„Tröööt! Kopf hoch!“

Es regnet in den Fluss. Schon immer hat mich fasziniert, wenn es ins Wasser regnet, wenn Wasser sich selber empfängt, wenn die Wasseroberfläche unter den eintauchenden Regentropfen blubbert und wallt, wenn die Millionen und Abermillionen Tropfen das schwarz dahinströmende Wasser zum Glitzern bringen, ein Meer herbeizaubern von silbrige aufblitzenden Punkten. Das unentwegte Aufspritzen, Sprudeln und Brausen hat etwas geheimnisvoll Wollüstiges. Ich will’s nicht mehr ansehen, wende mich ab, verlasse die Dornröschenbrücke und gehe zurück in die Stadt. Bin zu betrübt, mich an der Natur zu erfreuen. Es macht mir glatt ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinem Kummer nicht genug beachte. Trübe Gedanken, und auch noch Regen. Da lasse ich den Kopf hängen, weiß es aber erst, als ich unter einer Arkade den Mann mit dem Taschentuch bemerke. Kaum sehe ich ihn aus den Augenwinkeln, wie er sich untergestellt hat und ein großes Stofftaschentuch aus der Hose zieht, bin schon vorbei, da höre ich ihn hineintrompeten.

Bitte, wenn man betrübt ist, so richtig tief betrübt, du kennst das Gefühl, dann wünscht man sich, eine Lichtgestalt käme daher und würde ihre zarte Hand auf die von Gedanken erhitzte Stirn legen, sie kühlen und besänftigen. Es muss ja keine Himmelserscheinung sein. Ein gewöhnlicher Mensch könnte das tun. Aber meine Erfahrung sagt mir, wenn man just eine solche Lichtgestalt sich wünscht, wenn man sie wirklich gut gebrauchen könnte, dann kommt sie nicht, ist irgendwo anders beschäftigt.

Deshalb will ich mich nicht beklagen über den Mann mit dem Taschentuch. Er ist mehr, als ich erwarten kann. Wie er nämlich schon in meinem Rücken zweimal kräftig ins Taschentuch prustet, da hört sich das doch verdammt noch mal an wie: „Kopf hoch!“ Ich drehe mich um, in der Hoffnung, er hätte es gesagt, aber seine Nase steckt noch immer tief im Taschentuch.

Ein unerwartetes „Kopf hoch!“, denke ich, ist schon eine echte Aufmunterung. Aber muss es denn so hässlich tönen? Muss diese dankenswerte Aufmunterung ausgerechnet aus Rotz gemacht sein? Ich erwarte ja keine Engelsstimme, aber könnte das „Kopf hoch!“ nicht wenigstens aus dem Schallloch unter seiner Nase kommen? Da kann ich ja schon froh sein, dass die Aufmunterung nicht noch weiter unten ertönt und gemacht ist aus üblen, giftigen Dünsten.

Aber selbst dann, wenn du richtig tief betrübt bist, muss du nehmen, was gerade im Angebot ist.

8 Kommentare zu “„Tröööt! Kopf hoch!“

  1. Hinüberscher Park? Dornröschenbrücke? Hannover wird immer geheimnisvoller. Eine schöne Endlosschleife für eine Depressiven hast du da gebaut: „Es macht mir glatt ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinem Kummer nicht genug beachte.“ Richtig schön ist auch der Kontrast zwischen dem ersten Absatz, der funkelt und glitzert und der folgenden schnifigen Misere. Und ja, wenn wir richtig tief betrübt sind, gerade dann müssen wir nehmen, was immer im Angebot ist.

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    • Ich wäre versucht zu sagen, der Text könnte überall angesiedelt sein. Aber das stimmt nicht. Was mich an meiner Wahlheimat Hannover von Beginn an erfreut hat, war das Wasser, ein Teich hinterm Rathaus, der schon größer ist als das größte Gewässer in Aachen, ein Steinwurf entfernt der stattliche und schiffbare Maschsee, nahebei eine romantische Teichlandschaft von ehemaligen Kiesteichen, die Flüsse Ihme und die Leine. Da hinüber führt die anheimelnde Dornröschenbrücke, die schon oft in meinen Texten auftaucht. Und natürlich der Mittellandkanal mit drei Häfen.
      Eine depressive Endlosschleife wollte ich nicht anlegen, vielmehr sie auflösen durch einen erheiternden Schluss.

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