Ich möchte endlich mal einen richtig langen Text schreiben dürfen mit lauter breiten Wörtern wie Gesundheitswiederherstellungsmittel und Gesundheitswiederherstellungsmittelzusammenmischungsverhältniskundiger, ohne dass gleich so ein neumalkluger Sprachpolizist mit dem Zollstock kommt und sagt: „Ihr Text ist mindestens fünf Zentimeter zu breit für den Bürgersteig. Schreiben Sie doch statt Gesundheitswiederherstellungsmittel Arznei, Medizin oder von mir aus Medikament, obwohl Medikament hinsichtlich seiner Länge mit seinen zehn Buchstaben schon hart an der vom Ordnungsamt erlaubten Grenze ist. Aber hören Sie mal, Herr Trittenheim, Gesundheitswiederherstellungsmittelzusammenmischungsverhältniskundiger geht gar nicht. Jetzt stellen Sie sich das Wortungetüm doch mal für eine Zeitungsanzeige korrekt gegendert vor:
Rathausapotheke sucht freundliche Gesundheitswiederherstellungsmittelzusammenmischungsverhältniskundige bzw einen ähnlich freundlichen Gesundheitswiederherstellungsmittelzusammenmischungsverhältniskundigen
oder noch schlimmer als Kompositum mit Auszubildende.“
„Hallo, Herr Sprachpolizist, ist Ihnen jetzt vielleicht das Polizeipferd durchgegangen? Gehört mir etwa die Rathausapotheke? Ich hatte überhaupt nicht vor, eine Anzeige aufzugeben und diese Wörter zu gendern, sehe mich aber jetzt vor die Situation gestellt, dass die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser durch Ihre blöden Beispiele schon überbeansprucht wurde und einige möglicherweise einen Angstzustand bei sich entdeckt haben, nämlich die Hippopotomonstrosesquippedaliophobie, womit in Fachkreisen die Angst vor langen Wörtern bezeichnet wird.“
„Was heißt denn hier Fachkreise? Diese Fachkreise sollten wissen, dass der gemeine Leser, die durchschnittliche Leserin lange Wörter überhaupt nicht liest. Wenn ich hier mal rumfrage, wer sich das Buchstabieren der langen Wörter einfach geschenkt hat, werden einige rot. Diese Damen- und Herrschaften könnten nicht mal zu ihrer Entschuldigung sagen, sie wären Hippopotomonstrosesquippedaliophobikerinnen bzw. Hippopotomonstrosesquippedaliophobiker, weil sie das Wort nämlich überhaupt nicht gelesen, sondern nur überflogen haben.“
„Ehrlich gesagt habe ich mal einen Text verfasst, worin Hippopotomonstrosesquippedaliophobie
vorkommt. Den würde ich mich auch nicht trauen bei einer Lesung vorzutragen, weil ich das Wort dann komplett lesen müsste. Da hätte ich Angst, mich zu verhaspeln oder die Leute wären schon eingeschlafen, wenn ich grad erst bei Hippopotomonstroses angekommen wäre. Dann hätte ich das elend komplizierte „quippedaliophobie“ ganz umsonst gelernt. Dabei ist der Text ganz interessant. Er handelt von einer alten Dame, die von der Vorstellung gepeinigt wird, in der Nacht würden kleine Männchen aus dem Fernseher steigen und ihre schönen Sachen gegen blödere Sachen austauschen. Mein Freund Filipe d’Accord, also der Musiker, mit dem ich letzten Samstag aufgetreten bin, der hat die Frau als Zivildienstleistender betreut. Einmal hat er zu ihr gesagt: „Da haben Sie aber einen schönen Blumenstrauß!“ Die alte Dame hat abgewunken, der wäre vorher noch viel schöner gewesen. Aber dann wären die aus dem Fernseher gekommen und hätten den Strauß gegen einen blöderen ausgetauscht.
Interessant ist ja, dass in den menschlichen Phobien nichts korrekt gegendert wird. Korrekt müsste es heißen, dass aus dem Fernseher Männchen und Fräuchen klettern, die alle schönen Sachen gegen blöde austauschen. Aber in einem solchen Fall höchster Gemeinheit will Frau eben nicht unbedingt mitgenannt werden.
Übrigens habe ich bei meiner Lesung am Samstag gemerkt, wie plötzlich im gesamten Auditorium die Aufmerksamkeit wegsackte, und das bei einer Textstelle, die überhaupt nicht langweilig, sondern im Gegenteil sehr lustig war und wo gelacht wurde. Da war ich für einen Moment irritiert, konnte das unkonzentrierte Volk aber durch meine geschickte Wortwahl und Beschreibung verrückter Vorgänge wieder einfangen. Da dachte ich nebenher, dass es nichts mit dem Lesen im Blog zu tun hat, wenn lange Texte nicht angenommen werden. Es ist nur so, dass die Aufmerksamkeit der Leute früher viel besser war. Aber dann kamen die aus dem Privatfernsehen und haben deren gute Aufmerksamkeit gegen eine Form von Aufmerksamkeit auf die blöden Werbepausen ausgetauscht, so dass die Leute sich mitten in meinem schönsten Text plötzlich fragen, wo eigentlich die Erdnüsse sind oder merken, sie müssen mal unbedingt Pipi machen.
Naja, besser sie gehen rechtzeitig, bevor ich einen lustigen Text lese, und es läuft vor Lachen alles in die Hose. Aber wenn das Malheur sowieso schon passiert ist, darf ich vielleicht endlich mal einen echt langen Text schreiben.
Hier stand vorher ein viel besserer Text. Kleine Fräuchen sind aus dem Internet gestiegen und haben ihn gegen einen schlechteren ausgetauscht. Wer/wie war das?!!!
ich stimme allem zu 😉 außer……… glaube ich nicht, dass Leser weniger Aufmerksamkeit haben, sie werden überschwemmt von Informationen, müssen eine Auswahl treffen und suchen nach Informationen, die sie ansprechen und dann auch weiterlesen lassen ! Dem Text gibt man eine gewisse Zeit, passiert nix, wandert man weiter 😉
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Neulich habe ich im Ratgeber „Besser schreiben lernen“ 47 Praxis-Tipps gelesen, dass man lange Wörter vermeiden soll. Da war ich vielleicht traurig, weil ich lange Wörter liebe. Möchte man nicht auf lange Wörter verzichten, dann soll man die unbedingt mit einem Strich trennen. Aua. Als ich dann noch las, dass man mittelkurze mit mittellangen Sätzen mischen soll, hat’s mir gereicht. Ich mache so ziemlich alles falsch. Aus mir wird nie eine berühmte Schriftstellerin.
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Ich glaube, solche Regeln stimmen nicht immer. Letztendlich muss der Inhalt transportiert werden.
Obwohl ich andererseits zugeben muss, ich lese englische Texte gerade deshalb lieber, weil sie einfacher geschrieben sind und dadurch genialer(auch Fachbücher)! Es ist schwieriger, sich interessant einfach auszudrücken als sich hinter Fremdwörtern und verklausulierten Sätzen zu verstecken, Für mich ist das inzwischen pseudo-intellektuell 😉
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Fremdwörter mag ich auch nicht. Ich bevorzuge eine einfache und klare Sprache. Die Kunst einen Roman mit kurzen Hauptsätzen zu schreiben, beherrscht Peter Stamm. Ein wunderbarer Schriftsteller. Ich habe alle seine Bücher gelesen und stand sogar mal in einer kurzen schriftlichen Korrespondenz mit ihm.
Pseudointellektuelles Getue mag ich genauso wenig, wie Leute die denken, sie wären was Besseres und auf andere von oben herab blicken. Schlimm.
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ich habe ja auch die Wahrheit geschrieben, als ich sagte, dass ich Deine Texte wirklich mochte u.a. genau aus diesem Grund !
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Danke ☺️
Du machst mich ganz verlegen.
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letztendlich geht es ja darum, ob Du jemanden findest, der Dein Geschriebenes lesen möchte ! Alles Andere mit Selbstreflexion und co ist sicher interessant, aber eher nebensächlich, wenn Du es nur allein liest!
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Ich kennne nur einen sinnvollen Rat, nämlich dass man so schreiben soll, wie man es selbst gerne lesen würde. Alles andere ist Handwerkswissen für Werbetexter oder Journalisten. Wenn ich mich in einem eigenen Text nicht wohl fühle, dann kann ich es auch nicht von anderen erwarten. Auch die Frage, ob man mit Texten berühmt werden kann oder nicht, halte ich für schädlich. Auf solche Wirkungen zu schielen, das verbiegt einen und rechtfertigt nicht mal den Anspruch, weil man dann nicht authentisch ist.
Mein Motto: Was man zuletzt erst lernen kann, ist Einfachheit. Ich lerne noch.
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Ich denke, das hängt vom intellektuellen Anspruch ab 😉 Möchte man als intellektuell gelten, seine Ideen überbringen oder einfach Geld verdienen. Ob man, wenn man „bloss“ Geld verdienen möchte, automatisch nicht mehr authentisch ist, kann ich nicht wirklich beurteilen !
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@ ann: „Ob man, wenn man “bloss” Geld verdienen möchte, automatisch nicht mehr authentisch ist, kann ich nicht wirklich beurteilen !“ Wer schreibt, weil er bloß Geld verdienen will ist klar darin authentisch, dass er für Geld bereit ist zu schreiben, was sich gut verkauft.
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ja, aber wenn das erste Buch genial angenommen wurde und man dann die Welle weiterreitet, ist man dann ein schlechterer Schriftsteller ?
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Nicht zwingend. Aber es gibt genug Fälle wo jemand sein eigener Plagiator oder schlechter Epigone geworden ist, weil er den Leuten nach dem Maul schreiben wollte.
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es ist wahrscheinlich auch die Frage, wo die Grenze ist zwischen „für den Leser schreiben“ und kommerziell werden !
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Ja. Wenn wir einander schreiben, dann auch für die Leserin, für den Leser, einmal für uns, aber auch für eventuell andere Mitleser, weil wir ja auf einem virtuellen Podium sitzen.
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das vergesse ich immer….
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Passiert. 😉
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Vll habe ich deswegen schon eine Weile eine Schreibblockade. Ich konzentriere mich auf „Besser schreiben lernen“ Ratgeber. Ich denke, ich muss Sätze basteln, die die äußere Sprachpolizei duldet.
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Vielleicht tröstet dich das
http://abcypsilon777.blog.de/2009/09/10/mein-surrealer-alltag-6-fluch-stilkunst-6937882/
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Jules, du kannst schreiben. Definitiv. 👍🏻
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Lieben Dank!
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Die langen Wörter stehen hier ja nicht nur für sich selbst, sondern eben auch dafür, nicht bei jeder Formulierung und bei jedem Satz auf eine Norm achten zu müssen – unterstelle ich mal. Ich brauche auch keine Fremdwörter, um komplett unverständlich zu sein, wenn der Sachverhalt nur kompliziert genug ist. Es gibt auch genügend deutsche Wörter, die nicht in der alltäglichen Kommunikation auftauchen und die ich trotzdem verwenden möchte. Muss ich immer auf den letzten potenziellen Leser Rücksicht nehmen – der sich für das, was ich sagen will, dann nicht mal interessiert? Also, wie Jules sagt, Einfachheit kann man vielleicht lernen. Aber bis dahin müssen wir ja nicht gleich schweigen.
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Ich erinnere mich, dass wir uns mal über die Frage ausgetauscht haben, ob lange Texte im Blog angemessen sind. Und als ich eben eine lustige Erzählung von Herbert Rosendorfer gelesen hatte, der sich zum Einstieg drei Buchseiten über die Beinahmen von Leuten ausgelassen hat, die allesamt Schmidt heißen, war ich glatt neidisch und dachte, dass es schwer ist, sich in einem Blogtext so zu entfalten. Das war mein Schreibanlass. Hier wird nun vieles gesagt, was ich unterschreiben kann. Und wie man im Rheinland sagt: War gut, dass wir mal drüber gesprochen haben. (Womit ich aber nicht den Diskurs beenden will.)
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Neben der Freude oder dem Ärger über einen Inhalt gibt es auch die Freude über die Sprache oder den souveränen Umgang mit der – in diesem Fall -deutschen Sprache. Ich liebe es, von einem Autor nicht permanent unterfordert zu werden, ich will nicht immer alles doppelt erklärt bekommen… aber gut, die Autoren, die ich lese, suche ich mir aus. Meine Leser kann ich mir nicht aussuchen, aber ich will sie ernst nehmen – sie also nicht von vornherein für dümmer als mich erklären.
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Beim Schreiben ist ja ein fiktiver Leser immer mitgedacht. Wenn einer seinen fiktiven Leser schon für blöd hält, sagt das viel über seine innere Verfasstheit und schreckt mit Recht ab.
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Naja, da hat die Dame völlig recht: die kleinen Menschen steigen aus dem Fernseher und tauschen unsere eigene Wirklichkeitsvorstellung durch eine blödere.
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Du hast es auf den Punkt gebracht.
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