Alljährlich das gleiche Gedöns – Zwei Anrufe im Bus

Im vollbesetzten Bus der Linie 100 telefoniert einer.
„Reg dich nicht auf, Schatz, am 19. kommt die Fußbodenheizung rein.“
Ich frage die Frau neben mir: „Wann kommt die Fußbodenheizung rein?“
„Ich weiß nicht“, sagt sie, weil sie offenbar in Gedanken gewesen ist.
„Am 19.“, sagt der Mann, der neben uns im Gang steht.
„Wieso erst am 19.?“, fragt die Frau mit Kinderwagen.
Die Busfahrerin bläst ins Mikrophon: „Ich finde es auch knapp, so kurz vor Weihnachten. Kein Wunder, dass Frau Schatz in Panik gerät.“

Alle gucken Herrn Schatz an, der rasch sein Smartphone wegsteckt und sich im Sitz aufrichtet:
„Ich heiße überhaupt nicht Schatz!“
„Aber Ihre Frau!“, sage ich.
„Nein, ich nenne sie nur Schatz. Ein Kosenamen!“
„Nennt sie Schatz und mutet ihr vor Weihnachten so einen Dreck zu!“, sagt die Frau mit Kinderwagen kämpferisch.
„Ja, genau!“, rufe ich. „In der Vorweihnachtszeit will Frau es doch gemütlich haben und Plätzchen backen!“
„Und keine staubigen Handwerker mit dreckigen Schuhen im Haus haben“, pflichtet der Mann im Gang mir bei.
„Handwerker mit dreckigen Schuhen oder Handwerkerinnen mit dreckigen Schuhen!”, korrigiert Frau Kinderwagen, „soviel Zeit muss sein!”
„Wieso sollte nur die Frau immer Plätzchen backen?“, fragt meine Sitznachbarin jetzt auch noch keck. „Sie haben ja altmodische Vorstellungen.“
„Wieso ich? Herr Schatz ist es doch, der sich nicht um die Plätzchenbäckerei kümmert, sondern kurz vor Weihnachten noch eine Fußbodenheizung einbauen lässt.“
„Soll meine Familie Weihnachten denn frieren?“, fragt Herr Schatz, der ganz anders heißt, aufgebracht.
„Das hätten Sie sich auch früher überlegen können!“, sagt Frau Kinderwagen.
„Aber die Finanzierung war vorher nicht gesichert“, sagt der Schatz kleinlaut.
Da tönt die Busfahrerin über alle Lautsprecher im Bus: „Wer im Sommer nicht spart, dem ist der Winter zu hart!“
„Äsop“, murmelt der graumelierte Herr im teuren Mantel.
„Das hat sie wohl eher aus einer Fabel von La Fontaine“, sagt Herr Schatz, der froh ist, von sich ablenken zu können. “Die Heuschrecke fiedelt den ganzen Sommer und …”
„Ich wüsste nicht, dass unser Oskar Fabeln geschrieben hätte“, mischt sich jetzt der Mann in Anstreicherhose ein.
„Mischen Sie sich nicht ein, mischen Sie besser Farbe“, sagt Frau Kinderwagen spitz, „Herr Schatz meint nicht Ihren Oskar Lafontaine, sondern den französischen Dichter Jean de La Fontaine.“
„Und backen Sie besser Plätzchen, aber das können Sie Kampfemanze vermutlich nicht!“, sagt der Anstreicher.
„Ich kann Ihnen aber eine langen“, sagt Frau Kinderwagen, „Macho, Frechdachs, Banause und wer weiß was!“
„Ruhe im Bus!“ herrscht die Busfahrerin, „sonst halte ich die Luft an, bis ich blau im Gesicht bin.“
„Der Mann hat angefangen!“, rufen alle und zeigen auf mich.
Das Telefon von Herrn Schatz klingelt wieder.
“Schatz”, meldet er sich, “jetzt hör auf, im Bus rumzunerven! Die Heilige Familie hatte auch keine Fußbodenheizung!”

Das war ein ganz neues Argument, dem ich mich gern gewidmet hätte. Leider fiept mein Smartphone Wecker und ich muss aussteigen, äh, aufstehen, um den Bus zu kriegen. Da ging natürlich alles wieder von vorne los.

46 Kommentare zu “Alljährlich das gleiche Gedöns – Zwei Anrufe im Bus

    • Das freut mich. Tatsächlich eingefangen ist der erste Anruf. Was dann kommt, ist erträumt. Ich habe mich gefragt, was wäre, wenn man sich in so ein lauthals geführtes Privatgespräch einmischt. Man sollte es regelmäßig tun. Dann wäre bald Schluss mit der albernen Telofoniererei in der Öffentlichkeit.
      Gerne. Weil die Planung von Beiträgen hier gut funktioniert, gibt es das zweite Türchen schon ab 5:30 Uhr.

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        • Wenn du über WP Admin auf Beitrag erstellen gehs, hast du rechts einen Kasten „Publizieren„.
          Da klicke auf „Sofort publizieren Bearbeiten„, dann geht ein Kalenderfeld auf, wo du Datum und Uhrzeit festlegen kannst. Abschließen mit ‚OK‚ und ‚Planen‚, schon hast du deinem Beitrag einen Zeitstempel verpasst. Ich stehe zwar früh auf, aber freiwillig. Wenn ich müsste, hätte ich den ganzen Tag schlechte Laune. So kann ich den Beitrag für den nächsten Tag in Ruhe vorbereiten und zumindest theoretisch noch im Bett liegen. Allerdings wollte ich sehen, ob da keine ungeduldige Mitzi an der Redaktionstür kratzt. 😉

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      • Genau das ist mir mal passiert. Vor ein paar Jahren. Straßenbahn Linie 18 Köln Klettenberg…Ich telefoniere grundsätzlich nicht in der Öffentlichkeit. Mich nerven so Bus allein Unterhalter schließlich auch. Und dann habe ich es ein Mal doch getan und ich habe wirklich alles andere als geschrien. Zumal es in der Bahn eh sehr laut war.. Und prompt hat dieser Mensch neben mir tatsächlich damit angefangen mein Gespräch zu kommentieren und mich nachzuäffen. Daraufhin haben wir beide dann mal ne Runde die Bahn unterhalten…Ich hab mich damals so geärgert!
        Aber es hat geholfen. Seit dem bekomme ich Schweißausbrüche, sobald mein Handy auch nur zu klingeln beginnt…
        😉

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        • Ich wars nicht, liebe Jennifer, wollte dich vor allem niemals ärgern 😉 Als die Handy-Plage aufkamen, ungefähr zu der Zeit, als du gelernt hast, mit rechts zu schreiben, habe ich in der TITANIC eine Seite mit Handy-Parodien veröffentlicht. Damals dachte ich noch, das öffentliche Telefonieren wäre eine vorübergehende Zeiterscheinung und meine Satire würde helfen, dass die Leute vernünftig werden. Das war natürlich Quatsch. Es gibt offenbar keinen Grund, vernünftig zu werden.

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          • Ach, ja. Zu jeder Bewegung gibt es eine Gegenbewegung, lieber Jules. Ein paar konntest du sicherlich retten.
            Ich kann deine Abneigung gegen das öffentliche Telefon Geplärre verstehen. Ich telefoniere nicht gern. Auch an das kommentieren musste ich mich erst gewöhnen. Mir fehlen da Mimik und Gestik, Berührungen…
            Wenn ich im still schweigenden Bus sitze, in dem nichts zu hören ist als der Allein Unterhalter, dann ärgere ich mich weniger über ihn. Viel mehr frage ich mich warum es eigentlich so still ist, warum wir da so schweigend nebeneinander sitzen?
            Ich hatte schon einige wirklich interessante oder auch amüsante Gespräche, die schlicht daraus resultierten, dass sich jemand neben mich gesetzt hat. Im Zug, im nächtlichen Kölner Hauptbahnhof, im Wartezimmer.
            Ständig am Telefon zu hängen führt irgendwie zu einer Art Tunnelblick. Man verschließt sich gegenüber Begegnungen. Aber genau das ist wohl Sinn und Zweck der ganzen Übung. Wir lernen immerhin schon als Kinder, dass man sich von Fremden Menschen nicht ansprechen lässt…
            Die Parodien hätte ja ich zu gerne mal zu Gesicht bekommen 🙂

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            • Du wundersame Jennifer kommst mir vor wie eine seltene schöne Blume, die noch einen Duft bewahrt, der nicht mehr von dieser Welt ist. Die meisten Frauen telefonieren so unheimlich gern; ich habe das nie verstanden, weil ich die Ferngespräche für eine moderne Pest halte. Beim Bloggen und Kommentieren überwiegen die Vorteile, denn es wäre doch höchst unwahrscheinlich, dass wir mal zufällig nebeneinander im Bus oder Zug säßen und wir ins Plaudern kämen. Die Parodien lege ich mal auf den Scanner, sobald ich sie finde, und zeige sie, quasi als Nachhall des heutigen Türchens.

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              • Ach, Du bist mir ja Einer. Ich bin quasi dufte? 😉 Ja, danke. Gleichfalls. Mindestens!
                Na, vielleicht würden wir ja doch ins Gespräch kommen…Wer weiß.
                Ich werde jedenfalls gespannt Ausschau halten, nach den Parodien und nach meinen zukünftigen Sitznachbarn.
                Schönen Abend, du Lieber!

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            • Hier ist es schon. Aus Heft 10/1995 (du liebe Zeit, 20 Jahre alt) – gestaltet aus vorgefundenem Material aus Zeitschriften – größer: Bitte klicken! Viel Vergnügen!

              Nebenbei: „dufte“ Berlinerisch, im 19.Jahrhundert aus dem Rotwelschen entlehnt.

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              • „Der Schwarzenegger unter den Schnurlosen.“ Was bleibt da noch sagen?
                Danke, für das schnelle raus suchen. Anscheinend warst du bereits vor zwanzig Jahren echt dufte 😉
                Lieben Gruß

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  1. Hab mich herrlich amüsiert über die Unterhaltung …und die Kommis. Ich gebe zu, einmal hab ich wirklich ein Telefonat gestört, aber ganz knapp vor meiner Haltestelle, so dass nur ein erstauntes Aufsehen des Telefonierenden und ein Schmunzeln der Fahrgäste in meinem Rücken zu spüren war: „Schatz, komm wieder ins Bett!“ …ob es geholfen hat, weiß ich nicht 😉 .Liebe Grüße und danke für das erste Türchen.

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  2. Köstlich, diese Busszene aus dem Zwischenwirklichen.

    Jetzt erst komme ich zu dem nachträglichen Adventtürchenaufmachen. Aber es macht immer Spass, wie in der Kindeheit, auf einmal mehrere Adventstürchen aufzumachen und die darin liegende Schokoladenration für mehrere Tage auf einmal zu essen. Und das, wo in der UdSSR nicht einmal Adventskalender gab und den einzigen Adventskalender, den ich in einem zwiwlichtigen Kiosk auftreiben konnte, hiess „Schokospiel aus Deutschland“.

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  4. Lieber Jules,
    Eine tolle Geschichte. Wenn meine elektronische Handfessel im Bus losbölkt, muss ich das Ding erst einmal auf Telefonieren. ich mache viele praktische Sachen damit; bloggen, Spanischitalienischrussischlernen, Nachrichtenlesen, bald Ebooklesen, wenn ich nicht zu blöd für Googleplay bin, was ich nämlich nicht habe, da ich nur mit so einem albernen angebissenen Apfel arbeite, Rezepte nachkochen, Gedichte in Notizen ablegen, Musik dudeln und Kommentare ins Display hacken. Nur Telefonieren….ja…also…das kann ja das Ding auch. Wenn nicht der Akku vorher abpfeift oder ich das Ding wieder irgendwo vor mir selber versteckt habe. Ein Busnachbar wollte mir mal suchen helfen. Wieso haben Sie ihr Handy so weit weggepackt? Wollte die freundliche Dame wissen und suchte in der Sitzplatzritze. Da fand ich den Hund, die Ente, nein das Handy schnattert wie eine Ente, ah meine Tochter! Aber da war das Gespräch schon weg. Wurde aber trotzdem nicht langweilig, denn die hilfreiche Dame war ja neben mir. Isses wech?

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    • Liebe Amélie,
      danke für dein Lob und deinen amüsanten Erfahrungsbericht. Tatsächlich ist ja das Smartphone die digitale eierlegende Wollmilchsau. Die diversen Funktionen sind ganz selbstverständlich geworden. Als ich mal nur die Digitalkamera bei mir hatte, wunderte ich mich, dass ich damit nicht telefonieren konnte. Aber das Smartphone macht auch oft Dinge, die es nicht soll, schickt beispielsweise unfertige Nachrichten raus oder ruft Leute an, die man gar nicht meinte. Ich habe das Teil seltenst bei mir, es ist mir zu sperrig. Aber vermutlich kommt bald eines, das man zerknüllen kann.
      Ich wünsche Dir von Herzen ein schönes Weihnachtsfest
      Jules

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