Ein blöder Untertitel und Bestrickendes von Tante Liesel

Herrje, was war das heute Morgen wieder für ein Aufruhr im Teestübchen-Bildarchiv. Ein Bild mit vielen Leuten drängte sich nach vorne. „Wenn wir jetzt nicht veröffentlicht werden, geht es uns wie diesem blöden Urban-Knitting-Bild. Wir müssen ein Jahr warten, bis wieder Endsommer ist und wir dem Trittenheim in den Kram passen.“
„Also gut“, sagte der Trittenheim, „eigentlich habe ich keine Verwendung für euch, aber wenn ich euch auf den Titel hebe, schreibe ich wohl was Blödes drunter.“ Er wusste nämlich, dass nicht nur die Titel totalitär sind, wie Kollege Merzmensch in seinem Video sagt, sondern auch und besonders die Untertitel.

fuck„Die Fuck family kommt!“ – Foto: Trithemius

„Die Fuck family hat doch keine Ahnung“, meckerten die bestrickten Bäume, „wer sagt denn, dass wir im Endsommer gut platziert wären. Es muss schließlich mindestens Herbstlaub an den Bäumen hängen, damit …“
„Stänkert hier nicht so rum, sonst hau ich euch heute schon raus!“, drohte der Trittenheim. Gesagt getan.

Aber jetzt fehlte Text. „Ich hätte da noch einen alten Riemen“, schlug Volontär Schmock vor, der in seiner kargen Freizeit unentgeltlich das „Lager“ genannte Archiv betreut, weil er endlich den Volontärstatus gegen den eines Redakteurs tauschen will.
„Dann hau ihn drunter, Schmock, brummte der Trittenheim genervt, „aber schreib ihn um, dass es keiner merkt!“
„Zyniker!“, entfuhr es Frau Kirchheim-Unterstadt aus der Registratur. Aber als sie „Tante Liesels Erbinnen“ gelesen hatte, zeigte sie sich gleich begeistert.
„Ist nur eine Fingerübung“, sagte Schmock verlegen, weil er doch schon lange in Frau Kirchheim-Unterstadt verliebt war.
5x-urban-knitting
Strickguerilla-Aktivistinnen – Tante Liesels Erbinnen
von Volontär Hanno P. Schmock

Die Texanerin Magda Sayeg aus Texas hat angeblich das Urban Knitting erfunden. Aber ich glaube, die erste Strickguerilla-Aktivistin war meine Patentante Liesel. Freilich hat sie nicht den öffentlichen Raum bestrickt, sondern mich. Ich erinnere mich mit Schaudern an einen grünen Pullover, den ich ihr zu Ehren tragen musste, weil sie ihn selbst gestrickt hatte, und er engte mich ein wie eine Wurstpelle, da Tante Liesel nie daran gedacht hat, ich könnte etwa seit dem ersten Pullover, den sie für mich gestrickt hat, gewachsen sein.

Später entwickelte ich eine Wollallergie, das hatte ich davon, und wer wie ich als Kind schon bestrickt wurde, ist für sein Leben gezeichnet. Alle möglichen Frauen verstanden und verstehen bis heute, mich zu bestricken. Sie verwenden mit Rücksicht auf meine Wollallergie unsichtbares Garn, das aber so reißfest ist wie der magische Faden Gleipnir, mit dem der Fenriswolf gefesselt wurde.

Ähem, vom Thema abgekommen. Es geht um Urban Knitting. Auf dem Höhepunkt der Emanzipationsbewegung hat so ziemlich jede Frau gestrickt, die etwas auf sich hielt. Frauen saßen nicht nur strickend in den Frauenteestuben, in denen kein Mann geduldet war, selbst nicht männliche Säuglinge im Kinderwagen. Sie strickten in den Seminaren, saßen da in ihr Strickzeug versunken, dass man dachte, die kriegen nichts mit, aber ab und zu hob eine den Kopf und gab ein harsches Statement gegen Frauendiskriminierung durch die männliche Sprache ab. Geblieben sind das scheußliche Binnen-I und noch scheußlichere Doppelformen wie Verwaltungsinspektoranwärter und Verwaltungsinspektoranwärterinnen. Alles nebenher herbeigestrickt.

Als das erreicht war Ende der 1980er Jahre, hörte die Strickerei auf. Erst im Jahre 2005 erfand die Texanerin Magda Sayeg das Stricken erneut, und weil vermutlich kein unschuldiges Patenkind in der Nähe war, bestrickte sie Bäume und andere Objekte im öffentlichen Raum. Prompt finden auch deutsche Frauen das Stricken wieder chic.
Urban-Knitting-an-der-Uni
In Hannover bestrickten Strickguerillia-Aktivistinnen letztens die berühmte Kröpke-Uhr im Stadtzentrum, und später verhüllten Strickwaren die hübschen Betonpoller vor dem Hauptgebäude der Leibniz-Universität. Da sehen sie fast aus wie kondomisierte Klopapierrollen auf den Hutablagen der Autos. Das hat nichts mit Penisneid zu tun. Strickguerilla-Aktivistinnen haben ein gutes Herz. Sie verschönern die Welt. Erst haben sie Mützchen für ihre Puppen gehäkelt, jetzt kriegen die Poller und auch nackte Bäume Mäntelchen, damit sie in den kommenden kalten Herbstnächten nicht frieren. Und natürlich sind die Pollerkondome und Baumstammmäntelchen nicht knallgrün, sondern bunt. Meine Tante Liesel würde staunen, wenn sie sehen würde, wie ihre Handarbeit sich weiterentwickelt hat. Aber vermutlich würde sie die Pollermützen zwei Nummern zu eng stricken und den Bäumen bliebe die Luft weg.

Fotos und Gif-Animation: Trithemius

13 Kommentare zu “Ein blöder Untertitel und Bestrickendes von Tante Liesel

  1. Ich verweigerte mich als Emanze dieses Diktats. Die Öko’s waren darin auch stark. Neben dem Müslizwang hatten sie auch Uniformzwang: Mit selbstgestickte Pullover, Fischerhemden und verblichenen Jeans (gab es inzwischen ja auch schon wieder) saß man im irischen Folkkonzert und erzählte vom Leben auf dem Lande.

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  2. Und nun zum aktuellen Text: Es ist also deine Patentante Liesel, die mindestens bundesweit als Strickliesel bekannt wurde. Schön, dass du ihr hier ein online-Denkmal setzt. Beim Lesen des Textes ging mir gerade auf, dass das Wort Frauenbewegung ganz offensichtlich auf „zwei links, zwei rechts“ gemünzt war. Oder habe ich da was falsch verstanden?

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    • Bevor die weibliche Leserschaft auf die Idee kommt, Farbbeutel oder Stinkbomben in mein Blog zu werfen, will ich rasch sagen, dass deine feinsinnige Vermutung schon deshalb nicht zutrifft, weil ich nur rechtsrum stricken kann, was jetzt nicht politisch gemeint ist. 😉

      Aber ernsthaft, ich bin den feministischen Linguistinnen schon ein bisschen gram, dass sie mit ihren Forderungen die deutsche Sprache so sperrig gemacht haben, weil sie das grammatische und das biologische Geschlecht nicht auseinander halten konnten.

      Tante Liesel ist ja leider tot und erlebt ihr Denkmal nicht mehr.

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  3. Aber die Sichtbarkeit von Frauen in der Sprache hat schon ihre Berechtigung. Als ich meinen ersten Beruf lernte, saßen da junge Frauen, die so wie ich Industriekaufmann wurden. Auch auf Hochschulzeugnissen stand noch „Diplomkaufmann“. Da waren die Korrekturen angebracht. Ansonsten leide ich auch unter dem Durchgendern von Texten.

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    • Zweifellos! Das Beispiel Kaufmann ist unbestreitbar kurios, aber oft nicht mal den Frauen bewusst. Als ich mal eine Künstlerin interviewte, die zusammen mit anderen die komplette Giebelwand eines Hauses gestaltete, sagte sie “Wir sind zu neun Mann”, worauf ich sie leise korrigieren musste: “Es sind offenbar auch Frauen dabei.” Hier nachzulesen: http://trithemius.de/2011/06/30/vorwaerts-nach-weit/
      Desgleichen rufen sich Fußballerinnen die Warnung: “Hintermann!” zu. Freilich darf man von Mitgliederinnen von DamenMANNschaften keine sprachliche Sensibilität erwarten. Aber über das Suffix -er meckern. Nur bei Mutter oder Schwester ists noch keiner aufgefallen.

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