Ich mag mich auch an euren Tisch setzen, ich weiß nämlich nie, wann ich „als“ und „wie“ einsetzen muss. Würde ich gerne mal so erklärt bekommen, dass ich es mir merken kann. Weil ich nämlich noch immer lernfähig bin 🙂 Beim schwäbischen Dialekt gibt es so einige Verstöße gegen die Grammatik. Ich mag lebendige Sprache solange sie nicht zur sms Kurzform mutiert.

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    • Als ist ja eine Gliedsatzkonjunktion der Zeit, verweist also auf einen zeitlichen Ablauf. Als tritt auch auf etwa bei „größer als, kleiner als …“ Wie dagegen ist eine Vergleichspartikel, ist also nur angebracht, wenn du etwas vergleichst, oder als Fragewort. Für weitere Hilfen müsstest du mir schon Satzbeispiele geben, damit ich weiß, wo das Problem auftritt. Auch die SMS-Abkürzungen sind ein Kode zur Verständigung, mithin kreative Sprachnutzung.

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        • „wie“ ist die Vergleichspartikel beim Positiv, zeigt Gleichheit an Franz ist so groß (Positiv) wie Anna. „als“ ist die Vergleichspartikel beim Komparativ („größer“) Herbert ist größer(Komparativ) als Franz. Aber eigentlich ist das nur eine momentane Festlegung. Offenbar empfinden die Schwaben den Unterschied nicht. Darum will ich auch nicht sagen, dass es falsch wäre.

          Ich mag derlei Sprachberatung nicht machen, weil ich dann eigentlich gegen meine Überzeugung handele.

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        • Da haben wirs im bairischen Sprachraum leichter als wie die Schwaben, weil wir sagen: ich bin größer als wie du. Also können wir als und wie gar nicht verwechseln 😉
          (Ödön von Horváth etwa stellte seinen Geschichten aus dem Wiener Wald als Motto den erhabenen Satz voran:
          »Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.«)

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  3. Für eine Weile im Goldenen Einhorn zu sitzen und diesen Gesprächen zu lauschen, gefällt mir. Erstens weil ich gerne einmal an einem Ort wäre, der „Goldenes Einhorn“ heißt und zweites weil es ein Abend wäre an dem ich mich zurück lehnen könnte – ja müsste – und nur zuhören würde. Geht es um Grammatik bin ich lieber still. Aber ich lese gerne darüber, wenn sie mir von dir, lieber Jules, näher gebracht wird. Sehr vieles von dem, was ich bisher bei dir über die Sprache gelesen habe, ist hängen geblieben. Jedes Mal wenn ich zum Beispiel einen Satz mit „Ich“ beginne, denke für ich einen kurzen Moment an deinen Text vor einigen Tagen. Ich – kurzer Gedankenstop – vermute es liegt an der Leidenschaft mit der du über die Sprache, die Wörter und ihre Zusammenhänge schreibst. Eingebettet in herrliche Alltagsgeschichten. Wie ein Lehrender, aber nie Oberlehrerhaft.
    Liebe Grüße und danke für dieses Türchen.

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    • Es freut mich, dass ich etwas von meiner Begeisterung für Sprache und Schrift vermitteln kann. Gerne hier, aber auch gerne im Goldenen Einhorn am Aachener Markt gegenüber dem historischen Rathaus. Mit dir im Goldenen Einhorn zu sitzen, stelle ich mir wunderschön vor, liebe Mitzi. Es würde dir sicher da gefallen. Die vordere Schankstube war Costers Wohnzimmer. Die Bilder an den Wänden tragen auf der Rückseite Bleistiftprotokolle von Costers Hand, worin irgendein gemeinsames Trinkgelage dokumentiert ist. Du könntest dich gerne zurücklehnen, aber es wäre auch schön, dich zu hören, und sicher klüger, mich zu bremsen, weil ich nämlich aus dem Stand viele Stunden über sprachliche Themen reden kann. Da ist’s schon besser, wenn alles gut portioniert im Teestübchen erscheint und jeder ein- und ausblenden kann, wie es gerade passt.
      Liebe Grüße!

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  4. Wie hast Du bloß dieses gif hingekriegt? Wie hast Du es geschafft, daß sich der untere Teil bewegt, während der obere starr bleibt?

    Mich nervt es manchmal, wenn Leute grammatische Regeln willkürlich oder aus Unwissenheit verbiegen, es ist ein ästhetisches Unbehagen. Aber ich beruhige mich dann damit, daß mir selbst das auch passiert, aus Schludrigkeit oder Faulheit, was ich großzügig hinnehme. Und die Großzügigkeit, die man sich selbst zugesteht, muß man natürlich auch anderen gewähren.

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    • Just dieses Gif is mir eigentlich misslungen, weil nicht fertig. Ab er ich wollte nicht noch mehr Zeit darauf verwenden, weil die Gifs ja meistens unbeachtet bleiben.
      Ich habe zuerst Vordergrund und Mittelgrund des Wassers herauskopiert, dann mit 50% Transparenz übers Bild gelegtund in etwa 5 Schritten um je einen Pixel nach rechts verschoben (immer mit dem Original darunter gruppiert). Von der fertigen Phasen habe ich dann den Vordergrund des Wassers ausgeschnitten und ihn jeweils um einen Pixel nach rechts verschoben, so dass der Vordergrund sich ein wenig schneller bewegt als der Mittelgrund. In die fertigen Phasen habe ich dann die Boje einmontiert und je Phase ein bisschen bewegt, gekippt oder je einen Pixel auf- oder abwärts. Das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend. Ich hätte mindestens fünf weitere Bewegungsphasen machen müssen, auch gegenläufig, und die Boje bewegt sich zu sehr.

      Deinen Standpunkt zur Regelkonformheit kann ich verstehen. Ich zwinge mich aber zur Toleranz, denn sie ist die Konsequenz aus dem abschließenden Jacob-Grimm-Zitat.

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  5. Selbst auf die Gefahr hin, zu nerven, möchte ich Dir widersprechen. Dein Argument von der Biodiversität klingt zunächst überzeugend, aber wenn man das Phänomen etwas genauer betrachtet, stimmt es nicht. Diejenigen, die jetzt (falsche) Sätze mit „weil“ bilden, indem sie die Konjunktion nebenordnend gebrauchen, benutzen sie nur noch selten unterordnend, und vor allem benutzen sie die Konjunktion „denn“ so gut wie gar nicht mehr. Wer „ich esse, weil es schmeckt mir“ sagt, sagt kaum noch „ich esse, weil es mir schmeckt“, und auch nicht „ich esse, denn es schmeckt mir“. Hier herrscht also gerade keine Diversität mehr, im Gegenteil: Eine neue Pflanze ist gewachsen, ein Unkraut, während zwei alte Kulturpflanzen langsam aussterben. Es ist zum Weinen!

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    • Du nervst nicht. Ich glaube nur, dass du die Bereiche vermischst. Wer wie du lektoriert, muss natürlich auf normgerechte Sprache achten. Dabei beziehst du dich auf einen aktuellen Sprachzustand und erlebst jede Veränderung als eine Verletzung dieses Ideals, so als würde eine dir vertraute Person plötzlich mit Glatze daherkommen..
      Ich glaube, dass du im Fall von „denn“ keine statistischen Befunde hast, sondern ein Evidenzurteil gefällt hast, weil du mir etwas beweisen wolltest. In der geschriebenen Sprache habe ich „denn“ bislang nicht vermisst, denn wir alle benutzen die Konjunktion noch, obwohl wie gesagt der Duden schon vor 30 Jahren die Fehlstellung von „weil“ in der gesprochenen Sprache verzeichnet hat.
      Ich möchte einem Muttersprachler nicht vorschreiben, wie er seine Sprache zu sprechen hat. Sollte er einen Roman schreiben und dir zum Lektorat vorlegen, wird er ertragen müssen, von dir korrigiert zu werden, denn da hat er sich nach der derzeitigen Schriftnorm zu richten, es sei denn, er heißt Arno Schmidt oder ist der Krimi-Autor Wolf Haas.
      Mein Fehler war, von Biodiversität zu reden. So ist es natürlich naheliegend, dass du von „Unkraut“ sprichst. Aber in der Sprache gibt es kein Unkraut, nur Erscheinungen, manche schöner als andere.
      Ich bitte um Toleranz, denn die Sprache gehört allen.

      P.S.: Nur tote Sprachen verändern sich nicht mehr. Der Wandel ist das Kennzeichen einer sogenannten lebendigen Sprache. Kannst du mir sagen, wo und wie sich etwas verändern darf, ohne dass du weinen musst?

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      • Ich will nichts beweisen, hier schon gar nicht. Natürlich fallen mir immer die Fehler auf (wenn ich sie so nennen darf), zwar nicht in der von Profis geschriebenen Sprache, aber in der von Journalisten und Politikern gesprochenen, und das finde ich schon bedenklich. Aber es ist glücklicherweise noch nicht so weit, daß der berühmte Film mit James Dean „Weil sie wissen nicht, was sie tun“ heißt, und an Heiligabend hören wir auch nicht „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; weil sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“ (nach Lk 2,7).

        Was darf sich wandeln, ohne daß ich weinen muß? Das ist eine schwierige Frage, aber es gibt Änderungen, die mir gefallen. Ich liebe zum Beispiel die von staatlichen Verordnungen angeregte Phantasie der Franzosen, wenn es darum geht, französische Pendants zu englischen Wörtern zu (er)finden: baladeur für walkman, texto für SMS, V.T.T. (vélo tout terrain) für mountainbike, navette für shuttle, logiciel für software, courriel für mail, etc., etc. Dagegen sind die Deutschen einfallslos bis zur Stupidität; mit neuen (und auch nicht so neuen) Produkten werden immer auch gleich die englischen Namen übernommen bzw. erfunden (Bsp.: followfish!). Manche gucken einen schief an, wenn man „Rechner“ sagt. Total witzig wiederum ist der souveräne Umgang der frankophonen Quebecer mit dem Englischen; viele englische Wörter werden übernommen, aber so geschrieben, wie man sie auf französisch schreiben würde: pinottes = peanuts, filer = to feel, tof = tough, ouiqueinde = weekend, etc. Fortsetzung folgt vielleicht ein andermal …

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        • Dankeschön für deine ausführliche Antwort. Was du eingangs schreibst, ist genau das Problem der Sprachpfleger wie Bastian Sick oder Wolf Schneider. Sie kritisieren mit Recht die oft schludrige Sprachverwendung ihrer Journalistenkollegen. Wenn sie ihren Maßstab aber anderweitig anlegen, wird daraus ein Maulkorb. Ich hatte vor einigen Jahren per E-Mail einen Gedankenaustausch mit Wolf Schneider über seine Frau Lilo, die mir geschrieben hat, nachdem ich mich heftig über Schneiders Bloggerschelte aufgeregt hatte http://trithemius.de/2012/02/01/huhu-sprachstilpapst-wolf-schneider/ – denn ich finde es kontraproduktiv, Blogger auszubremsen und ihnen vorzuwerfen, dass Sie noch keine professionellen Schreiber sind. Es ist viel wichtiger, dass Menschen sich in diesem unserem Medium von geistiger Bevormundung durch Berufsschreiber emanzipieren, sich eigene Gedanken machen, sie ausformulieren und in den Prozess des semantischen Lernens eintreten. Wo ihnen sprachliche Mittel fehlen, werden sie sie sich aneignen.
          Ich finde es witzig, dass du Veränderungen am liebsten in anderen Sprachen beobachtest. Wenn du meinst, dass Deutsche einfallslos wären, dann liegt es vielleicht am Obrigkeitsdenken und an der Ehrfurcht vor Sprachnormen, obwohl die ja auch nur von Menschen gemacht und nicht vom Himmel gefallen sind. So gesehen beackern wir verschiedene Felder, liebe Dorothea: Du achtest professionell darauf, dass Sprachnormen eingehalten werden, ich ermuntere zum unprofessionellen Schreiben.

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          • Ich habe zu danken, für Deinen ausführlichen Kommentar. Daß ich öfter die Ebenen verwechsle, ist wohl eine déformation professionelle, aber Du hast natürlich recht damit, daß es beispielsweise beim Bloggen um anderes – wichtigeres – geht. Ich werde versuchen, nachsichtiger zu sein (was ich manchmal schon bin).

            Was die Veränderungen unserer Muttersprache betrifft, so habe ich wirklich selten Grund zur Freude. Wie gesagt, die Deutschen sind in der Regel geistlos und witzlos, was Spracherneuerung betrifft; eine Rechtschreibreform bekommen die Bürokraten hin, aber die neuen Regeln spiegeln gerade nicht den tatsächlichen Sprachgebrauch wider, und angesichts dessen wundert es nicht, daß die Leute heute viel mehr Fehler machen als vor der Reform. Kein Mensch hat früher „Strasse“ geschrieben, und die Wörter, die heute getrenntgeschrieben werden, obwohl sie zusammengehören, gehen auf keine Kuh Haut. Und dann der Umgang mit Anglizismen. Statt „Ketchup“ sollten wir „Ketschup“ schreiben. So ein Blödsinn! Viel konsequenter wäre „Ketschapp“ gewesen, aber das hat man sich nicht getraut. Die Beispielreihen ließen sich fortsetzen. Kurz: Mich stören nicht Veränderungen an der deutschen Sprache an sich, sondern mich stören – abgesehen von der lächerlichen Schockstarre vor dem Englischen – die von oben verordneten Veränderungen, und mich stört vor allem, daß die Deutschen sie – wie zu erwarten war – brav geschluckt haben, obwohl sie ihnen nicht bekommen.

            Mir gefällt übrigens, wenn manche deutsch alphabetisierten Jugendlichen das sog. Türkendeutsch verwenden. Aber das ist leider auf wenige Jahre begrenzt; als Erwachsener darf man so nicht sprechen, und es wird die Entwicklung der deutschen Sprache wahrscheinlich kaum prägen.

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            • Ich glaube, die Orthographiereform ist im Gezänk der Zwischenstaatlichen Kommission zu einem Kompromiss verkommen, mit dem niemand wirklich zufrieden ist. Die allgemeine Unsicherheit ist nicht unbedingt die Folge der Reform, sondern Resultat der geringen Akzeptanz durch Zeitungen, Pressagenturen und Verlage. Viele sind zunächst nur zögerlich gefolgt und haben letztlich eine Hausorthographie eingeführt (dpa, Springer, FAZ), Die Titanic beispielsweise benutzt noch immer alte Rechtschreibung.Indem mit der Reform das Monopol des Dudens gefallen ist, können ja auch andere Verlage Wörterbücher auf der Grundlage der amtlichen Regeln herausbringen. Zwischen Wahrig und Duden soll es starke Abweichungen geben. Der Effekt ist, dass die Rechtschreibung genau so buntscheckig dasteht, wie sie Konrad Duden 1903 hatte abschaffen wollen. Wie soll sich da der Alltagsschreiber zurechtfinden, wenn die Wörter nicht einheitlich gedruckt werden? Nicht jeder hat die Zeit, sich mit den Irrungen und Wirrungen der Reform zu beschäftigen. Von mir aus kann jeder schreiben wie er Kleingeld hat. Da kann dann auch das eine oder andere zarte kreative Pflänzchen sich recken. Die amtlichen Regeln gelten ja nur für Schulen und Beamte.

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  6. Weil wenn wir einmal bedenken, was so ein Frauenarzt beim Ausüben seiner Tätigkeit so alles sieht, dann wird es uns nicht wundern, wenn es dem einen oder den anderen die Sprache verschlägt … also, ein kleiner Weil-Fehler das geringere Übel …

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  7. Ich frage mich die ganze Zeit, wie der Frauenarzt dazu kam, Dir sein Leid zu klagen. Hat er mitgehorcht, oder bist Du für Deine sprachlichen Exkurse im Goldenen Einhorn bekannt? Egal, der Begriff geistige Kleingärtner gefällt mir ausgesprochen gut und wird hoffentlich von mir nicht verlegt 😉

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